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Renaissance der Bahn ?

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„Beinhart im Abtausch“, so charakterisiert der frischgebackene Verkehrsminister Erwin Lanc seinen Arbeitsstil — er wird ihn nötig haben, denn die Probleme im Verkehrsressort sind alles andere als leichte Brocken. In diesem Zusammenhang ist es bekanntlich auch bemerkenswert, daß nach zwei „Eisen-bahner“-Ministern ein Finanzfachmann das Verkehrsressort übernimmt.

Die beiden Bereiche Bahn und Post werden 1973 gemeinsam ein Defizit von 5 Milliarden Schilling produzieren, wobei der Löwenanteil auf gigantische Lahnkosten zurückzuführen ist. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann der Finanzminister eine Erhöhung der Tarife bei ÖBB und Post in Angriff nehmen wird, obwohl — und hier sind sich Fachleute einig — von der Einnahmenseite her eine Sanierung der Bahn unmöglich erscheint. Die Bundesbahnen stecken als größter Dienstleistungsbetrieb Österreichs (mehr als 70.000 Bedienstete) besonders tief in dem Dilemma der „Führung nach kaufmännischen oder gemeinwirtschaftlichen Grundsätzen“; wobei dies ja im wesentlichen sowieso nur rhetorischen Charakter haben kann, da eine wirklich kostendeckende Anhebung der Tarife die Kundschaft binnen kürzester Zeit vertreiben würde.

Bei den Transitgütertarifen dürfte die Obergrenze bereits erreicht sein, während bei den Inlandsgütertarifen jede weitere Erhöhung das Verhältnis Schiene—Straße zugunsten der letzteren entscheidend verändern würde; eine Entwicklung, die angesichts der ständig wachsenden Misere auf Österreichs Straßen niemand ernsthaft wünschen kann.

Wenn also bei einem nach gemeinwirtschaftlichen Gesichtspunkten geführten Betrieb ein Defizit durchaus in Kauf genommen werden kann, so erhebt sich — insbesondere angesichts der österreichischen Bundesbahnen — immer wieder Krittk bezüglich der Höhe dieses Defizits. Durch Rationalisierungsmaßnahmen, Personalabbau und Auflassung einer Reihe von Nebenbahnen (die oftmals nur noch lokalen Prestigecharakter haben) könnten rund 1,4 Milliarden Schilling eingespart werden. Anderseits würde eine Verbesserung des

Service, nicht nur im Personenverkehr, sondern vor allem im Güterverkehr (besseres rollendes Material, mehr Container, mehr Umladebahnhöfe und Gleisanschlüsse, Güterverkehr auch an Samstagen, usw.) die Bahn wieder attraktiver gestalten.

Zwischen sozioökonomischer

Strukturveränderung, räumlicher Entwicklung und Verkehr besteht ein enger Zusammenhang. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie, die bereits 1970 die Verkehrsent-Wicklung in Österreichs Zentralräumen prognostizierte und auf Grund ökonomischer Analysen zu aufschlußreichen Ergebnissen kommt. So wird z. B. für den Zeitraum 1968 bis 1980 in Österreich mit einem Wachstum des Transportvolumens von 67 Prozent gerechnet, wobei jedoch bedeutende regionale Unterschiede (Raum Linz: rund 39 Prozent, dagegen im Raum Wien rund 17 Prozent) zu beachten sind. Im Anschluß an die umfassende Strukturanalyse finden sich eine Reihe konkreter Vorschläge und Empfehlungen, insbesondere für Ausbau bzw. Reduzierung des Eisenbahnverkehrsnetzes, für mehr Attraktivität im Personen- und Güterverkehr sowie für eine zielführende Gestaltung des Straßenverkehrsnetzes. Ziel dieser Vorschläge ist es in erster Linie, eine Akkor-dierung der verschiedenen Verkehrsträger herbeizuführen. Es darf auch nicht vergessen werden, daß der Bahn, als umweltfreundlichstem Transportmittel, noch eine große Zukunft bevorsteht, wie in letzter Zeit zahlreiche ausländische .Beispiele zeigen; die Frage ist nur, inwieweit Österreichs Bundesbahnen für eine Renaissance des Schienenstrangs gerüstet sind. Die Forderung nach „Vorrang für den öffentlichen Verkehr“ wird ohne entsprechenden Ausbau dieser Verkehrsträger zur Farce.

Es wird daher eine vorrangige Aufgabe sein, das Eisenbahnnetz, das bereits 1880 (!) im wesentlichen ausgebaut war, in Hinblick auf die bedrohlich näherrückende Vollmotorisierung noch zu verbessern.

Die anstehenden Probleme werden dem 43jährigen Erwin Lanc einiges abverlangen: nicht zuletzt wird die Eisenbahnergewerkschaft, für die er ein Außenseiter ist, ihren Vorstellungen gebührend Nachdruck zu verleihen wissen. Dazu kommt noch, daß das sozialistische Verkehrskonzept — ein eher halbherziges Produkt — in vielen zentralen Fragen keine wirklich konkreten Vorstellungen enthält.

Neben dem Sorgenkind ÖBB wird sich der Parlamentarier Lanc noch den Bereichen Schiffahrt und Luftschiffahrt sowie ab 1. Jänner 1974 auch den vom Handelsministerium an ihn übergehenden Kompetenzen im Straßenverkehr widmen müssen. Die Post, wo rund 1,6 Milliarden Schilling Defizit für 1973 zu erwarten sind, steht mit der explosionsartigen Entwicklung auf dem Telephonsektor und den nicht adäquaten Einrichtungen ebenfalls im Schußfeld öffentlicher Kritik.

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