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Der Streit um die ÖBB als Symptom für die politische Befindlichkeit des Landes.

Warum ist es in diesem Land so schwierig, einigermaßen sachliche Diskussionen zu führen? Warum erwecken Auseinandersetzungen immer den Eindruck, zwischen "Besitzstandwahrern" und "Speedkillern" gäbe es nichts? Lautet die Alternative tatsächlich "Sallmutter" oder "Grasser" - et tertium non datur (ein Drittes gibt es nicht)? Warum die kühle Arroganz auf der einen Seite, das Geschrei, als ginge es ums letzte Hemd, auf der anderen?

Der Streit um die ÖBB war symptomatisch: Es ist provozierend, wenn Wilhelm Haberzettl in Interviews Hinweise auf anachronistische Eisenbahner-Privilegien mit einer Handbewegung beiseite schiebt; als wären die von ihm Vertretenen zu 90 Prozent bei Hitze und Frost, Tag und Nacht im Verschub tätig. Große Worte fand man auch gegen die "Zerschlagung" der Bahn, die drohende Privatisierung und "britische Zustände". Nun hat die Einigung zwischen Regierung und Gewerkschaft gezeigt, worauf es letzterer in Wahrheit ankam: Die Strukturreform wurde geschluckt, eine Einigung über das Dienstrecht (da geht es ans Eingemachte) an die Sozialpartner bis nach den Kärntner Landtagswahlen delegiert.

Dabei wäre diese "Strukturreform" das eigentlich Interessante gewesen. Denn es ist ja plausibel, dass auch bei den ÖBB nicht Bestehendes einfach für alle Zeiten fortgeschrieben werden können. Aber wir hätten schon gerne gewusst, warum denn nun die Bahn in diverse Gesellschaften aufgegliedert werden muss. Der mögliche Hinweis auf internationale Konzerne, die aus unzähligen, miteinander verschachtelten Tochtergesellschaften bestehen, reicht nicht aus: Zum einen ist ja auch in der freien Wirtschaft nicht alles "heile Welt". Vor allem aber ist zu fragen: Soll die Bahn einfach wie ein privatwirtschaftliches Unternehmen geführt werden? Gibt es nicht ein öffentliches Interesse an der Bahn, daran, dass das Unternehmen auch Dienste leistet, die nach rein ökonomischen Kriterien nicht sinnvoll sind? Läuft eine solche Aufgliederung auf lange Sicht nicht doch auf eine Privatisierung von gewinnbringenden Bereichen und eine Verstaatlichung der Verluste hinaus? Man kann diese Fragen unterschiedlich beantworten. Doch sie wurden nicht einmal gestellt - und die Regierung hat es nicht der Mühe wert gefunden, uns den Sinn der von ihr geplanten Reform zu erklären, Überzeugungsarbeit zu leisten.

Das war ja auch die crux bei anderen Reformprojekten von Schwarz-Blau: Die Entscheidung über den Abfangjägerkauf hätte einer vorgängigen Klärung der sicherheitspolitischen Zukunft des Landes bedurft; den Umbesetzungen im Hauptverband der Sozialversicherungsträger hätte eine sachpolitisch-organisatorische Strategie zugrundeliegen müssen. Es geht nicht um endlose Debatten und Runde Tische - dafür bräuchte es keine Regierung; es geht um das verständliche, nachvollziehbare Kommunizieren von politischen Zielen.

So aber entstand und entsteht immer wieder der Eindruck des "Überfallsartigen", des "Drüberfahrens". Nicht weil die Probleme nicht seit Jahren und Jahrzehnten bekannt wären, sondern weil Kanzler & Co. agieren, als wären sie, wie man so sagt, "niemandem Rechenschaft schuldig". Und weil man bei bestem Willen nicht umhin kann, bei vielen Maßnahmen parteipolitische Motive durchschimmern zu sehen (Stichworte: ausstehende Pensionsharmonisierung, Länder versus Wien).

Der Essayist und Philosoph Konrad Paul Liessmann hat dieser Tage zurecht darauf hingewiesen, dass es seltsam sei, dass eine konservative Partei das Wahren von Besitzständen als etwas prinzipiell Negatives verstehe. Daran müsste die Frage anschließen, inwieweit die ÖVP sich noch als konservative Partei verstehen will. Odo Marquard, der große Skeptiker, hat die Überzeugung formuliert, dass nicht das Bewahren, sondern die Veränderung begründungspflichtig sei. Und der deutsche Publizist Alexander Gauland hat in einem Furche-Interview (Nr. 22/2003) die Tendenz kritisiert, "Veränderungen per se einmal für gut zu halten, um dann zu sehen, was aus der Veränderung wird". Die derzeitige ÖVP, so hat es den Anschein, weiß mit solchen Überlegungen nicht viel anzufangen.

rudolf.mitloehner@furche.at

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