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Das Staatsbahnproblem in Österreich und im Ausland

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Zur Zeit, da die Oesterreichischen Bundesbahnen vor der Aufgabe stehen, ihr zukünftiges Schicksal neu zu gestalten, macht sich auch in fast allen europäischen Staaten da? Bestreben geltend, das Staatsbahnwesen mit den Erfordernissen der Wirtschaft in Einklang zu bringen, Wurde vor kurzem die Ivomrnerzialisierung als der erste Schritt zur Verwirklichung der Verwaltungsreform angesehen, so erklärte Verkehrsminister Ingenieur Waldbrunner gelegentlich der letzten Budgetdebatte, „die Lust dazu sei geringer geworden, zumal vęrschiedeiję Mängel auch durch die Umstellung in eįpen selbständigen Wirtschaftsköi’per nicht abgestellt werden könnten“. Und in einer Eisenbahnerversammlung vertrat der Verkehrsminister den Standpunkt, daß die Anhänger der sogenannten Kommerzialisierung damit nicht die finanzielle Gesundung und die’kaufmännische Selbständigkeit, sondern die Vernichtung der Mitbestimmung der Personalvertretungen und einen weitgehenden Personalabbau ins Auge fassen. Bisher seien keine Vorbereitungen für die Ueberführung dieser Unternehmungen in selbständige Wirtschaftskörper getroffen worden, zuerst müßten die gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden. Man müsse vor allem wissen, welches Kapital zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt werde. Ohne Eigenkapital und mit der Last der politischen Pensionierungen der letzten 30 Jahre sei an einen selbständigen Wirtschaftskörper nicht zu denken.

Nach dem Voranschlag für das Jahr 1954, mit welchem der Nationalrat kürzlich befaßt wurde, betragen die Gesamtausgaben der Bundesbahnen in der ordentlichen Gebarung 4745,6 Millionen Schilling und in der außerordentlichen Gebarung 547,5 Millionen, zusammen somit 5293,2 Millionen Schilling. Der Personalaufwand erfordert 2880,5 Millionen Schilling, davon 1634 Millionen für die aktiven Bediensteten und 1264,4 Millionen für den Pensionsaufwand. Den Ausgaben stehen Einnahmen von 3804 Millionen gegenüber. Es ergibt sich daher ein Abgang von 1488,9 Millionen Schilling. Der Personalstand von 77.796 Personen wurde gegenüber 1952 um 2319 gesenkt. Die Zahl der Ruhe- und Versorgungsbezieher ist mit 88.567 angenommen. Die schwerstwiegende Beeinflussung der Wirtschaft der Bundesbahnen werde durch die Pensionslasten hervorgerufen, da der Stand an Empfängern von Ruhegenüssen im Verhältnis zu den eigentlichen Gehalt- und Lohnempfängern unnatürlich hoch ist. Sie gehen, wie in der letzten Budgetdebatte gesagt wurde, bis zu einem gewissen Grad auf die historischen Lasten zurück, die mit der Entwicklung der Bundesbahnen Zusammenhängen. Hier müßte eine durchgreifende Entlastung Platz greifen, die im Bundesbahngesetz oder in einem besonderen Gesetz statt zufinden hätte. „Soll der Volkswirtschaft unermeßlicher Schaden erspart bleiben , so wurde vom Betriebsdirektor Hofrat Doktor Kep nik in einer eisenbahnwissenschaftlichen Vortragsreihe ausgeführt, „dann müsse alles darjngesetzt wprdem die dem österreichischen Eisenbahnbetrieb anhaftenden Schwächen zu beseitigen und den Bahnbetrieb besser und weniger kostspieliger zu gestalten“. Damit ist die Dringlidikeit des Problems von fachmännischer Seite anerkannt worden.

Die Lösupg des Bundesbahnproblems dürfte daher in Form eines Sondervermögens nach dem Vorbild der deutschen Reichsbahn erfolgen. Auf diese Weise würde es dem Verkehrsminister ermöglicht werden, die ihm obliegende oberste Leitung der Bundesbahnen auch in finanzwirtschaftlicher Hinsicht eigenverantwortlich auszuüben.

