oebb - Signal auf Rot: Die ÖBB-Missstände sind nicht zuletzt Folgen des Jahrzehnte währenden Versagens der österreichischen Verkehrspolitik.
 - © Foto: APA/SCHLAGER

ÖBB im Bermuda-Dreieck

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Politische Vorgaben, gewerkschaftliche Einflüsse und unternehmerische Interessen: Es genügt nicht, die ÖBB zu prügeln. Die Missstände sind umfassend und lösungsbedürftig.<br /> &nbsp;

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Politische Vorgaben, gewerkschaftliche Einflüsse und unternehmerische Interessen: Es genügt nicht, die ÖBB zu prügeln. Die Missstände sind umfassend und lösungsbedürftig.<br /> &nbsp;

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Schon seit Monaten stehen die ÖBB im Zentrum der verkehrspolitischen Debatte. Gründe gibt es viele: hohe Zuschüsse aus dem Bundesbudget, Privilegien der Mitarbeiter, hohe Ausfälle durch Krankenstände, im Vergleich zu anderen Bahnen zu geringe Produktivität (darum sollen in den nächsten Jahren rund 12.000 Bedienstete abgebaut werden) und eine schlechte Wettbewerbsposition am Transport- markt. Ohne wirksames Gegensteuern stehe der Konkurs des Unternehmens bevor. Nach dem aktuellen Diskussionsstand sei die Neufassung des Dienst- und Pensionsrechtes ein Angelpunkt der Reform.

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Experten haben alle Facetten untersucht und die ÖBB zum verkehrspolitischen und finanzwirtschaftlichen Sanierungsfall erklärt. Der Rechnungshof prüft, die Staatsanwaltschaft ermittelt. Wenn man abseits der Polemik die politischen Aussagen kritisch verfolgt, stellt man sich die Frage, wie denn die derzeitigen Zustände entstanden sind und welche Aufgabe die ÖBB nach politischer Ansicht zukünftig wahrnehmen soll.

Als Angelpunkt gelten die Investitionen. Wahrscheinlich wird die Zukunft des Unternehmens über diese Schiene entschieden. Leistungsfähige Anlagen, attraktive Fahrzeuge und Kundenkomfort gibt es nicht zum Nulltarif. Wenn es nicht gelingt, einen innovations- und investitionsfreudlichen Rahmen zu finden, dürften die Perspektiven eher düster sein. Dabei ist momentan der derzeitige Schuldenstand nicht eindeutig zuzuordnen. Für welche Altlasten ist das Unternehmen, für welche die Politik verantwortlich ?

Mehr Markt

Trotz der Vielzahl der Meinungen herrscht Konsens darüber, dass der Einfluss der Politik auf unternehmerische Entscheidungen der ÖBB zurückgedrängt und durch ein Marktregime ersetzt werden soll. Beim Schlagwort "mehr Markt" ist die Meinung der Bahnkunden, also der Fahrgäste und der Verlader, gefragt. Wie beurteilen diese die Bahn?

Tatsächlich gibt es kaum einen Bahnbenutzer, der nicht ein "Schmankerl" zu berichten wüsste. Von unfreundlichem Verhalten des ÖBB-Personals ist die Rede, fahrplanmäßige Abfahrten von Zügen vor Ankunft der Zubringerbusse sollen vorkommen, von unlogischen Tarifstrukturen wird berichtet. Dazu kommen Verspätungen am laufenden Band. Besonders kritische Zeitgenossen meinen sogar, zufällig könne man die Fahrgäste gar nicht so vergrämen - da müsse schon Strategie dahinter sein.

Positiv ist allerdings zu vermerken, dass trotz aller Unkenrufe die ÖBB im vergangenen Jahr knapp unter 90 Millionen Tonnen befördert haben

Kaum jemand wird ernsthaft Systemmängel bestreiten. Doch, wenn sich die Politik eines Themas annimmt, sind Trittbrettfahrer rasch zur Stelle. Auch in der Beurteilung der Qualität ist Fairness angebracht: Wahrscheinlich ist an den Vorwürfen etwas Wahres, doch die Überlagerung nur negativer Erfahrungen gibt in Summe ein falsches Bild. Pro Tag sind rund eine halbe Million Menschen in Zügen der ÖBB unterwegs, der Großteil zur Zufriedenheit.

Vergleichbare Argumente pro und contra gibt es auch im Güterverkehr. Gespräche mit Vertretern der Wirtschaft zeigen immer wieder eklatante Mängel, die auch in der Transportaufteilung auf Straße und Schiene zum Ausdruck kommen. Seit Jahren verlieren die ÖBB Marktanteile. Positiv ist allerdings zu vermerken, dass trotz aller Unkenrufe die ÖBB im vergangenen Jahr knapp unter 90 Millionen Tonnen befördert haben, Tendenz steigend. Der Anteil an den gesamten Transporten ist deutlich höher als in anderen westeuropäischen Staaten.

Kurzfristig nicht zu ersetzen

Schon aus den Fahrgastfrequenzen und den beförderten Gütern ist erkennbar, dass die ÖBB eine verkehrspolitische Aufgabe erfüllen, die kurzfristig nicht ersetzt werden kann. Man stelle sich vor, die ÖBB stellen ihre Leistungen ein (ein Streiktag ist nur eine Momentaufnahme und kann keinen Eindruck von der tatsächlichen Bedeutung vermitteln).

Will man politischen Aussagen Glauben schenken, soll auch längerfristig der Schiene ein stärkeres Gewicht zukommen: Sie soll mit Pkw und Lkw konkurrenzfähig sein. Solche verkehrspolitische Zielsetzungen sind in der Diskussion derzeit eher selten zu hören.

Und der Klimaschutz?

Die verkehrspolitische Aufgabe der Schiene kommt auch in den Dokumenten der EU zum Ausdruck. Argumente des Klimaschutzes auch als verkehrspolitische Herausforderung verlangen ein konkurrenzfähiges Schienensystem. Nachhaltigkeit als Politikprinzip der Zukunft ist nur bei einer Neubewertung der Kosten und Nutzen aller Verkehrsmittel mit einer vergleichbaren Messlatte möglich. Das ist bislang nicht geschehen. Beim Übergewicht haushaltswirtschaftlicher Erfordernisse der Bahnreform bleiben verkehrs- oder gar umweltpolitische Ziele unterbelichtet.

Besonders schwer wiegt, dass die Auflistung der Mängel unvollständig bleibt, solange man die Analyse auf das Unternehmen ÖBB beschränkt und nicht auch die Beiträge der Verkehrspolitik der letzten Jahrzehnte mit berücksichtigt. Die ÖBB sind schlicht und einfach in dem Zustand, den die Verkehrspolitik bewusst herbeigeführt oder schleichend zugelassen hat.

Wenn es um Bahnverbindungen - nicht nur die oft zitierten Regionalbahnen - ging, haben die ÖBB eine Ähnlichkeit mit einem Selbstbedienungsladen ohne Kassa. Länder, Gemeinden und Interessenvertretungen haben eine Forderungs(un)kultur entwickelt, die ein Kostenbewusstsein gar nicht hat aufkommen lassen.

Wenn man den Berichten Glauben schenken kann, befinden sich die ÖBB im Bermuda-Dreieck zwischen unternehmerischen Interessen, gewerkschaftlichen Einflüssen und politischen Vorgaben - die Reihenfolge ist veränderbar. Natürlich sind in dieser Grauzone marktorientierte Entscheidungen nicht möglich.

Wenn es um Bahnverbindungen ging, haben die ÖBB eine Ähnlichkeit mit einem Selbstbedienungsladen ohne Kassa.

An der Notwendigkeit einer ÖBB-Reform wird kaum jemand ernsthaft zweifeln. Diese Reform kann aber nur Erfolg bringen, wenn die Einflussbereiche der Akteure scharf getrennt werden. Sicher wird dieser Zustand nicht nur für die Gewerkschaft, sondern auch für die Politik gewöhnungsbedürftig sein, wenn etwa jede Forderung an die ÖBB eine Kalkulation der mit ihr verbundenen Kosten und eine Einigung über deren Finanzierung nach sich zieht.

Auch die Länder als "Aufgabenträger" für den öffentlichen Verkehr sind gefordert. Sollten Bahnen und Busse tatsächlich die Städte vom Pkw entlasten, wird politische Rhetorik nicht ausreichen. Auch die jahrzehntelang geforderte Abstimmung der Siedlungsplanung mit verkehrspolitischen Zielsetzungen wird erst dann Realität, wenn für mangelnde Zukunftsvorsorge auch die Mehrkosten aus den eigenen Budgets berappt werden müssen.

Europaweit wird versucht, die Bahnen vor allem im großräumigen Verkehr wettbewerbstauglich zu positionieren. Im Nahverkehr besteht keine Alternative zu einem attraktiven öffentlichen Verkehr. Dem ehemaligen deutschen Verkehrsminister Georg Leber wird der Ausspruch nachgesagt, der Wettbewerb der Bahnen mit dem Straßenverkehr erfordere "gleiche Speerlängen", also wettbewerbsneutrale Rahmenbedingungen.

Lkw-Maut zu niedrig

Was jetzt europaweit mit der Lkw-Maut geschieht, kann im Hinblick auf die Anpassung der Wettbewerbverhältnisse bestenfalls als geringfügige Symptomkorrektur verstanden werden. Die eigentlichen Strukturen bleiben jedoch unverändert. Maßstabsetzend bei der Verkehrsmittelwahl ist und bleiben Pkw und Lkw.

Es ist zu hoffen, dass im Rahmen der ÖBB-Reform nicht ausschließlich "Sparmeister der Republik" zu Wort kommen, und dabei Zustände auf den Straßen provozieren, deren Bewältigung in einigen Jahren gesamtstaatlich höhere Ausgaben zur Folge hat, als eine ineffiziente Bahn. Endlich gehören die Aufgabe der Schiene in einem künftigen Verkehrssystem definiert. Schon aus Gründen der Wettbewerbsneutralität ist dabei Fairness angebracht.

Der Autor ist Hofrat und bei der OÖ-Landesregierung zuständig für Verkehrskoordinierung.

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