Mit 250 Sachen durch Tirol

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Ab 2007 soll der 66 Kilometer lange Brennerbasistunnel gebaut werden. Für dieses teuerste Projekt im EU-Raum müssen noch Financiers - und die Anrainer gewonnen werden.

Der längste Eisenbahntunnel der Welt wird ab 2007 gebaut. Mitten durch das Tiroler Brennermassiv. Wenn alles nach Plan geht, sollen ab 2015 die Güterzüge von Nord- nach Südtirol nicht mehr über den Berg, sondern durch ihn hindurch rollen. Ein Riesenprojekt, das auf das kleine Alpenland zukommt. Kein Wunder also, dass auch der Brennerbasistunnel Thema im Tiroler Landtagswahlkampf war. Und es wohl auch nach Ausgang der Wahl bleiben wird.

Die Parteien streiten darum, ob sich das Land an der Finanzierung des 4,5 Milliarden Euro teuren Tunnelprojekts beteiligen soll. Außer der ÖVP waren bis jetzt alle dagegen. Die Opposition wettert, man dürfe kein "Familiensilber", sprich Anteile von Landeseigentum verkaufen, um den Tunnel mitzubezahlen.

Der Bund soll zahlen

Sowohl die Grünen als auch die FPÖ halten es mit den ehrwürdigen Vorgängern von VP-Landeshauptmann Herwig van Staa, die sich im Alpenland nur ungern für das Riesentunnelprojekt erwärmten. Es würde genügen, "das Innere der Berge" zur Verfügung zu stellen. Die Finanzierung sei Sache des Bundes und der EU. Bei Hans Lindenberger, Geschäftsführer der Brenner-Basistunnel-Gesellschaft, löst diese Haltung nur Kopfschütteln aus: "Mitreden kann man nur, wenn man auch mitzahlt. So ist das nun einmal in der Welt", meint er lakonisch.

Der Brennerbasistunnel gilt als das Verkehrsprojekt, um die transitgeplagte Bevölkerung in Tirol zu entlasten. Gesprochen wird über den Bau seit rund 30 Jahren. Nun scheint es endlich ernst zu werden. Der Druck wächst: Die EU-weit festgelegten Schadstoffgrenzwerte wurden in Österreich mehrfach überschritten. 70 Prozent des ökopunktpflichtigen Transitverkehrs in Österreich entfällt auf Tirol. Die Schadstoffbelastung bei gleicher Emission ist laut wissenschaftlichen Untersuchungen in einem Alpental rund dreimal höher als in der Ebene.

Die Folgen: Immer mehr Menschen, die an Transitstrecken leben, haben Atemwegserkrankungen, das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist deutlich höher. Die Zahlen der jüngsten WHO-Studie bedeuten für Österreich: bis zu 500 Todesfällen pro Jahr durch Verkehrsschadstoffe.

Wenn der mit 66 Kilometer längste Eisenbahntunnel der Welt (56 Kilometer direkt durch den Berg, 10 Kilometer Tunnel Umfahrung Innsbruck) fertiggestellt sein wird, werden statt heute 150 Zügen täglich 400 Züge den Brenner passieren. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 250 km/h.

Brenner: niedrig und billig

Beliebt ist der niedrigste und wichtigste aller alpenquerenden Übergang jetzt schon - mit allen negativen Folgen, die das für die Verkehrsbelastung mit sich bringt. So fahren jährlich rund 450.000 Lkw hundert Kilometer lange Umwege über Tirol, um sich die erheblich teurere Maut in der Schweiz zu sparen.

Van Staa pocht auf eine Angleichung der österreichischen mit der Schweizer Maut. Bis jetzt stieß er auf taube Ohren. Einen Erfolg konnte er allerdings verbuchen: Die EU gab grünes Licht dafür, Einnahmen aus der Straßenmaut für den Bau des Tunnels zu verwenden. Über die genaue Höhe wird allerdings noch gestritten.

Die Straße ist der Hauptlastträger des Transits. Dass diese Grenzen hat, ist absehbar. Derzeit werden 27 Millionen Tonnen Güter per Lkw über den Brenner gekarrt - auf der Schiene bloß 11 Millionen. Mit 1,5 Millionen Lkw-Fahrten alleine am Brenner übertrifft die Nord-Süd-Transitroute durch Tirol das Lkw-Aufkommen der gesamten Schweiz - und das schon seit einigen Jahren.

