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Bundesbahn — kommerzialisiert?

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Wenn von Kommerzialisierung eines Unternehmens im öffentlichen Eigentum die Rede ist, versteht man darunter zweierlei. Man meint einmal die Autonomisierung des Unternehmens, das nun jenseits von Anordnungen der Hoheitsverwaltung lediglich nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen geführt werden soll. Die Organe haben nicht mehr den Charakter von Staatsbeamten, sondern operieren so, als ob sie Eigentümer des Unternehmens wären. Kommerzialisierung heißt aber auch, daß das Erstziel des Unternehmens die Erzielung maximalen Gewinnes sein muß (erwerbswirtschaftliches Prinzip), ln der öffentlichen Finanzwirtschaft bestimmen die erforderlichen Ausgaben die Einnahmen. Bei einem privatwirtschaftlich geführten Unternehmen müssen sich die Ausgaben nach den zu erwartenden Einnahmen richten.

Nun wird aber bei einem kommerzialisierten Betrieb, dessen Eigentümer die jeweilige Gebietskörperschaft bleibt, das öffentliche Interesse an einer bestimmten Führung des Unternehmens weiterbestehen, indem bestimmte öffentliche Aufgaben bestehen bleiben oder darüber hinaus eventuelle Verluste gedeckt werden müssen. Einen völligen Risikoselbstbehalt wird es auch bei einer perfekten Kommerzialisierung eines Unternehmens nicht geben. Schon gar nicht, wenn es sich um die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) handelt, deren volkswirtschaftliches und staatspolitisches Gewicht unübersehbar ist.

Unter einer Kommerzialisierung der ÖBB versteht man daher nicht eine Führung des Unternehmens ausschließlich nach kommerziellen Grundsätzen, sondern vor allem seine Herauslösung aus der Verflechtung mit volkswirtschaftlichen und sozialpolitischen Maßnahmen der Hoheitsverwaltung, deren Kosten den ÖBB anteilig angelastet werden. Dadurch wird die Erfolgsrechnung der ÖBB — nach fiskalischen Verrechnungsprinzipien ohnedies nur eine Kassenrechnung —u nie den Charakter einer ordentlichen Erfolgsrechnung gewinnen und Schlüsse auf die Richtigkeit der getroffenen Maßnahmen zulassen.

Die Voraussetzungen

Wenn eine Kommerzialisierung der ÖBB im angedeuteten, also begrenzten Sinn vorgenommen werden soll, sind nach Ansicht von Experten, um eine neue Erfolgsrechnungsstruktur zu gewinnen, eine Reihe von Maßnahmen erforderlich.

So müssen auf der Einnahmen- eite den ÖBB Lasten im Rahmen einer sogenannten „Kontennormalisierung“ abgegegolten werden, die betriebsfremd sind. Die von den ÖBB eingeräumten und nur sozialpolitischen, nicht aber betrieblichen Inter-

essen entsprechenden Sozialrabatte, wie sie bei Arbeiterwochenkarten und ähnlichem gewährt werden, reduzieren die Erträge im Einzelfall oft bis 90 und noch mehr Prozent. Man rechnet, daß die-’ Sozialrabatte je Jahr ungefähr 160 Millionen Schilling ausmachen. Gleiche Großzügigkeit muß das Unternehmen freilich nicht gegenüber den Familien und den nichterwerbstätigen Jugendlichen zeigen. Wer mit einer Reisegruppe fährt, erhält einen beachtlichen Rabatt. Fährt aber eine Familie mit mehreren Kindern, die das 14. Lebensjahr überschritten haben, müssen alle voll zahlen.

Man kann auch den ÖBB nach einer Kommerzialisierung nicht zumuten, weiterhin unrentable Nebenlinien zu betreiben und vor allem die Kosten der Anlagenerhaltung zu tragen, so romantisch und attraktiv die Bähnlein, die da in manchen Gegenden herumtor- keln, auch sein mögen.

Die ÖBB sind ferner das einzige große Unternehmen in der sogenannten freien Welt, das in der Personalpolitik „syndikalistisch-titoistisch" geführt wird. Über Pragmatisierung, Versetzung und Beförderung und auch über die (vorzeitige) Pensionierung entscheidet nicht wie sonst die Führung des Unternehmens, sondern weitgehend die Personalvertretung. Ein kleines Gremium von vielfach seit Jahren Freigestellten, deren Position von der Zahl der Vergünstigungen, die sie gewähren, abhängt, trifft die meisten personalpolitischen Entscheidungen. Fachliche Eignung, Betriebstreue oder Vorbildung spielen bei den personalpolitischen Entscheidungen nicht die ihnen zukommende Rolle. Daher die Flucht aus dem Personalkörper der ÖBB, die immer weniger Fachleute und immer mehr Pragmatisierungs- und Pensionierungshungrige bekommen, ln der Personalpolitik sind die ÖBB bereits „privatisiert“, nämlich zugunsten einer kleinen Gruppe von Funktionären, die sich auch gegenüber der SPÖ eine relativ hohe Unabhängigkeit zu wahren wußten. Der Niederschlag der verfehlten Personalpolitik zeigt sich in dem hohen Stand an Pensionisten und in einem Zwiedenken der Angestellten, die nicht wissen, wer eigentlich ihr Herr ist: die Personalvertretung oder die legitimen Vorgesetzten.

