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Wo sind die 250 Millionen?

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Als die Baukosten für das neue Wiener Fernwärmewerk Spittelau um 132,9 Millionen Schilling überschritten wurden, gab es in der ÖVP-Gemeinderatsfraktion Alarm. In einer Anfrage verlangten die „oppositionellen Koalitionspartner“ der SPÖ im Wiener Rathaus die Bilanz der im Vorjahr gegründeten „Heizbetriebe-Wien-Ges. m. b. H“, wurden aber von Finanzstadtrat Slavik (SPÖ) auf den Bericht des Kontrollamtes vertröstet. Dieser wurde nunmehr dem Gemeinderat vorgelegt: Bei der ÖVP gab es lange Gesichter, aber genaue Recherchen lassen jetzt einen Skandal im Ausmaß der seinerzeitigen Stadthallen-Fiimpleite vermuten. Das städtische Kontrollamt, das laut Slavik neben den weisungsgebundenen, beamteten Aufsichtsräten die „ausreichende Kontrolle“ des Gemeindeunternehmens garantieren sollte, erschöpfte sich nämlich in einer Formulierung, die von der ÖVP als „Frotzelei“ bezeichnet wird: „Die Heizbetriebe-Wien-Ges. m. b. H.“, so melden die angeblichen „Bluthunde“ des Magistrats, „hat die Versorgung Wiens mit Fernwärme zum Betriebsgegenstand.“ Und nach diesem atemberaubenden Bericht heißt es abschließend: „Das größte Bauvorhaben dieser Gesellschaft ist das Fernwärmewerk Spittelau, in dem auch eine Wärmekraftkupplung vorgesehen ist. Die Gesellschaft hat das erste Rumpfwirtschaftsjahr (I-VIII/69) erwartungsgemäß passiv abgeschlossen.“ Kein Wort über die Baukostenüberschreitung von 400 auf 532,9 Millionen Schilling, kein Wort über die Wirtschaftlichkeit der FernwärmeVersorgung, kein Wort über Flämings- und Verrechruungsmängel, die dem Kontrollanut schon vor vielen Monaten bekannt sein mußten. Denn Unregelmäßigkeiten gab es schon vor Baubeginn, ja sogar vor dem Planungsauftrag: Ein Salzburger Architekt, dem die Stadt Wien schon beim Bau der Müllverbrennungsanlage auf dem Flötzersteig zum Ärger des Bundesrechnungshofes ein außergewöhnliches Maß an Entgegenkommen bewiesen hatte, erhielt van der Gemeinde noch vor dem schriftlichen Planungsauftrag vier Akontozahlungen von insgesamt mehr als 4 Millionen Schilling, was gegen die Wiener Haushaltsordnung verstößt. Anschließend bekam er gleich die Planungsgenehmigung für Objekte, für die der Gemeinderat noch gar nicht das Geld bewilligt hatte. Und als Gegenleistung verrechnete er der Gemeinde die Umsatzsteuer doppelt. Doch diese „kleinen Fische“ standen im Schatten der Gründung eines neuen städtischen Mammutunternehmens, der „Heizbetriebe-Wien-Ges. m. b. H.“, die eines Tages ganz Wien mit Wärme versorgen sollte und der Slavik im Rahmen der „Vision 2000“ auf dem Wiener SPÖ-Parteitag vor der Gemeinderatswahl am 27. April 1969 ein jährliches InvestitionsbedürfJmis von 500 Millionen Schilling voraussagte.

Im ursprünglichen Gründungsantrag wurde der Kapitalbedarf allerdings nur mit 437 Millionen Schiilling für die Jahre 1964 bis 1968 beziffert, wobei man vorerst nur an das Werk Spittelau dachte, das die Wärme für den Neubau des Allgemeinen Krankenhauses liefern sollte. An diesem Werk sollte sich überdies der Bund beteiligen, der ja auch 50 Prozent der Baukosten für das neue Großspital trägt. 1966 nahm es die Wiener ÖVP der ÖVP-Alleinregierung sehr übel, daß Bautenminister und Finanzmimi-ster von einem prozentuellen Anteil für das Wärmewerk nichts wissen wollten und statt dessen unter Verzicht auf jeden weiteren Einfluß pauschal 200 Millionen Schilling zusagten.

Offenbar hatten die ÖVP-Minister aber dafür ebenso ihre Gründe wie die Wiener ÖVP, die vor der Gründung der Gesellschaft genaue Wirt-schaftlichkeitsberechnungen verlangte, damit die Koordinierung mit den gemeindeeigenen Energieträgern Gas und Strom sichergestellt werden könnte. Diese Berechnungen wurden zugesagt, erwiesen sich jedoch bald als falsch. Als die ÖVP dagegen demonstrierte und vor Fehlinvestitionen gigantischen Ausmaßes warnte, begann Slaviks Alleingang, den er damit begründete, daß er dieses große Projekt nicht „verpolitisieren“ lasse.

Was seither geschah, kann wegen mangelnder Transparenz der „Heizbetriebe-Wien-Ges. m. b. H.“ vorläufig nur mühsam in Form kleiner Mosaiksteinchen zusammengetragen werden. Ein Konzentrat davon legte ÖVP-Gememderat Dr. Goller dem Gemeinderat in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause vor. Mit seinen Fragen an die SPÖ erntete er erstaunlicherweise nicht die üblichen Zwischenrufe, sondern hauptsächlich betroffenes Schwjedgen und darüber? hinaus die Erklärung des SPÖ-(^rgginderates JjTofjgtetter, die ÖVP sei gegen alle großen Projekte in Wien, weil sie die Rathausmehrheit beneide. Wenn allerdings die offenen Fragen je beantwortet werden sollten, dürften Slavik und die SPÖ kaum zu beneiden sein:

• Wie konnte die „Heizbetriebe-Wien-Ges. m. b. H.“ im Jahre 1969 Investitionen von mehr' als 60 Millionen Schilling durchführen, wo ihr doch nur 30 Millionen Schilling offiziell bewilligt wurden?

• Wo sind anderseits die 250 Millionen Schilling geblieben, für die zugunsten des 3. Bauabschnittes des Fernwärmewerkes Spittelau ein Gemeinderatsbeschluß gefaßt wurde, die aber nirgends mehr aufscheinen, obwohl der Beschluß niemals rückgängig gemacht wurde und die Heizbetriebe-Gesellschaft bereits gegründet war?

• Wieso feiert ein Bürohochhaus beim Werk Spittelau bereits die Dachgleiche, obwohl seine Errichtung nie im Gemeinderat beschlossen wurde und Finanzstadtrat Slavik auf eine Anfrage erklärt hatte, von diesem 72-MMlionen-Projekt nichts zu wissen?

• Warum werden dem Gemeinderat die Bilanzen des Gemeindeunternehmens nicht vorgelegt, obwohl Slavik inzwischen vom Gemeinderat Kapitalaufstockungen für die „Heizbetriebe-Wien-Ges. m. b. H.“ auf 370 Millionen und die Haftung der Stadt Wien für Kredite van 400 Millionen Schilling verlangt bat? Die Fehlplanungen beim ersten Fernwärmewerk Spittelau, nämlich Mehrkosten durch versäumte Baugrunduntersuchungen, durch das zu kleine Bauareal, durch nachträgliche Projektierung eines notwendigen Kühlturmes und nachträgliche Rücksichtnahme auf die U-Bahn-Planung im Bereich der Fernwärmeleitungen, dürften gegen das Ausmaß dieser Transaktionen kaum noch ins Gewicht fallen.

Eher noch, daß durch die Erdgasverträge mit der Sowjetunion der derzeitige Gasverkaufspreis von 204,30 Schilling pro Gigakalorie auf viele Jahre hinaus gesichert erscheint, daß die Wiener Fernwärme jedoch nach vorläufigen Schätzungen zwischen 235 und 250 Schilling pro Gigakalorie kosten wird, wobei ein Erdgasanschluß für das Werk Spittelau, der vorgesehen war, trotzdem aus unerklärlichen Gründen nicht gebaut wurde.

In der „Vision 2000“ für den Rest dieses Jahrhunderts waren sechs große Fernwärmewerke vorgesehen, die ganz Wien mit Wärme versorgen sollten. Aber auch in der Wiener SPÖ-Fraktion werden bereits Stimmen laut, man solle doch zuerst den „Erfolg“ des Werkes Spittelau abwarten. Denn auch dort fragt man schon seit vielen Monaten nach dem Grund, warum sich Finanzstadtrat Slavik bis heute vergeblich die Füße wund läuft, um private Mineralölftr-men für eine Beteiligung an der „Heizbetriebe-Wien-Ges. m. b. H.“ zu gewinnen...

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