"Das Limit sind drei Flugpaare pro Jahr"

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Der Berliner Mobilitätsforscher Andreas Knie über die nötige Reduktion des Flugverkehrs, die Zukunft der (noch desorganisierten) Bahn und das Ende des eigenen Autos.

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Der Berliner Mobilitätsforscher Andreas Knie über die nötige Reduktion des Flugverkehrs, die Zukunft der (noch desorganisierten) Bahn und das Ende des eigenen Autos.

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Es war im August 2018, als der Sozialwissenschafter Andreas Knie in der Zeit eine radikale Forderung an die deutsche Politik stellte: "Verbieten Sie die Flüge innerhalb Deutschlands!" Warum dieser Vorstoß? Die FURCHE hat den Mobilitätsexperten vom Wissenschaftszentrum Berlin telefonisch um Aufklärung gebeten.

DIE FURCHE: Dass Fliegen nicht gerade umweltfreundlich ist, ahnen die meisten. In Skandinavien spricht man aber schon von "Flugscham", es gibt auch Initiativen wie noflyclimatesci.org oder stay-grounded.org, deren Mitglieder völlig aufs Fliegen verzichten. Wie klimaschädigend sind Flüge?

Andreas Knie: Sie sind unverhältnismäßig klimaschädigend: Pro Flugkilometer und Person werden rund 220 Gramm CO2 ausgestoßen, das ist deutlich mehr als alle anderen Verkehrsmittel. (Beim Auto sind es rund 140 Gramm pro Personenkilometer, im Eisenbahn-Fernverkehr 38 Gramm; Anm. d. Red.) Außerdem finden diese Emissionen in einer Höhe statt, in der die Fragilität der Atmosphäre besonders groß ist und wir über die Folgen noch nichts Genaues wissen. Zugleich ist Fliegen unglaublich günstig, man zahlt weder Kerosin-noch Umsatzsteuer. So kann es nicht weitergehen.

DIE FURCHE: Sie plädieren dafür, Inlandflüge in Deutschland zu verbieten. Aber wäre das überhaupt umsetzbar?

Knie: Ein Staat darf immer strengere Vorgaben machen als die EU, es muss nur diskriminierungsfrei sein: Auch ausländische Airlines dürften also keine Binnenflüge mehr anbieten. Der innerdeutsche Flugverkehr macht jedenfalls zwölf Prozent der CO2-Emissionen aus, das ist eine Menge, zumal wir diese Emissionen um über 40 Prozent senken müssen. Außerdem haben wir in Deutschland Infrastrukturen, die auch das Reisen ohne Flugzeug ermöglichen.

DIE FURCHE: Das Fliegen zu begrenzen wird aber nicht leicht, zumal es als Inbegriff des modernen Lebens gilt. Ganz abgesehen von der Gerechtigkeitsfrage, die sich bei einer dramatischen Verteuerung stellt.

Knie: Diese demokratie-und gesellschaftstheoretische Frage ist tatsächlich fundamental. Für innerdeutsche Flüge gilt sie zwar nicht, weil die Menschen aus Norddeutschland auch ohne Flüge ihre Erfahrungen in Süddeutschland machen können. Aber was heißt das für den globalen Maßstab? Die Welt sollte sich ja kennenlernen, Völkerverständigung wird auch über Flugverkehre gemacht. Deshalb sagen wir auch nicht, dass gar nicht mehr geflogen werden darf, sondern es müsste gedeckelt werden.

DIE FURCHE: Wo würden Sie das Limit setzen? Knie: Jeder sollte pro Jahr drei Flugpaare absolvieren dürfen, also drei Mal Hin-und Rückflug. Das sollte auch zu einer Demokratisierung der Luft führen, derzeit absolvieren ja zehn Prozent der Menschen 90 Prozent der Flüge. Viele würden natürlich sagen: Damit komme ich niemals aus - aber dann müssten sie eben jemanden finden, der darauf verzichtet und ihm diese Flugoption abkaufen. Fliegen würde dann zu einer interessanten Ware, mit der man handeln kann. Natürlich müssen wir weiter nach Asien oder Afrika fliegen können, aber wir können nicht so tun, als ob ein Flugzeug wie ein Bus wäre, mit dem man für ein paar Euro durch die halbe Welt jettet.