Ein Kapitel für sich sind die Pensionierungen, die vielfach in einem Alter erfolgen, in dem die Mehrheit der Dienstnehmer durchaus noch einsatzfähig wäre. Vor dem ersten Weltkrieg war das Verhältnis von Pensionisten zu Aktiven 1:10, was freilich auf den damals erst beginnenden Aufbau des Personalapparates und die geringe Zahl der Pragmatisierungen zurückzuführen ist. Heute kommen auf 81 Aktive nicht weniger als 83 Pensionisten. Die Aufwendungen für die Aktiven betragen zirka 3,2 Milliarden Schilling, die für die Pensionisten 2,2 Milliarden.

Die Folgen der verfehlten Personalpolitik müssen nicht nur die Staatsbürger tragen, sondern auch die Akti ven des ÖBB selbst, die davon auszugehen haben, daß sie nicht so sehr nach ihrer fachlichen Leistung beurteilt werden, sondern nach wesentlich anderen Gesichtspunkten, weil sie čbeti zwei Herren zu dienen haben.

Was wäre, wenn .. .1

Angesichts der Kosten, die mit einer „Kommerzialisierung" der ÖBB verbunden wären, Kosten, die zum Teil ständig vom Bund getragen werden müßten; angesichts einer ruinösen Personalpolitik und der unelastischen Preispolitik, die den ÖBB aufgezwungen worden ist, scheint es den Gut-

achtern der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft unmöglich, eine Kommerzialisierung im strengen Sinn durchzuführen.

Im Gegenteil. Man ist der Ansicht, daß eine Herauslösung der ÖBB auš dem Budget und aus dem Reglement der hoheitlichen Bürokratie die Sache noch verschlechtern würde: Der Bund müßte weiter in Vorlage treten; nicht allein mit den bisherigen Beträgen, sondern mit noch höheren. Die Kosten würden sogar relativ steigen. Bisher waren die ÖBB der strittigen Kontrolle der Staatsverrechnung unterstellt, den Soll-Ziffern des Budgets unterworfen. Welche Folgen eine quasi-private, aber nicht dem Steuerungselement des Gewinnes unterworfene Unternehmungsführung hat, haben wir bei den Stickstoffwerken gesehen. Die Ausgabengebarung einzelner Be-

triebe der „Nationalindustrie“ kostet dem arbeitenden Volk im Jahr hunderte Millionen Schilling. Die Rechnungshofberichte, die zur Pflichtlektüre gemacht werden sollten, sind ein dokumentarischer Beweis für die Auswüchse einer Wirtschaftsführung, die praktisch ohne Kontrolle operieren darf. Was sich in einzelnen „Nationalunternehmungen" ereignet, wäre weder in einem privatwirtschaftlich, noch in einem von Behördenorganen geführten Unternehmen möglich; zumindest wäre es eine als erstaunlich angesehene Ausnahme.

Der Bau der Jauntalbahn, deren Finanzierung noch über das Budget, also kontrolliert, erfolgte, läßt ahnen, was erst geschehen würde, gäbe es nicht einmal die ohnedies großzügig gehandhabte Einschau des Rechnungshofes: Der Voranschlag für die Jauntalbahn lautete auf die Lockziffer von 150 Millionen. Heute hält man bereits bei 400 Millionen Schilling. Was wäre bei einem tatsächlich kommerziell geführten Unternehmen mit den für die Kostenvoranschläge Verantwortlichen geschehen? So aber muß der kleine Mann, um den man in der Praxis keineswegs besorgt ist, die Fehler sehr, sehr hoher Herren aus seiner Tasche bezahlen.

Ausblicke

Dazu kommt noch, daß die Privatisierung der Dienstverhältnisse den Beamten der ÖBB nicht gut zugemutet werden kann. Auch wenn die Pensionen nach dem ASVG in den unteren Gehaltsrängen gleich hoch sind wie jene der öffentlich Bediensteten, gibt es eine Reihe von emotional bestimmten Gründen, die einen pragmatischen Status begehrenswert erscheinen lassen.

jltfi"U5’S l ierun eiti erfolgshewußtęs Denken ‘ bei „allen Dienstnehmern, hieße, ejui pėnketi fm Service am „Kunden“, hieße stets attraktive Dienstbereitschaft, alles Dinge, die man einem Unternehmen wie den ÖBB erst nach einer jahrzehntelangen Entwicklung zumuten könnte. Ein privat geführtes Unternehmen könnte sich nicht den Zystand mancher Bahnhöfe und der sanitären Anlagen, die keineswegs įjnmer erklärbaren Zugsverspätungen, das schlam pige Behandeln der Heizanlagen und ähnliche Dinge leisten.

Eine Kommerzialisierung der ÖBB ist jedenfalls ohne Änderung der finanziellen Struktur des Unternehmens, ohne Änderung der Personalpolitik und ohne ein völliges Umdenken der Führung kaum möglich, ganz abgesehen davon, daß man ein Unternehmen nicht zwingen kann, sich seine Einnahmen (Tarife) von einer langsam funktionierenden und stets politisch befangenen Körperschaft (Nationalrat) vorschreiben zu lassen. Die Freiheit der kommerziellen Verwaltung müßte nach beiden Richtungen vorhanden sein, nach der Seite der Aufwendungen wie der Erträge.

1 Siehe das kürzlich erstattete Gutachten gleichen Titels der Sozialwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft Wien.

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