Zum Vergleich sei die Entwicklung in der deutschen Bundesrepublik dargelegt: Sie wurde abgeschlossen durch das Bundesbahngesetz vom 13. Dezember 1951, auf Grund dessen die Bundesrepublik Deutschland unter dem Namen „Deutsche Bundesbahn“ das Bundesbahnvermögen als nicht rechtsfähiges Sondervermögen des Bundes mit eigener Wirtschaft und Rechnungsprüfung verwaltet. Laut § 4 des Gesetzes ist die Deutsche Bundesbahn unter Wahrung der Interessen der deutschen Volkswirtschaft nach k auf männi, sehen Grundsätzen zu verwalten. Solange die Deutsche Bundesbahn ihren Geldbedarf zur Wiederherstellung ihrer Leistungsfähigkeit und Betriebssicherheit nicht aus eigenen Mitteln oder durch Aufnahme von Krediten decken kann, soll der Bund dem Sondervermögen Deutsche Bundesbahn Darlehen zur Ausbesserung und Erneuerung der Anlagen gewähren. Die Organe der Deutschen Bundesbahn sind: Der Vgrwaltungsrat und der Vorstand. Der Vorstand besteht aus vier Mitgliedern, welche hervorragende Kenner des Verkehrswesens und der Wirtschaft sein müssen. Der Verwaltungsrat besteht aus vier Gruppen — Bundesrat, Gesamtwirtschaft, Gewerkschaften und sonstige Mitglieder —, die alle von der Regierung ernannt werden. Der Verwaltungsrat beschließt insbesondere die Verwaltungsordnung der Deutschen Bundesbahn, den Stellenplan, den Jahresabschluß sowie über die Aufnahme von Krediten. Der Bundesminister für Verkehr erläßt die allgemeinen Anordnungen, die erforderlich sind, um der Verkehrswirtschaft, Finanz- und Sozialpolitik Geltung zu verschaffen. Tarife jeder Art bedürfen der Genehmigung durch den Bundesminister für Verkehr. Die Beamten, Angestellten und Arbeiter stehen im Dienste des Bundes. Ergibt der Jahresabschluß einen Ueberschuß, so ist eine allgemeine Rücklage bis zum Höchstbetrag von 800 Millionen DM zu schaffen, welcher jährlich 10 Prozent des Ueberschusses zu überweisen sind. Während aber im Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahnverwaltung für das Jahr 1953 ein Gleichgewichtszustand zwischen Einnahmen und Ausgaben vorgesehen war, weist der neueste Rechenschaftsbericht der' Deutschen Bundesbahn ungedeckte Ausgaben von 650 Millionen DM auf, da der Personalaufwand im Jahre 1953 von 3,7 Millionen auf 4,8 Millionen gestiegen ist. Dabei ist zu beachten, daß es durch Ersparungs- und Rationalisierungsmaßnahmen möglich wurde, den Personalstand um 14.400 auf 507.000 zu senken. Die erzielten Einsparungen wurden jedoch im Rechnungsjahr 1953 durch verschiedene Maßnahmen, die mit dem Bildungswesen Zusammenhängen, mehr als kompensiert.

Vor kurzem hat die Deutsche Bundesbahn eine Denkschrift herausgegeben, in der sie zu den Fragen des modernen Verkehrs in grundsätzlicher Form Stellung nimmt. Als entscheidende Ursache für die heutige Unordnung wird die ständige Ausweitung des privatwirtschaftlichen Kraftverkehrs angesehen. Nach Auffassung der Deutschen Bundesbahn sind die Eisenbahnen ohne weiteres in der Lage, mit wesentlich geringerem Aufwand als die übrigen Verkehrsträger den gleichen oder sogar einen größeren Nutzeffekt für die Volkswirtschaft zu erzielen, wenn sie durch verkehrspolitische Maßnahmen, die in einer vernünftigen Verkehrsaufteilung gipfeln müssen, dazu in die Lage versetzt werden.

Wie in der deutschen Bundesrepublik so sind auch die Regierungen anderer Staaten, insbesondere Englands und Frankreichs, mit der Reform der Eisenbahnverwaltung befaßt. Maßnahmen gegen den Kraftverkehr kommen weder in England noch in Frankreich in Betracht. In England wurde seit dem Abtreten der Arbeiterpartei die Verstaatlichungsaktion von den Konservativen nicht mehr fortgesetzt, während das französische Parlament sich mit der Gebarung der Staatsbahnen befaßte. Im Voranschlag 1954 ist ein Zuschuß von 160 Milliarden Francs, gleich 2 Milliarden Mark, vorgesehen.

Aufgabe des österreichischen Nationalrates wäre es nunmehr, das schon seit längerer Zeit auf der Tagesordnung befindliche Bundesbahnproblem einer Lösung zuzuführen. Die Staatsbahnen in der Hand des Staates behalten, müßte die Aufgabe der im Zuge befindlichen Verwaltungsreform sein. In einer Besprechung des Autonomiegedankens bei den europäischen Staatsbahnen im „Schweizer Archiv für Verkehrspolitik“ nimmt ein hoher Funktionär der schweizerischen Bundesbahn gegen die sogenannte Selbsterhaltungstheorie Stellung und gelangt zu folgendem Schluß: „Von den Staatsbahnen eine völlige Selbsterhaltung zu verlangen, solange die Praxis in allen Ländern im Straßen-, Wasser- und Luftverkehr noch jeden Tag das Gegenteil beweist, erscheint einfach als ein Marsch in der falschen Richtung, bei dem mit dem Bahntarif gleichzeitig eine indirekte Steuer zu entrichten ist."

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