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Gezielt die Bahn forderen

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Die Kosten für die Benützung der Straßen müssen deutlich angehoben werden, fordert Verkehrsexperte Knoflacher.

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Die Kosten für die Benützung der Straßen müssen deutlich angehoben werden, fordert Verkehrsexperte Knoflacher.

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DIEFURCHE: Wie sehen Sie die Zukunft des Schienenverkehrs? Hermann Knoflacher: Die Zukunft sieht stets so aus, wie man sie gestaltet. Wir wissen heute, was zu machen ist. Nur gestalten wir nicht, sondern überlassen die Verkehrsentwicklung ihrer Eigendynamik - und den Lobbies.

DIEFURCHE: Was sind die Folgen dieser Haltung? knoflacher: Die Entwicklung läuft in Richtung Straße. Diese hat für den Benutzer insgesamt die größten Vorteile. Hier kommt typisch das egoistische Prinzip zum Tragen, denn auf diese Weise entstehen die größten Nachteile für die Umwelt und die kommenden Generationen.

DIEFURCHE: Würde die Herstellung von Kostengerechtigkeit die Situation verbessern? Knoflacher: Nein. Das ist eine gern verwendete, aber ziemlich dumme Floskel. Man muß Kostenwirkung erzeugen. Die Frage ist: Wieviel Verkehr will ich auf der Schiene haben? Die Kosten sind dann so zu gestalten, daß der entsprechende Schienenverkehr entsteht. Kostengerechtigkeit ist ein Schlagwort, ein Vorwand, Entscheidungen zu verschieben. Man muß die Kosten für die Benützung der Straßen so lange erhöhen, bis die angestrebte Verlagerung auf die Schiene entsteht.

DIEFURCHE: Hätte die Bahn überhaupt genug Kapazität? knoflacher: Nicht überall, aber in vielen Bereichen. Es gibt sehr viel unausgelastete Schieneninfrastruktur, vor allem bei den Nebenbahnen. Um das zu ändern, müßte man die Randbedingungen umgestalten.

DIEFURCHE: Die Nebenbahnen führen doch durch wirtschaftlich schwache Gebiete. Da läßt sich doch nichts beleben knoflacher: Das stimmt nicht. Wir haben viel grenzüberschreitenden Verkehr auf ””der Straße. Ihn könnte man veranlassen, seine Güter auf die nächste Nebenbahn umzuladen. Sie hat dann sofort eine Funktion. Einige Nebenbahnen könnten außerdem die Hauptbahnen entlasten. Die meiste Zeit verliert die Bahn ja nicht unterwegs, sondern bei der Bildung der Züge. Eine Schwachstelle ist auch die Logistik. Schwierig ist das Verladen und die richtige Anlieferung. Ob ein Zug auf der Strecke mit 60 oder 80 km/h fährt, ist egal.

DIEFURCHE: Welche Maßnahmen halten Sie für vorrangig? knofucher: Zunächst muß die Bahn unter Leistungsdruck gesetzt werden, indem man viel Verkehr auf die Schiene verlagert. Sie ist sehr leistungsfähig und man kann viele Züge durchschleusen, wenn alle annähernd die gleiche Geschwindigkeit fahren. Die Bahnen betreiben aber heute die Anhebung der Höchstgeschwindigkeiten.

Das ist der falsche Ansatz, weil Hochgeschwindigkeitsund Lastzüge mit unterschiedlichem Tempo fahren.

Das verringert die Leistungsfähigkeit. Ich kann aber viel über eine Strecke transportieren, wenn ich in der Geschwindigkeit moderat werde.

DIEFURCHE: Was ist eine moderate Geschwindigkeit? knoflacher: 100 bis 140 km/h auf den Haupt- und 70 bis 80 auf den Nebenstrecken. Strecken, auf denen viel langsamer gefahren wird, bedürften allerdings der Sanierung. Weiters müßten die Bahnhöfe in Ordnung gebracht werden. Auch müßte man die Gemeinden an die Bahn binden.

