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Selbstgebremste Renaissance

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Rund zweitausend Dienstnehmer der Bundesbahn werden im Laufe des heurigen Jahres ihren blauen Diensthut an den Nagel hängen und in den sicherlich wohlverdienten Ruhestand treten. Diese zweitausend ÖBB-Pensionisten des Jahres 1972 werden aber nicht nur in den Erste-Klasse-Abteilen der Bahn ihren Niederschlag finden, sondern auch im Budget. Dort hat man dem Abgang von zweitausend Dienstnehmern bereits Rechnung getragen und die freiwerdenden Dienstposten gleich eingespart — und hat damit eine Maßnahme gesetzt, die den Bundesbahnen grünes Licht zur Fahrt ins finanzielle Chaos gibt.

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Rund zweitausend Dienstnehmer der Bundesbahn werden im Laufe des heurigen Jahres ihren blauen Diensthut an den Nagel hängen und in den sicherlich wohlverdienten Ruhestand treten. Diese zweitausend ÖBB-Pensionisten des Jahres 1972 werden aber nicht nur in den Erste-Klasse-Abteilen der Bahn ihren Niederschlag finden, sondern auch im Budget. Dort hat man dem Abgang von zweitausend Dienstnehmern bereits Rechnung getragen und die freiwerdenden Dienstposten gleich eingespart — und hat damit eine Maßnahme gesetzt, die den Bundesbahnen grünes Licht zur Fahrt ins finanzielle Chaos gibt.

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Denn die 2000 Pensionsanwärter des Jahres 1972 sind nur ein bescheidender Anfang einer Pensionierungswelle, die noch rund zehn Jahre anhalten wird: die aber der Bundesbahn die einmalige Chance der Generalsanierung bietet. Die Einsparung durch Verkehrsminister Frühbauer im Budget scheint aber dennoch der falsche Weg zu sein. Es handelt sich um nicht mehr als eine optische Maßnahme, deren Auswirkung noch gravierender wird, wenn man bedenkt, daß die mit 3. Jänner des Jahres in Kraft getretene Arbeitszeitverkürzung einen zusätzlichen Bedarf von weiteren zweitausend Dienstnehmern erzeugt, der nun durch Überstunden kompensiert werden muß.

Zugsverspätungen, offene Schranken

Die auf Grund der Altersstruktur der Bundesbahnbediensteten noch rund zehn Jahre anhaltende große Pensionierungswelle könnte die heimischen Staatsbahnen zwar aus dem dräuenden Finanzchaos retten. Würden nämlich die Abgänge nicht durch Neueinstellung ersetzt, sondern durch gezielte Rationalisierungsmaßnahmen und Automatisierungsinvestitionen ausgeglichen, so könnte ohne soziale Härten die Kosteninflation auf der Personalseite aufgefangen und ein echter Sanierungsprozeß eingeleitet werden. Die Renaissance der Schiene, von der man immer wieder hört, wäre damit so gut wie eingeleitet.

Vorläufig aber kämpft man bei der Bahn noch. Nicht zuletzt mit dem eigenen Image: Im abgelaufenen Jahr gab es rund 14.700 Zugverspätungen, wobei nur ganze 241 Verspätungen auf „Bahnwetter“ — Schneetreiben, Nebel, Schneeverwehungen usw. — zurückzuführen waren. Im vergangenen Jahr waren mehr als 400mal in Österreich Eisenbahnschranken offen geblieben. Die Massenmedien sparten nicht mit Kritik und in der Budgetdebatte zum Kapitel Verkehr schob der Zentralbetriebsratsobmann der ÖBB, der ob seiner rauhbeinigen Aussprüche bekannte Nationalratsabgeordnete Ulbrich, den Autofahrern den „Schwarzen Peter“ zu: Sie seien schuld an den Unfällen auf Eisenbahnübergängen. Die Zeitung „ÖBB in Wort und Bild“ meinte dazu in ihrer Nummer 12 / 1971, daß „auf 140.000 Schrankenschließungen ein Fehler komme. Das beweist eigentlich ein ... fast lOOprozentiges Maß an Sicherheit“. Anderseits bedeutet aber „ein Schranken, der nicht geschlossen ist „auch für die ÖBB-Zei-tung „einen schweren Mangel an Sicherung“. Die „ÖBB in Wort und Bild“ spricht aber auch noch eine andere Grundwahrheit aus, indem sie meint, „daß die Qualität eines Sicherungssystems ja auch eine Frage des Aufwandes ist“.

Der Aufwand für den Ausbau von Sicherheitseinrichtungen aber ist bei den ÖBB sehr gering. Man hat im Gegenteil aus den 483 offengebliebenen Schranken außer einer geschickten Berechnung zur Selbstverteidigung offenbar nicht viel gelernt: Das Budget sieht für 1972 nur um 8 Millionen Schilling mehr an Ausgaben für Sicherheitseinrichtungen vor.

Dabei ist man bei der Bahn durchaus guten Willens. Aber man verheddert sich auch im ruhenden Verkehr: die größte Rangierbahnhofdichte in Europa ist ein Erbe der Monarchie. „Allein im Räume Wien gibt es 16 Rangierbahnhöfe“, meinte der sozialistische Generaldirektorstellvertreter Dipl.-Ing. Dultinger — ein Konstrukteur von internationalem Ansehen: „Wenn man bedenkt, daß ein Lastzug von Innsbruck nach Korneuburg über Nacht in Hütteldorf anlangt, dann jedoch drei Tage braucht, bis er nach Korneuburg umrangiert ist, wird es verständlich, daß dieses Gewirr von Bahnhöfen gelichtet werden muß.“ Und die Bahnhofsdurchforstung müßte eigentlich auch Hand in Hand mit der Pensionierungswelle gehen. Das Zauberwort für den Verkehrsminister kann also nur „Rationalisierung“ heißen.

Zwar hat das Investitionsprogramm der ÖBB„ das für die Jahre 1971 bis 1980 Bruttoinveslitionen von 24 Milliarden Schilling vorsieht, die Genehmigung der Regierung erhalten, aber schon bei der Erfüllung der vom Finanzminister in seiner Budgetrede angekündigten Fremdfinanzierung von 500 Millionen für das beginnende Jahr ist mit erheblichen Kürzungen für Rationalisierungsarbeiten zu rechnen. Während jedoch in anderen Bereichen der chronische Geldmangel des Staates als Entschuldigung angeführt werden kann, trifft dies auf die Bundesbahn nicht zu: Hier haben Investitionen eine Rationalisierungsrendite von 20 bis 40 Prozent per anno. Das heißt nichts anderes, als daß die mit Hilfe dieser Investitionen erzielbaren Personaleinsparungen das investierte Kapital bereits in zweieinhalb bis maximal fünf Jahren wieder zur Gänze hereinbringen würden. Und deshalb besteht für Verkehrsminister Frühbauer die dringende Veranlassung, den Bundesbahnen die Beschaffung der notwendigen Mittel am Kapitalmarkt zu ermöglichen.

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