6761888-1968_20_04.jpg
Digital In Arbeit

NO.: Vor Bahnstillegungen?

Werbung
Werbung
Werbung

Das Verkehreministerium beabsichtigt, in ganz Österreich Nebenbahnen in der Länge von rund 450 Kilometer aufzulassen. Durch diese Maßnahme sollen 500 Millionen Schilling eingespart werden. Der Großteil der Nebenbahnen, die auf der Abschußliste liegen, befindet sich in Nieder- österoeich.

Etwa 30 von 50 dieser Bahnen wurden nunmehr überprüft, ob nicht die Möglichkeit einer Einstellung gegeben wäre.

Bekanntlich hat der Professorenbericht, in dem die Ergebnisse einer fachlichen Überprüfung der ÖBB zu- sammengefaßt sind, auf die Unrentabilität der Nebenbahnen verwiesen und die Einstellung verschiedener Teilstrecken vorgeschlagen. Wir erinnern uns kaum noch, daß bereits vor einigen Jahren mehrere Teilstrecken im Lande unter der Enns gesperrt wurden. So hat man den Personenverkehr auf der Strecke Bruck—Petronell und von Payer- bach-Reichenau nach Hirschwang eingestellt. Nach anfänglichen Um- stellungsschwierigkeiten hat sich dort der Verkehr relativ schnell normalisiert.

1h letzter Zeit hat die General- direktion der Bundesbahnen eine Reihe weiterer Nebenbahnen in Niederööterreich überprüfen lassen. Das heißt natürlich nicht, daß alle angeführten Linien auch eingestellt werden.

In einem Antrag der Bundesbahnen wird die Einstellung des Güterund Personenverkehrs auf folgenden Strecken verlangt:

Drösing—Zistersdorf,

Gmünd—Litschau, mit der Nebenstrecke Altnagelberg—Heidenreichstem,

Traisen—Kemhof,

Freiland—Tümitz,

Gstadt—Yblbsitz,

Siebenbrunn—Leopoldsdorf— Engelhartstetten—Breitstetten, Sigroundsherberg—Zellemdorf, Kienberg/Gaming—Waidhofen an der Ybbs,

Gänserndorf—Mistelbach,

Gmünd—Groß-Gerungs, Stammersdorf—Dotoermannsdcwf, Pächtern—Kienberg/Gaming.

Nur der Personenverkehr soll eingestellt werden: auf der Bahnlinie Enzersdorf bei Staate—Dobermahnsdorf, Mistelbach—Hohenau und Zellerndorf—Laa an der Thaya. Auf diesen drei Strecken soll der Güterverkehr in vollem Umfang aufrechterhalten werden.

.Alle diese Bahnen sind mehr oder weniger defizitär. Allerdings hatten viele Nebenbahnen vom ersten Tag ihres Betriebes an einen nicht geringen Abgang. Schließlich wurden sie vor allem zur Aufschließung der Gebiete, wie etwa im Wald- und Weinviertel, gebaut. Die Strecke nach Kemhof im Traisental war ursprünglich nicht als Nebenbahn gedacht, da man eine Verbindung in die Steiermark, und zwar nach Mürzzuschlag bauen wollte. Zur Realisierung dieses Projektes ist es aber nicht gekommen.

Auch im Waldviertel sind manche Bahnen unvollendet geblieben. So wollte man unsprünglich die Strecke von Schwarzenau—Martinsberg über Gutenbrunn nach Weitenegg fortsetzen, um von dort aus eine Verbindung mit der Donauuferbahn bensiteliien zu können. Auch hier blieb der Bau nur ein Stückwerk.

Bahnen sind noch Lebensadern

Schon aus diesem Beispiel ist erklärlich, warum gerade Niederösterreich so viele Nebenbahnen aufweist. Sicher mag sich so manches kleine Sdhmalspurzüglein durch die modeme Entwicklung des Verkehrs auf der Straße, so wie einst die Postkutsche, überlebt haben. Und es ist bezeichnend, daß die Bürgermeister, die ihre Proteste gegen Bahneinstellungen iim V erkeh rsministerium oder beim Landeshauptmann Vorbringen, fast nie mit der Bahn, sondern mit dem Auto anreisen. Ja, daß es oft Jahre zurückliegt, daß sie das letete- mal mit ihrer Lokalbahn gefahren sind, gegen deren Einstellung sie vehement protestieren.

Trotzdem sprechen gegen die Einstellungen, zumindest eines Teiles, der Nebenbahnen, schwerwiegende Argumente: Die Straßenverhältnisse sind in manchen Gegenden noch derart unzureichend, daß schon aus diesem Grund der Dampf der Lokomotiven nicht abgelassen werden darf. Das gilt zum Beispiel für die Strecke von Waidhofen nach Gaming, wo die Sanierung der Bundesstraße noch ein paar Jahre dauern dürfte. Dies gilt ebenso für die Strecke von Komeuburg nach Mistelbach. Hier ist mangels einer entsprechenden Verkehrsverbindung keine Einstellung möglich.