Verkehrsexplosion bis 2015

Die Prognosen sind horrend: 2015 rechnet man am Brenner mit einem Gesamtgüteraufkommen von 62 bis 69 Millionen Tonnen. "Wo soll denn das geführt werden?", fragt Lindenberger jene, die immer noch skeptisch gegenüber dem Bau des Tunnels sind. Kilometerlange Lkw-Staus würden den Verkehr am Brennerpass schließlich zum Erliegen bringen. Diese Not würde schließlich auch Frächter überzeugen, auf die teurere, aber staufreie Schiene zu wechseln.

Für die Grünen liegt diese Entwicklung nicht so klar auf der Hand. Sie fordern wesentlich höhere Straßenmauten. Nur so entstehe ein Leiteffekt. "Solange es viel billiger ist, auf den Straßen zu fahren, werden die Frächter nicht umdenken", meint die Verkehrssprecherin der Grünen, Eva Lichtenberger, und fügt hinzu: "Die sind ja nicht die Caritas."

Für Lindenberger hingegen ist das Bauprojekt Gebot der Stunde: "Wenn dann alle erkannt haben, dass der Ausbau der Schiene notwendig ist, ist es mit Sicherheit 15 Jahre zu spät." 31 Gemeinden sind durch das Bauprojekt direkt oder indirekt betroffen. Überzeugungsarbeit unter der Bevölkerung gehört zu den wichtigsten Punkte der Planungsarbeit: "Wenn Sie nur als Bauingenieur agieren, haben Sie keine Chance." Bei der 40 Kilometer langen nördlichen Zulaufstrecke zum Basistunnel im Unterinntal hatte es Lindenberger mit 600 Gemeinderäten zu tun. "Da sind mehrere Bürgerversammlungen nötig gewesen, oft bis Mitternacht." Natürlich kommen auf die Bevölkerung Belastungen während der Bauarbeiten zu.

Gestein vor Ort verarbeiten

Die Anforderungen sind enorm: Um den künftigen Zügen Platz zu machen, müssen rund 12 Millionen Kubikmeter Schotter, Stein, Erde und Fels aus dem Berg herausgebohrt werden. Wohin mit den Schuttmassen? "60 Prozent können wir gleich weiterverarbeiten", versucht Lindenberger zu beruhigen. Man könne sie in Betonmischungen verarbeiten oder für den Putz verwenden. Auch Schotterwerke haben Interesse an den Resten aus dem Bergmassiv gemeldet.

Die staubigen Gesteinsmassen per Lkw abzutransportieren möchte man so gut es geht vermeiden. Laut Lindenberger sind "kilometerlange Förderbänder" geplant. Bei allen Abfederungen ist aber klar: Ganz unsichtbar wird man nicht arbeiten können.

Besonderes Verhandlungsgeschick erfordert die Zusammenarbeit mit den Italienern. "Man kann ja nicht so einfach im Nachbars Garten planen." Italien sei kooperationsbereit, in der Frage der von Süden her aufzurüstenden Tunnel-Zulaufstrecken sogar schon weiter als Österreich. Nur in der Überzeugungsarbeit bei der eigenen Bevölkerung würde die Italiener hinten nach hinken. Ist mit Protestkundgebungen zu rechnen? So weit will Lindenberger nicht denken. Bei der Jungefernfahrt des ersten Zuges werden sich wohl keine Südtiroler auf die Schienen legen.

Private Investoren

Das EU-Interesse am Bau der Hochleistungsstrecke ist groß. Als eine der 18 Teilstrecken der Transeuropäischen Netze (TEN) haben die 66 Kilometer langen Doppelröhren für die Verkehrsachse Berlin-Neapel, vor allem für das Teilstück München-Verona, entscheidende Bedeutung. Den Ausbau dieses Top-Korridors, der zu den teuersten Investitionsprojekte der kommenden Jahre im gesamten EU-Raum zählt, will man unter Beteiligung privater Investoren finanzieren (Public-Private-Partnership). 50 Prozent der 90 Millionen Euro teuren Planungskosten wird die EU übernehmen, die restliche Summe teilen sich Österreich und Italien. Woher dieses Geld kommen soll, muss noch geklärt werden.

Fest steht, dass eine eigene Europäische Aktiengesellschaft gegründet werden soll. Der dafür geplante Staatsvertrag zwischen Österreich und Italien soll in wenigen Wochen auf dem Tisch liegen. So zumindest ist dies der politische Wille. Und auch jener von weiten Teilen der Bevölkerung.

Der Tunnel kann mindestens 33 Millionen Tonnen transportierte Güter von der Straße auf die Bahn bringen. "Straße und Schiene müssen sich die Kosten teilen, damit wir den Lebensraum einigermaßen vernünftig halten können", ist der Chef der künftigen Brenner-AG überzeugt. Nur die Frächter muss er auch noch davon überzeugen.

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