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Bremst den Lkw-Transit

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Transitverkehr: In Österreich auf der Straße, in der Schweiz auf der Schiene. Die Tiroler leiden unter der Verkehrslawine. Wird sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern?

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Transitverkehr: In Österreich auf der Straße, in der Schweiz auf der Schiene. Die Tiroler leiden unter der Verkehrslawine. Wird sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern?

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EU-Verkehrskommissar Neil Kinnock wurde von den Landeshauptmännern Tirols und des Trentino eingeladen, sich den sensiblen Alpenraum anzusehen. Er und die Autoren des EU-Grünbuches: „Faire und effiziente Preise im Verkehr” überlegen, Straßengebühren, besonders auf sensiblen Korridoren, zu erhöhen und Umweltkosten einrechnen zu lassen. Tirol möchte das. Kinnock kam und ließ sich die Niederungen des Straßengüterverkehrs beim Flug über das Inn- und Wipptal zeigen. „Mir hat des nit gfoalln: mit'n Hubschrauba da drüba fliegn”, grollte der am Boden gebliebene Fritz Gurgiser (Transitforum Austria-Tirol) über die Flugshow, „da muß da Kinnock die Leit froagn, wie's isch nebn der Autoboahn.

Die Tiroler betreiben Lobbying für eine neue EU-Wegekostenrichtlinie, mit der der Alpenraum geschützt werden soll. Aber, so das entsprechende Grünbuch: „Das Grünbuch wirft Fragen auf und entwickelt Strategien; es gibt jedoch keine endgültigen Lösungen.” Der Transitvertrag mit seinem Jahr für Jahr abnehmenden Ökopunk-te-Kontingent minderte das Gedröhn und den Gestank auf dem Weg zum Brenner nicht. Professor Helmut Stick -ler beschied der Tiroler Landesregierung in seiner Stellungnahme: „Das vereinbarte Ausgangsniveau 1991 mit 23,3 Millionen Ökopunkten wurde um 45 bis 51 Prozent zu hoch angesetzt.” Und deshalb werde die Gesamtreduktion der Schadstoffe bis zum Vertragsende nicht die vorgesehenen 60 Prozent, sondern nur rund 37 Prozent ausmachen.

Noch dazu mußte und muß Österreich die Straßenbenützungsabgabe gemäß EU-Vertrag senken. Osterreich wurde zum Lkw-Eldorado und der Brenner zum Transit-Boulevard. 1994 überquerten fast 1,2 Millionen Lkw den Brenner, 0,9 Millionen davon als Transitverkehr. Zweimal in der Minute ein Brummi. 1995 stieg der Lkw-Verkehr über den Brenner um 13 Prozent, im Jänner 1996 noch einmal um 20 Prozent. Mit Februar 1996 zogen die Tiroler und die österreichische Bundesregierung die Notbremse, letztere erhöhte die Brennermaut erheblich. In den nächsten sieben Monaten brummten 23.500 Lkws oder 3,5 Prozent weniger rauf, runter und durch. Die 2.300 Schilling teure Nachtmaut vertrieb gleich 70 Prozent der Brum-mis zwischen 22 und fünf Uhr.

Die Erkenntnis: Effiziente Preise lenken den Verkehr. Verhindert wird er nicht: Seit der Erhöhung der Brennermaut weichen die Dieselungetü-mer vermehrt auf die Tauern-Äuto-bahn aus.

Fair ist das einseitige Anheben der Maut nicht, und ihre Höhe widerspricht dorn EU-Recht. Deswegen wird die EU-Kommission Osterreich vor die Kadis des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zitieren. Wie werden die Tiroler reagieren, wenn der für Österreich negative Schiedsspruch der Luxemburger Bichter (wahrscheinlich nächsten Sommer) in Wien eintrifft, und die Regierung zwingt, die Maut wieder zu senken?

Gurgiser träumt von „italienischen Verhältnissen”: einfach ignorieren. „Es ist politisch undenkbar, daß die Maut wieder zurückgenommen wird und sonst machen wir ein totales

Nachtfahrverbot.” Eine weitere Mög-liclikcit. sieht er in der verfassungsrechtlich garantierten Versammlungsfreiheit: Er will sie auf der Autobahn.

Eine moderate Idee -ist: der EU-kom mission vorzuschlagen, größere Streckenabschnitte, wie zum Beispiel Rosonlieim-Verona (570 Kilometer) und nicht nur Schönberg-Brenner (keine 30 Kilometer) mit der vorgesehenen Abgabe für sensible Korridore zu belasten. I )ie Frachter müßten dann etwa 2.500 Schilling für die Strecke zahlen. Auf der Tauern-Autobahn, wo die Frachter noch 250 Schilling zahlen, kämen der Brennerstrecke vergleichbare Kosten zum Tragen.

Aber selbst wenn man Kinnock vom Tiroler Vorschlag der langen Korridore überzeugen könnte, deshalb wäre dieser noch lange nicht EU-Recht. Dazu braucht es zuerst und vor allem eine Finigung im EU-Transportministerrat, Dort steht es aber 14:1 gegen Österreich. Vielleicht, daß man noch den einen oder anderen Skandinavier und die Franzosen (Frankreich leidet wie Osterreich unter dem alpenque-renden LKW-Verkehr, der teilweise Schweizer Umwegtransit ist) für den Plan gewinnen kann, aber die Mehrheit ist gegen eine Erhöhung der Transportkosten auf der Straße.

Niedrige Transportpreise sind der Motor für das europäische Zusam menwachsen. Wie könnten Griechen, Portugiesen und Italiener ihre Gurken, Tomaten und Schuhe in Wien, Paris und Amsterdam konkurrenzfällig anbieten, wenn der Transport über die Alpen erheblich teurer wäre. Deutsche, Dänen, Niederländer, aber auch manche Österreicher sehen vor allem die Vorteile in niedrigen Transportpreisen. Die Chance der Älpler, sich in der neu zu beschließenden Wegekostenrichtlinie mit Einrechnung der Umweltkosten durchzusetzen, ist tninimal.

Was Verkehrsminister Schölten im EU-Ministerrat versucht, verhandeln die Schweizer gerade mit der EU-Kommission, nämlich, faire und effiziente Preise im Güterverkehr durchzusetzen. Das jeweilige Ergebnis wird die alte Frage, ob ein Land innerhalb oder außerhalb der EU mehr bewirken kann, beantworten. Damit treten die Schweizer zu einem indirekten Match mit den Österreichern an. Das letzte Iändermatch ging mit 18:3 an Österreich. Freude kommt dabei keine auf, denn die Disziplin sind Millionen Tonnen in alpenquerendem Lkw-Güter-verkehr. Gelegentlich zitieren Schölten und Gurgiser Schweizer Studien, wonach 40 Prozent des Brennertransits (350.000 Lkws) Umwegverkehr wegen der Schweizer Restriktionen im Lkw-Verkehr sind.

Die Schweizer Delegation bietet der El) an, die Gewichtsgrenze schrittweise von 28 auf 40 Tonnen, was EU-Norm ist, zu erhöhen. Dabei ist es für die Schweiz eine conditio sine qua non, daß sie Straßengebühren einheben darf, die sowohl Infrastruktur als auch Umweltkosten beinhalten. Das sind jene Kosten, die im EU-Grünbuch vorgeschlagen werden.

Der heikle Punkt für die Anrainer der Inntal- und Brenner Autobahn ist: Wo bleiben wir, wenn man den Schweizern derartige Straßengebühren zugesteht, den Österreichern aber nicht, weil es zu keiner solchen Wegekostenrichtlinie kommt und der Umwegtransit wieder zunimmt. Schölten verlangt von seinen EU-Ministerkollegen, daß ein Land, das nicht Mitglied der Gemeinschaft ist, keinesfalls im Transportsektor Rechte erhalten dürfe, die das Mitgliedsland Österreich nicht hat. Außerdem will Schölten der neuen EU-Wegekostenrichtlinie nur zustimmen, wenn sie die Umweltkosten berücksichtigt. Eines ist klar: Die Schweizer haben mit ihrem „28-Tonnen-Limit” eine perfekte Barriere für den europäischen Lkw-Verkehr, sie haben eine gut ausgebaute Bahninfrastruktur, und sie haben sich: als störrisches Stimmvolk, das ein für sich nachteiliges Ergebnis niederbuht. Viele Tiroler schauen gen Westen und neiden es den Eidgenossen.

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