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Abgedrehter Protest

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Londoner nennen sie „Underground“ und benützen sie seit 1890; Paris lebt mit und in seiner „Metro“ seit 1900. In Wien soll mit dem Bau der U-Bahn im Spätherbst 1969 begonnen werden.

Am 28. Jänner 1968 genehmigte der Gemeinderat die erste Ausbaustufe. Scheinen soweit die technischen Probleme in „jahrelangen Vorstudien“ zumindest to etwa gelöst zu sein, so ist die Frage der Finanzierung bis heute nach wie vor ungeklärt. Bundeskanzler Dr. Klaus hat bereits im Herbst 1967 „die Notwendigkeit einer Beteiligung des Bundes“ an den mlit ungefähr 5,2 Milliarden Schilling bezifferten Kosten der ersten Ausbaustufe unterstrichen. Im Dezember 1968 wurde in Gesprächen zwischen Finanzminister Dr. Koren und Vizebürgermeister Slavik vereinbart, daß sich der Bund mit 2,4 Milliarden an dem Bauvorhaben beteilige. Beginnend mit dem 1. Jänner 1970 soll in zwölf Jahresraten (von unterschiedlicher Höhe) diese Summe aufgebracht werden. Dieser Betrag versteht sich als Fixbetrag, d. h. daß durch nachträglich notwendig werdende Planungsänderungen oder sich ergebende Kostensteigerungen die Summe nicht erhöht werden bann. Weiter kam man überein, daß „die Bundes-zuscbüsse nur bei planmäßig fortschreitendem Bau geleistet“ und die ebenfalls geplante „U-3 nicht vor dem Jahre 1978 begonnen“ werde; über die Finanzierung dieser Linde „werde in Verhandlungen, die zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden“, entschieden. Der Gesetzes-enitwuirf, der diese Vereinbarungen beinhalltet, wurde inzwischen vom Naitionalrat genehmigt und harrt nun im Bundesrat seiner Bestätigung.

Scheint nun der Bundesziuschuß außer Frage gestellt, so ist die Finanzierung durch die Gemeinde Wien nach wie vor ungeklärt. Vizebürgermeister Slavik versucht dieses Problem durch eine „U-Bahn-Son-dersteuer“ zu lösen. Danach soll jeder Diensitigeber, egal ob physische oder juristische Person, der „tninide-

Stens einen Dienstnehmer beschäftigt“, abgabepflichtig sein. Die Abgabe beträgt für „jeden Dienstnehmer und für jede angefangene Woche eines bestehenden Dienstverhältnisses zehn Schilling“. „Der Ertrag der Abgabe fließt der Stadt Wien zu und ist zur Errichtung einer Untergrundbahn zu verwenden.“ In den Erläuternden Bemerkungen zu diesem Gesetz wird festgestellt, daß „die Dienstnehmerabgaibe als steuerliche Abzugspost den Dienst-gabeim tatsächlich nicht in seiner nominellen Höhe treffen wird“. Das heißt also, daß — bezogen auf zehn Jahre, der geplanten Laufdauer dieser Sondersteuer — der Bund weitere 1,5 Milliarden Schilling beisteuern muß; diese allerdings nicht freiwillig.

In einer Verhandlung, die vergangene Woche zwischen Finianzrndni-ster Koren und Vizebürgermeister Slavik stattfand, beschränkte man sich auf die Darlegung der jeweiligen Standpunkte und trennte sich ergebnislos. Wiens Finanzreferent zeigte sich nur in einem Punkt konziliant: die direkte Besteuerung der Bundes- und Gemeiindebedlensteten könnte fallengelassen werden. Im übrigen vertritt er die Meinung, daß „eine Dienstigeberabgabe für die U-Bahn volkwirtschaftilich die beste Lösung“ sei und weiß sich eines Sinnes mit der „Neuen Zeitung“, die „zehn Schilling pro Arbeitnehmer und Woche für eine Firma wirklich nicht arg“ findet. Dabei übersieht man aber, daß vor allem Klein- und Mittelbetriebe die ihnen aus dieser Steuer erwachsenden Kosten auf-den Konsumenten abwälzen werden. Manche Betriebe könnten sogar den Versuch machen, sich dieser Ländersteuer durch Abwanderung in benachbarte Bundesländer zu entziehen.

Stunde der Wahrheit

Für eine nicht geringe Zahl von Geschäften, die bereits durch das Bauvorhaben als solchem behindert sind, käme es durch diese Besteuerung zu einer untragbaren Doppelbelaistung. „Der Wtotschaftstreibende'' forderte

zur Protestaktion der Wiener Wirtschaft gegen die eimseMige U-Bahn-Steuer auf. Und die „Presse“ stellt mit Genugtuung fest: „Es hat zwar lange gedauert, aber schließlich haben sich die Abwebrfronten gegen die U-Bahn-Kopfsteuer des Chefs der Wiener Stadtfinainzen, Slaviik, doch formiert.“

Es mangelt keineswegs an Vorschlägen, die Mittel für den U-Bahn-Bau ohne Sondersteuer aufzubringen. Durch BudgetuniBchlchtungen, das heißt durch ein klares Finanzkonzept, verbunden mit einer Rangordnung der Drtngldchkeit, durch Einbeziehung der sprichwörtlichen „Rathausmilliarde“, weiters durch langfristige Kredite und durch Operationen auf dem AnlÄesektor könnte Kapital beschafft werden. Trotz mianniigfachster Bedenken, Proteste und Warnungen „wird der Wiener Landtag kommenden Freitag mit Mehrheit für das Land Wien eine U-Bahn-Abgabe beschließen“. Im Finanzministerium weist man hingegen wieder darauf hin., „daß mehrere Möglichkeiten bestehen, die Bundeszuschüsee zu blockieren“. — Etwa durch ein Veto im Bundesrat. In sich gespalten freilich harrt die Wiener ÖVP der Dinge, die da kommen. Einige Arrangeure der Koalitionstreue opponieren heftiger gegen den ÖVP-Finanzmtoister, der den Bundesbeitrag blockieren, als gegen den SP-Finanzstadtrat, der die Steuern erhöhen will. Kenner ÖVP-intemer Zustände vertreten die Meinung, daß nun auch für die Wiener Rathausminderheit die .yStunde der Wahrheit“ gekommen sei. Man müsse sich endlich entscheiden, entweder mit den Soziallisten oder mit der Bundes-ÖVP zu marschieren. Immerhin: der Wiener Wirtschaftsbund protestierte mit abgedrehtem Neon- und Schaufensterlicht.

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