6595054-1953_01_04.jpg
Digital In Arbeit

Tariferhöhung oder Verwaltungsreform?

Werbung
Werbung
Werbung

Durch die Vertagung des Parlaments sind die Bestrebungen um eine Reform der Bundesbahnverwaltung unterbrochen worden. Diese Pause kann nicht verhindern, die gegenwärtige finanzielle Lage der Bundesbahnen aufmerksam zu verfolgen und Abhilfemaßnahmen schon jetzt ins Auge zu fassen.

Vom Verkehrsministerium wird bekanntlich eine Erhöhung der Tarife als unausweichlich hingestellt. Gegen diese „ultima ratio“ erheben sich nach den Erfahrungen im In- und Ausland mannigfache Bedenken. Die Betriebsausgaben der österreichischen Bundesbahnen haben sich seit dem Jahre 1949 von 2106 auf 4312 Millionen Schilling erhöht. Dies ist vor allem auf die Steigerung der Personalbezüge durch Preis- und Lohnabkommen sowie der Pensionskosten auf 1,2 Milliarden zurückzuführen, die heute bereits größer sind als die Ausgaben für den

Zugförderungs- und Werkstättendienst. Der Gesamtstand der Pensionisten hat sich innerhalb von zwei Jahren von 82.500 auf 86.800, das ist um 5,2 Prozent, erhöht. Nach einer provisorischen versicherungsmathematischen Berechnung müßte der Beitrag der Bundesbahnen für die Altersversorgung ihrer Beamten 30 Prozent ausmachen. Tatsächlich beträgt jedoch nach dem Voranschlag 1952 die Pensionslast fast 90 Prozent der für die Berechnung in Betracht kommenden Bezüge des Personals.

Die Tariferhöhung vom 1. Mai 1952 wird das Budget der Bundesbahnen wohl um etwa 500 Millionen Schilling entlasten. Zu gleicher Zeit sind auch das Güterbeförderungsgesetz, das Kraftfahrlinien-gesetz und das Gesetz über den Gelegenheitsverkehr in Kraft getreten. Ob die in diese Gesetze gesetzten Erwartungen in Erfüllung gehen werden, wird erst die Zukunft zeigen.

Man kann indes nicht übersehen, daß die Erhöhung des Gütertarifs vom vergangenen Mai seither einen Rückgang des Verkehrs zur Folge gehabt, hat. Die Erhöhung des Personentarifs, die im neuen Budget bereits mit 30 Millionen Schilling eingesetzt war, wurde bekanntlich fallengelassen, die längst fällige Einschränkung der Regiekarten — von 50 Millionen Fahrkarten Wurden im abgelaufenen Jahr 17 Millionen zu einem ermäßigten Fahrpreis abgegeben — aber nicht durchgeführt. Die Gültigkeit einer Reihe von Ausnahmetarifen des Güterverkehrs, die mit 31. Dezember erlöschen würde, ist bis 31. März verlängert worden.

Auch der soeben veröffentlichte Bericht der Bundessektion Industrie nimmt auf die geplante Gütertariferhöhung Bezug und warnt vor ihrer Durchführung, da die Industrie neuerliche Belastungen ohne Rückwirkung auf die Preise nicht mehr auf sich nehmen könne. Auch der verkehrspolitische Ausschuß der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, dem Vertreter verschiedener Wirtschaftszweige angehören, hat dazu Stellung genommen. Dabei wurde eindeutig zum Ausdruck gebracht, daß . die Wiedergesundung der Bundesbahnen vor allem durch eine durchgreifende Rationalisierung eingeleitet werden müsse. Da die Bundesbahnen der wichtigste Verkehrsträger des Landes sind, haben gerade die Bundesbahnen und ihr Personal an einer Konsolidierung der. österreichischen Wirtschaft Anteil. Die geplante Aufhebung der Ausnahmetarife aber würde gerade die von der Wirtschaft angestrebte Preissenkungsaktion ernstlich gefährden und die mit großen Opfern angebahnte Stabilisierung der österreichischen Wirtschaft in Frage stellen.

Der Generaldirektor der Deutschen Bundesbahn,'Staatssekretär Dr. Fr ohne, nahm in einem Vortrag am 27. November vorigen Jahres vor dem Verkehrsaus-, schuß des Bundesverbandes der deutschen Industrie gegen weitere Tariferhöhungen Stellung, da sie sich auf das Verkehrsaufkommen des Unternehmens ungünstig auswirken. Kriegssachschäden und Neü-anlagen müßten durch Anleihen oder langfristige Kredite finanziert werden. Die Grundlagen einer organischen Tarifreform würden zur Zeit vom wissenschaftlichen Beirat des Verkehrsministeriums im Zusammenwirken mit Sachverständigen der verschiedenen Verkehrszweige und der Wirtschaft geschaffen. Auch die Erfahrungen der Schweizer Bundesbahnen zeigen, daß erhöhte Tarife nicht immer den Einnahmenrückgang ausgleichen können. Im dritten Quartal des laufenden Jahres haben die Schweizer Bundesbahnen ungeachtet einer fünfpro-zentigen Erhöhung des Gütertarifs einen Rückgang der Einnahmen um 4,2 Millionen Franken erfahren.

Alle diese Umstände sind der österreichischen Regierung bekannt; es ist daher zu erwarten, daß sie den neuen Nationalrat zunächst mit der längst fälligen Reform der Bundesbahnverwaltung befassen wird. Wie aus einer besonders aufschlußreichen Studie des Generalsekretärs der österreichischen Bundesbahnen, Hofrat Dr. Schant1, über die Sanierung der Bundesbahnen hervorgeht, werden die Bestrebungen zur vollen Verselbständigung der Eisenbahnverwaltung in Form von selbständigen Wirtschaftskörpern als nicht geeignet erkannt; die Lösung wird vielmehr in der Form eines Sondervermögens nach dem Vorbilde der Deutschen Reichsbahn empfohlen. Auf diese Weise soll es dem Verkehrsminister ermöglicht werden, die ihm obliegende oberste Leitung der Bundesbahnen auch in finanzwirtschaftlicher Hinsicht eigenverantwortlich auszuüben, während dem Finanzministerium ein Mitwirkungsrecht in Angelegenheiten von allgemeinem Interesse vorbehalten bliebe.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung