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Wirtschaftskommentar

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Mit der Einsetzung einer Expertenkommission zur Prüfung der Rationalisierungsmaßnahmen bei den Österreichischen Bundesbahnen hat Minister Dr. Weif den Startschuf zur umfangreichen Reform der österreichischen Bundesbahnen gegeben. Zehn bedeutende Wissenschaftler wurden zur Prüfung der Lage der Bundesbahnen eingesetzt und beauftragt, unabhängig von politischen Bindungen, ehrenamtlich, nur ihrem wissenschaftlichen Ethos verantwortlich, Verbesserungsvorschläge zu erstellen. Es wurden österreichische Wissenschaftler und keine ausländischen Institute berufen, was auch die Gewerkschaftsvertreter bei der konstituierenden Sitzung der Kommission lobend hervorhoben.

Daf diese Wissenschaftler nicht im luftleeren Raum operieren und ihre Gutachten im Hinblick auf die Durchführbarkeit ihrer Vorschläge erstellen werden, versprechen die Namen der ausgewählten Professoren, und auch bereits das erste Exposé, das der Vorsitzende der Kommission, Professor Diplomkaufmann Dr. Illetschko, Vorstand des Instituts für Transportwirt- schafl an der Hochschule für Welthandel in Wien, erstellte. Die Kommission muf , soll ihre Arbeit nicht nur der Vermehrung der Aktenablage dienen, auf die Erstellung praktikabler Vorschläge bedacht sein. Sie wird daher auch nicht die grundsätzliche Ablehnung von seiten der Bediensteten der Bundesbahnen riskieren, indem sie ihre Arbeiten ohne Kontakt mit den Verantwortlichen der Bahnverwaltung durchführt. Viele gute und durch die Einsicht des Praktikers tundierte Vorschläge lassen sich sicher in das Reformprogramm einbauen.

Die Arbeit der Kommission wird eine sehr umfangreiche sein. Zunächst wird sie, das betonte auch schon Professor Illetschko, zwischen Struk- turierungs- und Rationalisierungsproblemen unterscheiden müssen. Rafio- nalisierungsmaßnahmen lassen sich kurzfristig durchführen, ihr Erfolg läf t sich manchmal schon sehr bald fest- steilen. Wichtiger, wenn auch weniger schnell zu einem greifbaren Erfolg führend ist die Findung der richtigen Aufwandsslruktur einer heutigen Bahnverwalfung, einer Struktur, die auch betriebswirtschaftlich vertretbar ist. Es gibt ernstzunehmende Meinungen, die behaupten, der Betrieb von Eisenbahnen sei notwendigerweise mit einem Defizit verbunden. Es wird die Prüfung dieser Frage einer der Angelpunkte der Tätigkeit der Kommission sein, denn die gegenteilige Meinung vertritt die Ansicht, jeder solle die Kosten zahlen, die er verursacht, die Autofahrer die Kosten für den Straßenbau und die Benüfzer der Bundesbahnen die Kosten für den Betrieb der Eisenbahnen.

Wenn auch die Rationalisierung mit der Lösung der Kostenfrage nicht beendet sein kann, so sieht diese Frage doch auch im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. So wäre es zum Beispiel interessant, in welcher Relation das Verwaltungspersonal der Bundesbahnen zum Personal im Fahrdienst steht; wieviele Verwalfungsbeamfe also auf einen fahrenden Eisenbahner kommen. Oder einmal die fiktiven Tarife aufzustellen, die man bezahlen müßte, wenn die Bundesbahnen kein Defizit aufweisen dürften.

In der Rede des Ministers anläßlich der Einsetzung der Kommission war vom Teilproblem einer Kontennormalisierung die Rede, gemeint war damit die Herausnahme der sozialen Lasten aus dem Budget der Bundesbahnen und die Übernahme derselben auf ein anderes Konto des Staatsbudgets. Damit ist aber nichts gewonnen! Das Defizit zahlt weiterhin der Staat, also wir alle.

Es geht aus dem Auftrag an die Kommission nicht klar hervor, ob sie sich auch mit der Frage der Sozialtarife zu beschäftigen hat. Gleichgültig aber, ob die Kommission den Auftrag hat oder nicht, die Lasten für die Sozialtarite dürfen nicht einfach umgebucht werden, sondern müssen ebenfalls einer Prüfung unterzogen werden. Denn viel ) die zu begünstigten Tarifen die Bundesbahnen benützen, sind eigentlich keine sozialen Fälle, sondern genießen ihre Privilegien nur aut Grund der Zugehörigkeit zu dieser oder jener bevorzugt behandelten Gruppe. Andererseits ist es in Österreich noch immer nicht gelun-

gen, Sozialtarife für Familien einzuführen. Man kann nicht einfach nur vom Einkommen je Kopt schlechthin ausgehen, sondern muß als entscheidende Ziffer das „Einkommen je Kopf des Haushaltes" heranziehen. Dieses Problem stellt sich aber nicht nur bei den Bundesbahntarifen.

