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Keinen Basistunnel unter dem Semmering bauen

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Nicht genug Zeitersparnis

Nach wie vor umstritten ist eine Lieblingsprojekt des Konzepts „Neue Bahn" der ÖBB: Der Sem-mering-Basistunnel, der die Bahnstrecke über den Semmering ersetzen und die Fahrzeit Richtung Süden um rund 20 Minuten verkürzen soll. Es gibt mehrere Varianten für den Tunnelbau. Derzeit scheint eine südliche Tunnelmündung nördlich von Mürzzuschiag mit Benützung des bestehenden Bahnhofes als wahrscheinliche Lösung.

Was alles gegen dieses Projekt spricht, ist einem kürzlich erschienenen Buch von Richard Mauterer, einer umfassenden Darstellung der Semmeringbahn und ihrer Geschichte, zu entnehmen.

Es setzt sich mit folgenden Argumenten, die für den Tunnelbau ins Treffen geführt werden, auseinander:

• Eine Energieeinsparung von 36 Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr,

• eine Reisezeitverkürzung von maximal 23 Minuten,

• verbesserte Möglichkeiten beim Gütertransport, da es auf der Strek-ke über den Semmering Probleme mit der Höhe bestehender Tunnel beim kombinierten Güterverkehr („rollende Landstraße",Container-Transporte) gäbe und vor allem

• eine Kapazitätserhöhung auf der Südbahnstrecke.

Zur Frage der Kapazität der derzeitigen Strecke führt Mauterer folgendes ins Treffen: Die Semmeringbahn lasse derzeit eine Zugfolge von fünf Minuten zu. Das ergibt heute eine Kapazität von 400 Zügen pro Tag. Mit 170 Zügen im Tagesdurchschnitt sei die Strecke gegenwärtig also nur zu 40 Prozent ausgelastet. Sie verkrafte daher eine massive Belastungssteigerung -umso mehr als der Zustand der Strecke (vor allem sicherungstechnisch) als sehr gut bezeichnet werden könne.

Auch ein Vergleich mit der Gotthard-Bahn in der Schweiz, die sogar etwas mehr Steigung aufweist, aber 310 Züge im Tagesdurchschnitt bewältigt und mit einer minimalen

Zugfolge von nur drei Minuten theoretisch täglich sogar 670 Züge verkraften könnte, lasse erkennen, daß die Semmering-Bahn noch einige Kapazitätsreserven besitze. Auch seien die Bauwerke der Semr meringbahn (weil überdimensioniert angelegt) ausreichend belastungsfähig - selbst wenn sie ursprünglich nicht für die heute übliche Belastung geplant waren.

Vorsicht sei auch im Umgang mit dem von der ÖBB verwendeten Datenmaterial geboten, behauptet Mauterer und zitiert eine Korrespondenz der Bahn mit der „Bürgerinitiative Payerbach": Da entpuppt sich etwa ein wissenschaftlich belegtes "enormes Wachstum" des Gütverkehrsaufkommens bis 2010 als Menge, die etwa derzeit schon über den Semmering befördert wird. Da stellt sich heraus, daß die beachtliche Zahl von Reisenden, die über den Semmering fahren, die derzeit vorhandene Zugkapazität nur zur Hälfte auslasten.

Auch das Argument mit den Notwendigkeiten des modernen Gütertransports sei nicht stichhaltig, stellt Mauterer fest: Schon jetzt würden Container- und Wechselaufbautentransporte ganz problemlos über den Semmering durchgeführt. Und selbst mit der rollenden Landstraße, also der Beförderung von LTcws, dürfte es höchstens auf einem Streckenabschnitt von fünf Kilometern Probleme geben.

Die Reisezeitverkürzung durch die Benützung des zu errichtenden Basistunnels betrage wohl 23 Minuten. Sie werde damit aber für den Austrotakt nicht wirklich wirksam. Hier kämen erst Zeitgewinne von 30 Minuten zum Tragen.

Außerdem sei es sinnlos in Österreich Maß am französischen TGV zu nehmen. In unserem Land seien eben keine Ballungszentren an-

zutreffen, wie sie Frankreich hat: Im Großraum Paris leben mehr Menschen als in Österreich. Lyon und Marseille sind Millionenstädte. Auch Deutschland - mit seinen großen Wirtschaftszentren: Ruhrgebiet, Hamburg, Berlin, Raum Stuttgart, Raum München - sei nicht vergleichbar. Die Anlage eigener „Rennstrecken" lohne sich bei uns nicht.

In Österreichs Alpenlandschaft sei die Bahn jedenfalls gezwungen einen Mischbetrieb aufrechtzuerhalten: Schnellzüge, Eil-, Regional- und herkömmliche Güterzüge (mit dem teilweise veralteten Wagenmaterial der östlichen Nachbarn) müssen auf derselben Strecke durchgeschleust werden. Dieser Zustand werde in absehbarer Zeit weiterbestehen. Das wiederum bringe eine enorme Senkung der Leistungsfähigkeit der in Aussicht genommenen Tunnelstrecke: Dort könne man zwar grundsätzlich schneller fahren. Die langsamen Züge verstellten aber den schnellen den Weg. Die Kapazität stiege damit nicht wirklich. Außerdem seien in Tunnels Zugbegegnungen bei Geschwindigkeiten ab 140 Kmh problematisch.

Die Stromeinsparung sei vergleichsweise minimal, behauptet Mauterer und entspreche - rechnet man sie um - dem Stromverbrauch einer Lok pro Stunde, also dem Verbrauch der eingesparten Vorspannlok. All dem müsse man die Kosten

gegenüberstellen, die ganz beachtlich sein würden: Derzeit seien 5,2 Milliarden Schilling in Aussicht genommen. Erfahrungsgemäß lägen die Kosten dann tatsächlich aber erheblich höher. So hat etwa auch die Semmeringbahn doppelt so viel wie projektiert gekostet.

Die Öffnung der Ostgrenzen stelle die Bahn zweifellos vor große Aufgaben, werde doch das Verkehrsaufkommen ansteigen, stellt Mauterer fest. Das werde vorrangig aber Investitionen in die bisher vernachlässigten Ostverbindungen und in Wien selbst erfordern. Da sei es schlichtweg eine Fehlinvestition,

enorme Mittel in eine vergleichsweise geringfügige Beschleunigung auf einer relativ gut benutzbaren Strecke zu stecken. Wohl müsse auch der Reiseverkehr nach Italien ausgebaut werden, da man hier derzeit schon an der Kapazitätsgrenze stoße. Aber - wie gesagt - das sei leicht auch über den Semmering zu bewältigen, vor allem da mit relativ geringem Aufwand sogar ein Vervierfachung des Verkehrs über den Semmering möglich sei.

SEMMERINGBAHN. Daten, Fakten, Propaganda. Von Richard Mauterer, Verlag Signale, Wien 1990,168 Seiten, 101 Abbildungen (44 in Farbe), 28 Diagramme, öS 476,-.

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