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Reform des Bahntarifs?

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Das Institut für Wirtschaftsforschung hat es in seinem soeben erschienenen Bericht als bedauerlich bezeichnet, wenn öffentliche und verstaatlichte Betriebe im gegenwärtigen Zeitpunkt ihre Preise und Tarife erhöhen, da diese Erhöhungen nicht den gewünschten Erfolg bringen würden. Auch der Wiener Stadtrat hat eine Tariferhöhung bei den Wiener Verkehrsbetrieben abgelehnt, wenngleich die derzeitigen Fahrpreise bei weitem nicht kostendeckend sind.'

Indessen hat sich der Hauptausschuß des Nationalrates veranlaßt gefunden, einem Antrag der Regierung zur Erhöhung der Fahrpreise bei den Oesterreichischen Bundesbahnen ab 1. Jänner 1954 um 25 Prozent seine Zustimmung zu erteilen. Von der Absicht geleitet, die Aktion des Ministers Waldbrunner zu unterstützen, hat auch die Sozialistische Partei verkündet, sie habe sich auf eine 25%ige Erhöhung der Fahrpreise geeinigt, und hiebei erklärt, daß die außerordentliche Ermäßigung für Arbeiter und Schüler, die weitergehend ist als je zuvor in der Vorkriegszeit, selbstverständlich aufrecht bleibe. Zugegeben wurde, daß sich für den einzelnen die höheren Fahrpreise fühlbar geltend machen werden. Die Haltung des Hauptausschusses in dieser Frage wurde auch dadurch beeinflußt, daß, wie aus einer Mitteilung des Finanzministeriums über den Budgetentwurf für das Jahr 1954 hervorgeht, in der Einnahmenseite des Budgets die Erhöhung des Personentarifes mit dem Mehrertrag von 150 Millionen Schilling bereits in Rechnung gestellt wurde.

Die Einnahmen der Bundesbahnen aus dem Personenverkehr haben sich im Jahre 1952 von 654 auf 776 Millionen Schilling erhöht — die ersten Monate des Jahres 1953 weisen sogar noch eine weitere Erhöhung auf. Wie aus dem Geschäftsbericht der Bundesbahnen für das Jahr 1952 hervorgeht, hat die Anzahl der beförderten Personen gegenüber dem Vorjahr um 6 Millionen zugenommen, und zwar ausnahmslos nur in der 3. Klasse. Sie wurde im Berichtsjahr von rund 130 Millionen Menschen benützt, die 2. Klasse nur von 433.000 (um 100.000 weniger als im vergangenen Jahr), die 1. Klasse von 32.000 Personen (1400 weniger als im Vorjahr). Von den insgesamt im Eisenbahnverkehr verkauften 53 Millionen Fahrkarten wurden nur 2 6 Prozent zum gewöhn-licheh'Fahrpreis bezahlt; 12 Millionen waren ermäßigte Rückfahrkarten, fast 2 Millionen Halbpreisfahrkar.ten, 2,6 Millionen Arbeiter-Wochenkarten, 580.000 ermäßigte Arbeiter-Wochenkarten und 220.000 Schüler-Monatskarten. Die. Fahrpreisermäßigung im Nahverkehr stieg bis zu 95 Prozent.

Wenn zur Begründung der Fahrpreiserhöhung mehrfach auf die höheren Tarife anderer Staaten hingewiesen wird, so mußM berücksichtigt werden, daß der finanzielle Erfolg nicht nur von der Höhe der Fahrpreise, sondern auch von der Ausnützung der zur Verfugung sterfenden Sitzplätze abhängt , und dementsprechend die Fahrpreise der einzelnen Klassen eine entsprechende Regelung erfahren müßten. Der Personenverkehr der Eisenbahnen hat mit einem festen Fahrplan zu rechnen. Hieraus ergibt sich, daß innerhalb eines gewissen Verkehrsumfanges ein großer Teil der Betriebskosten ganz gleich bleibt. Aufgabe der Tarifpolitik ist es, auf eine möglichst große Ausnützung der Sitzplätze hinzuwirken und die Fahrpreise entsprechend festzusetzen.

Der gemeinwirtschaftliche Charakter der öffentlichen Betriebe, insbesondere der Oesterreichischen Bundesbahnen, setzt voraus, daß der finanzielle Erfolg dieser Betriebe in erster Linie durch die Unterstützung der Wirtschaft angestrebt werden muß und nicht durch Tarif- und Gebührenerhöhungen geschädigt werden darf. Das Gleichgewicht im B u n d e s b a h n b u d g e t müßte in erster Linie nicht von der Einnahmen-, sondern von der Ausgab e n seite angestrebt werden. In dieser Beziehung verdienen die Personalaus-, gaben — darunter 1294 Millionen für Aktive und 1108 Millionen für pensionierte Beamte — besondere Beachtung. Die Verstaatlichung hat aber, wie Minister Eichhoff in einer Darlegung der Verwaltungsreform kürzlich ausführte, keinen Sinn, wenn die verstaatlichten Industrien zu Beutestücken einzelner Parteien werden, so daß sie, statt wie bisher für Privatinteressen, von nun ab für Parteiinteressen arbeiten. Einen sozialen Sinn und Wert habe die Verstaatlichung nur, wenn die staatlichen Unternehmungen unabhängig und unbeeinflußt von jeder Parteipolitik den gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen des ganzen Volkes dienen.

Angesichts der bisherigen Entwicklung ist der Nationalrat in die Zwangslage versetzt, der beabsichtigten generellen Erhöhung des Personentarifes in der Form des vom Verkehrsminister gestellten Antrags seine Zustimmung zu erteilen, ohne Rücksicht darauf, ob die Auswirkungen des neuen Per sonentarifes nicht die Notwendigkeit ergeben werden, einer grundsätzlichen Reform der Tarifgrund1agen im Personenverkehr näherzutreten.

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