Gegen die Einstellung verschiedener anderer Strecken sprechen raum- planeriische Gründe. Man kann nicht Industrdegründiungen forcieren, wenn man die Lebensadern, über die der Gütertransport geführt werden soll, abschmeidet. Bei Einstellungen muß daher auch auf die Standorte von größeren Betrieben Rücksicht genommen werden. Bei manchen Nebenbahnen denkt man übrigens daran, nur den Personenverkehr auf Autobusse umzustellen, während man den Lastentransport auch weiterhin mit der Bahn durchführen konnte.

Daraus ist ersichtlich, daß die Führung einer bestimmten Teilstrecke nicht nur vom Blickpunkt Rentabilität der ÖBB betrachtet werden darf. Es müssen auch andere Faktoren beachtet werden. Ohne Zweifel wird die eine oder andere Strecke — in manchem Zug hat die Bundesbahn oft nur fünf bis zehn Fahrgäste gezählt — über kurz oder lang aufgelassen werden müssen, weil der Zweck die hohen Mittel nicht mehr rechtfertigt.

Für viele Schüler und auch für manche Arbeiter, die noch nicht mit dem Moped oder dem Auto zur Betriebsstätte fahren, wird dies eine kleine soziale Härte bringen. Die Ermäßigungen bei der Bahn, die sogenannten Sozialtarife, sind nämlich niedriger als bei der Post. Allerdings soll die Bundesbahndirektion bereits Überlegungen anstellen, ob sie nicht für manche Strecken Bahn- autobusse einsetzen könnte, die zum gleichen Tarif fahren sollten.

Es ist kaum anzunehmen, daß noch vor den Landtagswahlen 1969 ein

Dutzend Bahnen in Niederösterreich aufgelassen wird. Es wäre auch psychologisch unklug, alle Zwergbahnen auf einmal stiläzulegen. Man sollte annehmen, daß man auch hier mach einem bestimmten Dringlichkeitsplan vorgeht. Außerdem ist nicht einzusehen, warum Belastungen, die man jahrzehntelang doch nicht nur aus Freude am Defizit getragen hat, von heute auf morgen zur Gänze abgebaut werden müßten.

Eine sachliche Abwägung der verschiedenen Standpunkte des Landes und der Bundesbahnen wird notwendig sein. Es ist allgemein bekannt, daß für die ÖBB nur eine Linde mit Massenverkehr, wie etwa die Wiener Schnellbahn, oder mit entsprechenden Lastentransporten einen Gewinn abwerfen kann. Aber die Bundesbahnen haben als staatliche Unternehmungen auch gesellschaftliche Verpflichtungen zu erfüllen.

Sicher, die alleinige Entscheidung über die Einstellung einer Bahnlinie trifft auf Grund des Eisenbahn gesetzes aus dem Jahre 1957 der Verkehrsminister. Doch gilt Minister Dr. Weiß als ein sehr überlegter und sachlicher Mann, der keineswegs sctoocfcartige Maßnahmen ergreifen wird. Er wird Landeshauptmann Maurer und die ndederösterredchische Landesregierung sicher nicht vor vollendete Tatsachen stellen. Außerdem muß laut Gesetz der Landeshauptmann im Begutachtungsver- fahren zumindest angehört werden.

Minister Dr. Weiß und Generaldirektor Dr. Kepnik haben erst kürzlich im Rahmen einer Pressekonferenz erklärt, daß sie glauben, daß man auch in Nie der Österreich den Argumenten der ÖBB mehr Gewicht beimessen würde, falls die Rechtslage ähnlich wäre wie in der Steiermark. Dort gehört nämlich ein Teil der Bahnen dem Land. Bei den Steirischen Landesbahnen wurde daher die Umstellung van der Bahn auf die Autobusse schon weitgehend vorgenommen.

Notwendigkeit vor Zweckmäßigkeit

In Niederösterreich spielen nun aber auch politische und psychologische Momente eine nicht unbedeutende Rolle. Die Mängel in der Struktur des Landes haben die ver antwortlichen Politiker längst erkannt. Unter den Landeshauptleuten Figl und Hartmann wurden diese heißen Bisen erstmals angefaßt. Aber erst in der Regierung Maurer wurden die oft mit Mißtrauen und Verbitterung von der Bevölkerung aufgenommenen Maßnahmen zum Großteil durchgesetzt, nämlich die Zusammenlegung von hunderten Gemeinden und Zwergschulen.

Die Strukturverbeseerungen haben den Gemeinden wenigstens teilweise finanzielle Vorteile gebracht. Aber bei den StruktuTmaßnahmen, die nun der Bund ins Auge gefaßt hat, ist das nicht der Fall. Man denke nicht nur an die beabsichtigte Stillegung von Nebenbahnen, sondern auch an den Plan des Justizministeriums, viele Bezirksgerichte aufzulassen.

Abgesehen davon, wieweit alle diese Maßnahmen zum jetzigen Zeitpunkt tatsächlich notwendig und berechtigt sind, muß man doch auch ins Kalkül ziehen, ob man dies alles der Bevölkerung zumuten kann. Aber das zu entscheiden, ist Sache der Politiker, der Volksvertreter, denn sie werden schließlich auch für ihre Handlungen oder Unterlassungen bei den Landtagswahlen 1969 zur Verantwortung gezogen werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung