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Ende 2003 läuft die Transitregelung aus: Im EU-Parlament ein letzter Rettungsversuch, in Italien Verhandlungen der Verkehrsminister. Die Ökopunkte-Story: Rückblick und Ausblick.

Minister Mathias Reichhold hat es nicht leicht. Er muss als FPÖ-Obmann wahlkämpfen und als Verkehrsminister in der leidigen LKW-Transitfrage ein herzeigbares Ergebnis erzielen. Damit ist er in einer ähnlichen Situation wie seine SPÖ-Vorgänger in den frühen neunziger Jahren, bei denen es zwar nicht um eine unmittelbar anstehende Wahl, wohl aber um einen möglichen Stolperstein bei der EU-Volksabstimmung ging. Damals wie heute sahen sich die Verkehrsminister vor realpolitisch unerfüllbaren Forderungen der betroffenen Bundesländer und Bürgerinitiativen. Und damals wie heute wurde und wird der Ausweg vor allem in symbolischer Politik gesucht: Neben dem Abwenden schlimmstmöglicher Entscheidungen wird vor allem nach propagandistisch verkäuflichen Ergebnissen gesucht. Heute ist die Wahrscheinlichkeit nur mehr gering, dass den Verkehrsministern auch geglaubt wird.

Zum Verständnis der aktuellen Problematik hilft ein knapper Rückblick: Der alpenquerende Lkw-Verkehr wurde seit Mitte der achtziger Jahre zum Negativthema, das unter anderem der Tiroler ÖVP für ihre bis dahin transitfreundliche Politik 1989 eine schwere Wahlniederlage bescherte. Verkehrsminister Rudolf Streicher verhängte daraufhin ab Dezember 1989 ein Lkw-Nachtfahrverbot für "nicht-lärmarme" Lkw; die Fernsehbilder von Lkw-Blockaden, drohenden "Frächterkönigen" und ausländischen Verkehrsministern machten den Transit nachhaltig zur Prestigefrage für die EG-Beitrittsverhandlungen. Aufgrund der Ostöffnung begann man auch in Ostösterreich ähnliche Probleme zu befürchten.

Damals war der grenzüberschreitende Straßengüterverkehr durch bilateral zwischen den Staaten ausverhandelte Kontingente begrenzt. Sie wurden allerdings ab den späten achtziger Jahren schrittweise im EG-Binnenmarkt beseitigt. Österreich bemühte sich daher vehement um eine Sonderregelung, die auch nach dem Beitritt mittel- bis langfristig Bestand haben sollte und die 1991 mit dem Transitvertrag scheinbar gefunden wurde.

Dessen Herzstück, das Ökopunktesystem, basiert auf der Zahl der Transitfahrten des Jahres 1991 und dem Durchschnittswert des Schadstoffausstoßes der damaligen Lkw (stellvertretend für den Schadstoffcocktail wurden die Stickoxide - 15,8 g NOx/kWh=16 Ökopunkte - herangezogen). Statt Kontingenten sollten für Fahrten durch Österreich nun diese Verschmutzungszertifikate vergeben werden. Binnen zwölf Jahren sollten sie um 60 Prozent reduziert werden. Außerdem dürfe die mögliche Zahl an Transitfahrten maximal acht Prozent über dem Wert von 1991 liegen.

Von Anfang an zu hoch

Das System war überzeugend, die Umsetzung weniger: Die Schadstoffemissionen der Lkw wurden von vornherein um mehr als zehn Prozent zu hoch angesetzt. Vor allem aber wurde die Zahl der Transitfahrten 1991 nicht exakt ausgezählt, sondern politisch festgelegt - und zwar um ein gutes Drittel zu hoch, wie erst einige Jahre später, nach dem Beitritt, bekannt wurde.

Damit hatte sich Adam Riese (in der Person von Streichers Nachfolger Viktor Klima) als guter Europäer erwiesen: Da der überhöhte Ausgangswert um acht Prozent überschritten werden darf, liegt die Schwelle, ab der Konsequenzen (eine Reduktion der Ökopunkte im Folgejahr) einsetzen, bei 40 Prozent mehr Fahrten, als 1991 tatsächlich stattfanden. Und selbst dieser stark überhöhte Wert wurde ab Ende der neunziger Jahre erreicht und seither überschritten.

Diese Regelung wurde im Wesentlichen 1994 in den EU-Beitrittsvertrag übernommen; der Beitritt brachte allerdings eine drastische Senkung der österreichischen Lkw-Steuern, die Freigabe des bilateralen Lkw-Verkehrs und (nach einigen Jahren) den Wegfall aller Grenzwartezeiten. Dies hatte zur Folge, dass der Straßenverkehr deutlich billiger wurde, Österreich in einen jahrelangen Rechtsstreit mit der Kommission wegen der Mauthöhe am Brenner geriet und die Bahn deutlich an Konkurrenzfähigkeit verlor.

Eine matte Bilanz

Um die ohnehin mehr fiktiven Beschränkungen des Lkw-Transits (Ökopunkte und Nachtfahrverbot) zu rechtfertigen, subventioniert Österreich die wenig rationelle "rollende Landstraße" jährlich mit zweistelligen Millionenbeträgen, obwohl diese von EU-Frächtern meist nur in Anspruch genommen wird, wenn die Fahrer sonst die erlaubten Lenkzeiten deutlich überschreiten würden.

Die Bilanz ist daher wenig überzeugend: Obwohl die Emissionsbelastungen aus dem Lkw-Transit fiktiv um fast 60 Prozent gesunken sein sollten, belegt die Europäische Umweltagentur für 2000 in Tirol, das die Hauptlast des Transits trägt, tatsächlich eine Steigerung von 18 Prozent. Um die Ökopunktezahlen nicht stärker als sonst vorgesehen reduzieren zu müssen, bezweifelt die Kommission aber die österreichischen Zählungen, nach denen auch der fiktive Wert 1991 bereits um mehr als acht Prozent gesprengt wurde.

Unabhängig vom Ende 2003 auslaufenden Ökopunktesystem steht im Beitrittsvertrag ausdrücklich, dass die Gemeinschaft zu einer dauerhaften und nachhaltigen Lösung des Transitproblems verpflichtet ist. Im Dezember 2001 wurde daher am Gipfel von Laeken von den Staats- und Regierungschefs eine weitere Verlängerung für drei Jahre in Aussicht genommen.

Im daraufhin vorgelegten Vorschlag der Kommission fehlt allerdings die bisherige Obergrenze von acht Prozent, wodurch Transitbegrenzungen faktisch endgültig wegfallen würden. Die Nachbarstaaten zieren sich trotzdem, diesen Vorschlag zu akzeptieren: Deutschland sieht keine Rechtfertigung für eine Geltung auch im Ost-West-Verkehr, Italien ist generell gegen jede Beschränkung.

Minister Reichhold hat nun mit seinem Amtskollegen Pietro Lunardi in Rom vereinbart, bis zum EU-Gipfel im Dezember, diese Übergangslösung gemeinsam zu verhandeln (aber nicht mehr von Ökopunkten zu reden). Und ein Brennerbasistunnel, laut österreichischem Generalverkehrsplan erst für 2021 vorgesehen, soll (was unrealistisch ist) bereits in zehn Jahren fertig gestellt werden. Offensichtlich will Reichhold damit innenpolitisch bis zur Nationalratswahl sein Gesicht wahren. Mit begrenztem Erfolg: Das Transitforum etwa hat für den 25. Oktober bereits eine halbtägige Blockade der Inntalautobahn angekündigt.

Künftige Regierungen werden schmerzhafte Entscheidungen treffen müssen: Erstens sollte der Bevölkerung ehrlich gesagt werden, was nicht möglich ist. Weiters müsste konsequent angepackt werden, was machbar ist: Auf europäischer Ebene gelten Querfinanzierungen von der Straße zur Schiene für sensible Routen als künftiger Königsweg zur Lösung des Transitproblems. Auch Kontrollen des Lkw-Fernverkehrs müssen gesteigert werden, da einer seiner Wettbewerbsvorteile in der Nichteinhaltung von arbeits- und sozialrechtlichen Vorschriften liegt.

Fällt das Ökopunktesystem (egal ob 2004 oder 2007), so werden für wirklich sensible Routen aber auch Verkehrsbegrenzungen - etwa generelle LKW-Nachtfahrverboten oder Fahrverbote mit bestimmten "bahnaffinen" Ladungen - aufgestellt werden müssen. Die Job-Beschreibung künftiger Verkehrsminister ist also anspruchsvoll: gefragt ist langer Atem, das Verfolgen gemeinsamer Strategien von Bund und Ländern, diplomatisches Geschick und Konfliktfähigkeit.

Der Autor arbeitet als Politikwissenschafter in Wien.

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