Technologie allein ist nicht DIE RETTUNG

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Dass jeder Verkehrsteilnehmer ein Auto mit Diesel- oder Benzinmotor fährt, wird sich in Zukunft nicht mehr ausgehen. Es braucht neue Visionen und Konzepte.

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Dass jeder Verkehrsteilnehmer ein Auto mit Diesel- oder Benzinmotor fährt, wird sich in Zukunft nicht mehr ausgehen. Es braucht neue Visionen und Konzepte.

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Ein voll elektrifiziertes autonomes Auto namens "Oasis" (engl. Insel), das Fußgänger per Hologramm warnen soll und das dank Sessel, Sideboard, TV und Garten (!) eher wie eine Kleinwohnung wirkt. Oder das elektrische und emissionsfreie Fahrzeugsystem-Konzept "Pop-Up" von "Airbus" und "Italdesign", das die Verkehrsüberlastung in Metropolen lindern und Pendler auf dem Luft- sowie Landweg schnell zur Arbeitsstätte bringen soll. Die Konzepte, die Anfang März beim 87. Internationalen Auto-Salon in Genf präsentiert wurden, könnten einem Science-Fiction-Film entsprungen sein und zeigen deutlich, dass wohl keine Branche so in Bewegung ist wie die Mobilität. Und kaum eine steht in Zeiten von Klimawandel und Ressourcenknappheit so unter Zugzwang. "Der Verkehrsbereich ist für etwa 32 Prozent des Endenergieverbrauchs und zirka 24 Prozent der Treibhausgas-Emissionen in der EU verantwortlich", sagt Magda Kopczynska von der Generaldirektion für Mobilität und Transport der "Europäischen Kommission". Hierzulande sieht es ähnlich aus. "Der Verkehr hat sich in Österreich zum größten Sorgenkind entwickelt", bestätigt Günter Lichtblau, Verkehrsexperte beim Umweltbundesamt: Mit 45 Prozent stammen die meisten CO2-Emissionen ohne Emissionshandel aus diesem Sektor. Während sich Treibhausgas-Ausstöße laut Klimaschutzbericht des Umweltbundesamts seit 2005 rückläufig entwickeln, stiegen Emissionen aus dem Verkehr seit 1990 um 58 Prozent. Doch in diesem Sektor liege auch großes Potenzial. "Hier ist die von der EU vorgeschriebene Treibhausgas-Reduktion von 67 Prozent bis 2050 zu wenig ambitioniert", erklärt Lichtblau, "im Straßen-und Schienenverkehr haben wir schon heute durch die Elektrifizierung das technologische Potenzial für eine Umstellung auf alternative Energien. Was verbleibt, sind Schifffahrt und Flugverkehr, da müssen wir noch zehn Jahre Forschung in alternative Optionen investieren."

Chance Elektromobilität

Dass gerade Letzterer der am stärksten wachsende Verkehrssektor in der EU ist, ist in Sachen CO2-Ausstoß besorgniserregend. "Der Flugverkehr muss sich zurückentwickeln", sieht der Verkehrsexperte die Zukunft kritisch, "mit den aktuellen Zuwachsraten werden wir uns ihn nicht leisten können."

Wenn auch in einigen Mobilitätsbereichen Lösungen fehlen, birgt Elektromobilität für den Gesamtverkehr enorme Chancen auf eine Reduktion der Treibhausgas-Emission bereit. Insbesondere für Österreich: Während global gesehen drei Viertel und in Europa etwa die Hälfte des Stroms aus fossilen Energieträgern kommen, stammen im Gegensatz dazu hierzulande 66 Prozent aus Wasser-, Wind- und Solarkraft. Mit einem CO2-Ausstoß von 155 Gramm pro erzeugter Kilowattstunde Strom haben wir damit die niedrigsten Werte in der EU -abgesehen von Frankreich und Schweden, die jedoch einen hohen Atomstromanteil aufweisen. So verursacht ein heimisches E-Fahrzeug um 80 Prozent weniger Treibhausgase als ein Diesel-oder Benzinauto. Österreich hat zudem umfangreiches Potenzial zum Ausbau seiner alternativen Stromproduktion. Bei einem Wechsel zur E-Mobilität könnte sich die heimische Wirtschaft etwa Energieimporte von 13 Milliarden Euro jährlich ersparen. Zusätzlich könnten bis 2030 in der E-Branche sowie bei Zulieferen wie Batterieherstellern rund 57.000 Arbeitsplätze geschaffen werden, so eine Studie des Instituts für Fahrzeugantriebe und Automobiltechnik der "Technischen Universität Wien" und des "Fraunhofer-Austria-Instituts"."Wir sollten nicht glauben, dass das Ersetzen von Autos mit Verbrennungsmotoren durch Elektro-Autos das Problem der Dekarbonisierung löst", stellt EU-Expertin Kopczynska klar, "wir müssen das gesamte Mobilitätssystem ändern." Notwendig sind "intermodale Mobilitätsangebote" aus verschiedenen Verkehrsmitteln genauso wie Car-Sharing-Konzepte und Infrastrukturinvestititionen.

Technisch und sozial

"Technische und soziale Innovationen müssen Hand in Hand gehen", ergänzt Ulla Rasmussen, Leiterin der Internationalen Verkehrspolitik beim "VCÖ -Mobilität mit Zukunft", denn: "Würden wir das jetzige Verkehrssystem nur mit Elektroautos ersetzen, brächte das andere Probleme und Ungerechtigkeiten mit sich." Schon jetzt ist der gleichberechtige Zugang zu Mobilität in unserer Gesellschaft nicht gegeben: Relativ wohlhabende Haushalte besitzen mehr PKWs, fahren mehr und belasten die Umwelt entsprechend, so die Expertin. Statt die Mobilität zu erhöhen, hat die Massenmotorisierung bloß den Verkehrsaufwand und die Reichweite unserer Wege gesteigert: Wir gehen nicht zum Greißler im Ort, sondern müssen ins Einkaufszentrum am Stadtrand fahren. Die Folgen dieser Verkehrszunahme sind Luftverschmutzung und Lärm. Darunter leiden jedoch größtenteils nicht die Verursacher, sondern Personen mit geringen Einkommen, die häufiger an viel befahrenen Straßen leben und weniger Verkehrsmittel zur Auswahl haben. Auch Kinder, ältere Menschen, Fußgänger und Radfahrer werden in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt. "Wir haben dem Raum einem motorisierten Verkehrssystem untergeordnet", zieht Rasmussen nüchtern Bilanz. Das müsse sich ändern: In Zukunft werden wir nicht umhin kommen zu fragen: Wann trägt Mobilität zur Verbesserung unseres Lebens bei?

"Noch ist der motorisierte Individualverkehr in unseren Köpfen selbstverständlich", meint Michael Meschik, Leiter des Instituts für Verkehrswesen an der "Universität für Bodenkultur". Keiner hinterfragt, dass etwa öffentlicher Raum fürs Fahren und Parken genutzt wird. Oder dass sich zwar Verkehrslärm nachweislich auf die Gesundheit des Menschens auswirkt, aber medizinische Kosten nicht nur von den Autofahrern bezahlt werden. "Laut einer Studie von Becker und Gerlach der Technischen Universität Dresden wird so jeder PKW jährlich mit 2.300 Euro subventioniert", erklärt der Mobilitätsverantwortliche der BO-KU und plädiert für ein Umdenken. "Technologie wird uns im Verkehr nicht retten", ist er überzeugt, "Dekarbonisierung muss mit einer Verhaltensänderung einher gehen." Ein möglicher Anreiz könnte die Aufteilung der Kosten nach dem "Verursacherprinzip" sein. Ein weiterer liegt in Infrastrukturinvestitionen: Wenn Parken teurer würde, während der öffentliche Nahverkehr ausgebaut und leistbarer würde, könnte das zum Umstieg vom Auto auf Verkehrsmittel wie die Bahn motivieren. Das hätte nicht nur positive Auswirkungen auf die CO2-Bilanz, sondern würde auch gesellschaftliche Probleme wie Bewegungsund Raummangel lösen.

Umfassende Strategie nötig

"Auch auf politischer Ebene müssen klare Signale gesetzt werden", fordert Günter Lichtblau vom Umweltbundesamt. Zu diesen gehöre, nicht durch Pendlerpauschalen oder niedrige Mineralölsteuer umweltschädliches Verhalten zu subventionieren. Vielmehr seien eine langfristige Regulierung der Preise für Benzin und Diesel notwendig, damit diese Treibstoffe nicht attraktiv sind. "Wir brauchen eine solide Klimaund Energiestrategie, die ein positives Bild unserer Zukunft zeichnet: Wie sieht die Mobilität in Österreich 2050 aus?", so Lichtblau und gibt im selben Atemzug die Antwort: "Sie muss umweltfreundlicher, leiser, angenehmer und gesünder sein." Bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung in diesem Frühjahr eine solche integrierte Strategie präsentiert. Nur mit vereinzelten Klimaschutzmaßnahmen ist das Emissions-Reduktionsziel der EU durch Österreich jedenfalls nicht zu erreichen.

HINTERGRUND

Elektrisierend

In Österreich sind laut Statistik Austria derzeit 9418 nur mit Strom betriebene Autos gemeldet. Von den Hybrid-Fahrzeugen, also mit Strom und Benzin oder Diesel betriebenen, gibt es 20.507 Stück.

Weniger Treibhausgase

2014 betrugen die Treibhausgas-Emissionen im Land 76,3 Mio. Tonnen. Sie lagen damit um 4,6 Prozent unter dem Niveau von 2013. Damit setzt sich der rückläufige Trend seit dem Jahr 2005 fort.

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