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Politisch — nicht kaufmännisch

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Ein goldenes Zeitalter soll nach dem Willen von Verkehrsminister Lanc und des ÖBB-Generaldirektors Pycha für die österreichischen Bundesbahnen anbrechen. In einem umfangreichen Unternehmenskonzept für die nächsten zehn- Jahre ist daran gedacht, jährlich rund 5,2 Milliarden Schilling, also insgesamt 52 Milliarden Schilling, Finanzierungsmittel für Bundesbahn-Investitionen bereitzustellen. Damit sollen die Bundesbahnen verkehrssicherer und moderner ausgestattet werden. Gedacht ist beispielsweise an einen jährlichen Ankauf von 24 Elektroloks, an drei verschiedenfarbige Zugsysteme (blaue Städteschnellzüge, orange regionale Schnellzüge und Lokalzüge, für die noch eine einheitliche Farbe zu finden ist), an die stärkere alternative Ausstattung der Züge mit Speisewagen oder Automaten, an mehr Zugkomfort, modernisierte Bahnhöfe und verbesserte Bahnhofrestaurants. Gedacht ist eigentlich an alles, was die Bundesbahnen von ihrem schlechten Image befreien könnte; selbst an einen Abbau des Personals um rund achttausend Bahnbedienstete bis 1985 und schließlich an eine ausgeglichene Bilanz. Das alles soll unter der Voraussetzung geschehen, daß die österreichischen Bundesbahnen eben nicht nur ein kommerziell geführtes Unternehmen sind, sondern auch Leistungen im höheren Interesse zu erbringen haben, die kaufmännisch nicht zu vertreten sind. Diese „höheren Interessen“ ergeben sich einmal aus der Tatsache, daß die Bundesbahnen ein Monopol-betrieb auf Schienen sind, und zum anderen daraus, daß der Sozial- und Versorgungsstaat die Beförderung bestimmter sozialer Gruppen (Pendler, alte und invalide Menschen, kinderreiche Familien usw.) zu Vorzugstarifen wünscht. Dazu kommt, daß die Tarifpolitik der Bundesbahnen von vornherein verurteilt ist, zuerst politische und dann erst kaufmännische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Denn die ÖBB-Tarife werden vom Parlament festgesetzt und werden deshalb immer der parteipolitischen Auseinandersetzung unterliegen müssen.

Im Konkurrenzkampf zwischen Schiene und Straße hat die österreichische Bundesbahn in den letzten dreißig Jahren erhebliche Verluste einstecken müssen. Zeit und Umstände sind heute günstig, von diesen Einbußen wieder einiges wettzumachen. Straßenbau wird heute schon vielfach als Raubbau an der natürlichen Umwelt verstanden, das Image der Autos ist nicht nur nach den Benzinpreiserhöhungen angekratzt und schließlich finden

Berichte, wonach die Verkehrssicherheit auf der Schiene bedeutend höher als auf der Straße ist, immer größeres Interesse. Verkehrsminister Lanc und ÖBB-Generaldirektor Pycha haben demnach zu einem sehr günstigen Zeitpunkt ihr Konzept für die nächsten zehn Jahre vorgelegt.

Ob freilich der gute Wille der beiden Herren auch von realistischen Vorstellungen getragen ist, muß füglich bezweifelt werden. Nur einen

Tag nach Vorlage des ÖBB-Unter-nehmenskonzepts meldete sich der Sprecher der starken Eisenbahner-gewerkschaf t, Fritz Prechtl, mit massiven Einwänden: Nicht der Abbau von achttausend Dienstposten, sondern die Aufstockung um weitere 2600 Dienstposten sei notwendig. Logischerweise muß mit einer Verwirklichung dieser Forderung der Gedanke an einen Abbau des ÖBB-Defizits aufgegeben werden. Gewerkschaftschef Fritz Prechtl motiviert das freilich andersherum: Was nützt das beste und schönste Unternehmenskonzept der österreichischen Bundesbahnen, wenn es an einem koordinierten Verkehrskonzept fehlt? Da nun aber für Schiene und Straße aus der Sicht Prechstls keine Waffengleichheit gegeben ist und an Rentabilitätsrechnungen für die Straße nicht gedacht ist, soll man von den österreichischen Bundesbahnen erst gar keine ausgeglichene Gebarung verlangen.

Die interessenpolitische Argumentation der Eisenbahnergewerkschaft läßt befürchten, daß das Unternehmenskonzept für die nächsten zehn Jahre — soweit es die Personalsituation betrifft — heute schon gestorben ist. Aber auch die Finanzierungspläne sind, so scheint es, nicht mit dem Finanzministerium abgesprochen. ÖBB-Generaldirektor Pycha kann sich zwar darüber freuen, daß in diesem Jahr seine ehrgeizigen Investitionspläne verwirklicht werden, doch das ist fast ausschließlich auf staatliche Maßnahmen zur Konjunkturankurbelung zurückzuführen. Für das nächste Jahr ist im ÖBB-Konzept ein Finanzierungsbedarf in Höhe von 5,9 Milliarden Schilling eingesetzt, ein Plan, der weder mit diesem noch mit einem möglichen anderen Finanzminister abgesprochen ist. Verkehrsminister Lanc hat jedenfalls in dieser Frage mit Finanzminister Androsch noch keine Gespräche geführt und will das auch erst im September tun, wenn dann das Budget 1976 tatsächlich schon fix und fertig ist.

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