DIE FURCHE: Manager und Wissenschafter sind klassische Vielflieger. Inwiefern wären Videokonferenzen hier eine Alternative?

Knie: Erste Begegnungstreffen, bei denen man den anderen persönlich treffen und in seiner Vielfalt, Mimik und Gestik erleben muss, kann man nicht durch Videokonferenzen ersetzen. Aber Routinegespräche oder Gespräche, wie wir es gerade führen, kann man sehr wohl anders organisieren. Nach unseren Schätzungen könnte etwa die Hälfte aller Flüge im Business-und Wissenschaftsbereich eingespart werden.

DIE FURCHE: Sie sehen die Bahn als große Mobilitäts-Alternative. Aber viele bemängeln bei ihr Attraktivität und Flexibilität.

Knie: Deshalb braucht es endlich eine neue Bahnpolitik! Bislang wird die Bahn nur so am Rande mitgeschleppt, doch sie muss als Hauptalternative zu Inlandflügen und privatem Auto ganz anders aufgestellt werden: Die Bahn muss nicht mehr überall hinfahren, aber die großen Destinationen in ganz anderer Leistungsstärke verbinden -wie es etwa in Österreich schon verstärkt wird. Zugleich muss sie anders organisiert werden: Die Deutsche Bahn hat eine Auslastung von 33 Prozent (die ÖBB veröffentlichen dazu keine Zahlen; Anm. d. Red.), zugleich haben alle Bahnfahrenden den Eindruck, dass es immer voll ist. Wir müssen also grundsätzlich überlegen, ob wir in Zukunft weiter alle morgens um 8 Uhr ins Büro und um 17 Uhr 30 heimfahren müssen. Durch das Smartphone, das Büro in der Tasche, könnte man ja auch die Peak-Zeiten verschieben und bekäme damit mehr freie Kapazität.

DIE FURCHE: Apropos Zukunft: Wie müsste die individuelle Mobilität künftig aussehen, um die Klimaziele zu erreichen?

Knie: Zum einen haben wir mittlerweile eine ausgereifte Brennstoffzellentechnologie, es gibt tatsächlich Wasserstoffautos, auch in der Batterietechnologie tut sich einiges. Das könnte man übrigens auch auf den Schwerlastverkehr ausweiten, statt etwa, wie in Deutschland geplant, auf Autobahnen für LKWs eine Elektro-Oberleitung zu bauen, die schon bei der Bahn die Achillesferse war. Zum anderen brauchen wir ein grundsätzliches Umdenken: Bislang bestand der Traum vom guten Leben darin, ein eigenes Haus am Land und ein Auto davor zu haben. Die Folge waren Zersiedelung und Verkehrsexplosion. Wir müssen das endlich stoppen, zur kompakten Stadt zurück und auch die Bepackungsdichte der Autos wieder erhöhen. Aber durch die neuen digitalen Möglichkeiten gibt es viele Wege, von A nach B zu gelangen. Individualisierung heißt heute nicht mehr ein eigenes Auto besitzen, sondern individuelle Lösungen durch Carsharing, Checkin und Checkout. Das Stichwort lautet "intermodal" - Verknüpfen verschiedener Verkehrsmittel. In den Städten zeigt sich das schon: Dort wird das eigene Auto zunehmend hinderlich.

DIE FURCHE: In der Politik ist es aber nach wie vor ein Fetisch. Österreichs Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) richtet Autofahrern Tempo-140-Strecken auf Autobahnen ein. Knie: Ja, aber das sind nur letzte Zuckungen.

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