Eine besondere Frage bilden die Vergünstigungen, die den Bediensteten der Bundsbahnen selbst beziehungsweise ihren Angehörigen gewährt werden. Niemand neidet ihnen diese Vergünstigungen, stellen sie doch einen Teil ihrer Entlohnung dar, aber man müßte vielleicht daran denken, schrittweise diese Deputate in Geld abzulösen. Dadurch würde auch eine gewisse Gerechtigkeit innerhalb der Eisenbahner gefördert werden, denn manche nützen ihre Kontingente aus, andere wieder nicht; schließlich ist man auch in anderen Wirtschaftszweigen in der modernen Verkehrswirtschaff zur reinen Geldentlohnung übergegangen. Die Frage des Personals wird überhaupt eine der diffizilsten im Zuge der Rationalisierung sein. Was am Personal der Bundesbahnen im Gefolge der verschiedenen politischen Umwälzungen schon gesündigt wurde, füllt Bände. In keinem Wirtschaftszweig hat auch die Perso- na’lvertretung so weitgehende Befugnisse (Mitspracherechte bei der Besetzung von Posten, Beförderungen, Pragmatisierungen) wie bei den Bundesbahnen. Manches wird hier auch im Zuge der Reform auf eine neue Basis gestellt werden müssen.

Die Probleme, die der Kommission gestellt sind, sind so vielfältig und in ihrer Tragweite noch weitgehend unüberschaubar, daß nur eine ständige Information der Öffentlichkeit, selbstverständlich im Einvernehmen mit allen betroffenen Stellen, und freie Diskussion über die Ergebnisse eine allgemein akzeptierte Lösung hervorbringen kann. Neben den grundsätzlichen Problemen der Kontennormalisierung, der Überprüfung der Selbsfkostenrechnung, die schon skizziert wurden, stehen andere Probleme, die vielleicht in ihren Auswirkungen geringere Bedeutung haben, aber auch entscheidend die Lebensinteressen bestimmter Gruppen der Bevölkerung betreffen.

Greifen wir nur das Problem der Einstellung unrentabler Nebenlinien heraus. Sicherlich gibt es Bahnlinien, die nur sehr schwach ausgelastef sind, aber die Frage der Einstellung konn nicht nur mit dem Hinweis auf eine Kostenrechnung beantwortet werden. Wenn die an die Stelle der Bahnverbindung gesetzte Autobuslinie für die Fahrgäste so große Unbequemlichkeiten mit sich bringt, daß die nervlichen und sonstigen Belastungen durch die Kostenersparnis nicht autgewogen werden, dann ist die Frage nach der Rentabilität nicht mehr so einfach zu beantworten, überhaupt stellt sich das Problem Schiene— Straße komplizierter dar, als gemeinhin angenommen. Der Staat konkurrenziert sich hier in jedem Falle selbst. Der richtige Ausgleich zwischen Ausbau der Straßen und attraktiverer Gestaltung der Bahn wird einer der Punkte in den Lösungsvorschlägen der Kommission sein müssen.

Als ein Ziel der Reform bezeichnete der Minister die Schaffung eines selbständigen Wirtschaffskörpers. Auch hier wird zu prüfen sein, welche Vorteile ein eigener Wirtschaftskörper mit sich bringt. Ist durch die Ausschaltung der obersten Instanz, des Ministeriums, auch eine raschere und betriebsgerechtere Erledigung der Arbeiten zu erwarten? Werden dadurch Schreibtische eingespart werden, samt den dahintersifzenden Beamten? Ist das nicht der Fall, ist auch der eigene Wirtschaftskörper keine Garantie für ein Sinken des Defizits.

Die Kommission hat ihre Tätigkeit aufgenommen. Sie wird schwer ringen müssen, über der Fülle der Detailprobleme das Ganze der Reform im Auge zu behalten. Eines aber könnte dieser unabhängigen Kommission gelingen, was auch der Minister in seiner Ansprache zum Ausdruck brachte, „die im Interesse der Bahn und der gesamten Volkswirtschaft notwendigen Maßnahmen nach sachlichen Gesichtspunkten zu überlegen und aus dem politischen Tagesstreit herauszuhalten".

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