DIEFURCHE: Was heißt das? knoflacher: Am Bahnhof könnte man ein 24-Stunden-Geschäft aufmachen und die Tourismusinformation ansiedeln. Die Gemeinden sollte praktisch selber den Bahnhof betreiben. Die Güter sollte man flächenhaft sammeln und am Bahnhof umsetzen, ebenso die Post und das gesamte Stückgut. Man sollte die Bahn zum Rückgrat des Verkehrsystems machen.

DIEFURCHE: Die Abwicklung des Güterverkehrs ist bei der Bahn aber sehr kompliziert.. knoflacher: Wir haben heu1 te Computer. Fast jeder Punkt kann jederzeit „on line” erreicht werden. Mit der neuen Ladetechnik, wird die Verladung vereinfacht. Hier müßte technologiemäßig nachgeholfen werden. Viele Güter können mittels Container befördert werden. Da gibt es eine sinnvolle Zusammenarbeit mit dem Lkw-Verkehr. Dieser bringt die Güter aus der näheren Umgebung zur Bahn und diese transportiert die Waren dann über längere Entfernungen. Wahrscheinlich müßte man wie beim Personenverkehr einen Taktfahrplan für Güter einrichten.

DIEFURCHE: Kann man mit der Bahn auch „Just-in-time-Ge-schäfte” abwickeln? knoflacher: Ja, das geschieht ja schon. BMW in Steyr liefert die Motoren mit der Bahn. Eigentlich paßt die Bahn viel besser in diese Art von Lieferungen, fallen doch die Staus weg. Allerdings ist zu sagen, daß „Just-in-time-Geschäfte” nicht der Weisheit letzter Schluß sind.

DIEFURCHE: Sind es Hochgeschwindigkeitsstrecken? knoflacher: Hier lebt eine Eisenbahnnostalgie auf: immer schneller in die Ferne. Die Bahn lebt aber von den Bahnhöfen. Wirtschaftliche Effekte für die Bahn lassen sich nur erzielen, wo Waren umgeladen werden und Personen aus- und einsteigen. Geschwindigkeiten sind nicht entscheidend für die Bahn. Wenn die Leute einmal im Zug sind, der Zug komfortabel ist und ein gutes Service hat, ist alles andere sekundär. Für die Güter gilt ähnliches.

DIEFURCHE: Wie sehen Sie die Situation im Nahverkehr? knoflacher: Da gelten die gleichen Prinzipien. Hier erlebt man, dank der Schnellbahn eine Renaissance des Schienenverkehrs. Wir haben beispielsweise im Raum Wien einen enormen Anstieg der Frequenz nachgewiesen. Hier muß allerdings weiter durch eine mutige Parkraumbewirtschaftung nachgeholfen werden: Höhere Parkgebühren sind überfällig. Solange man umsonst Parkplätze auf der Straße findet, steigen viele nicht auf öffentliche Verkehrsmittel um.

DIEFURCHE: Welche Chancen hat heute eine solche Politik, wie Sie sie fordern? knoflacher: Geringe. Das ist ideologisch festgefahren. Man will heute in Monsterprojekten das Geld verpulvern. Ich sehe daher eher für die Bahn schwarz. Das internationale Bewußtsein hinkt 20 Jahre hinter unserem heutigen Wissen nach. Für die Bau Wirtschaft ist das gut, aber die Bahn wird immer mehr mit Kosten belastet.

DIEFURCHE: Wie beurteilen Sie in dieser Hinsicht die Situation der ÖBB?

Knoflacher: Sie ist heute sicher eines der führenden Bahnunternehmen. Der Taktverkehr hat sich gut bewährt. Der Aufwand war allerdings entsprechend groß. Dem Taktverkehr fehlt jedoch die begleitende Verkehrspolitik. Man kann nicht ein Angebot auf der Schiene machen und daneben Geschenke an die

Straße verteilen: kostenlose Parkplätze, verzerrte Kosten. So wird etwa der Lkw-Verkehr (das zeigen Untersuchungen) je nach Gewichtsklasse bis zu 90 Prozent subventioniert: Ein 38-Tonnen-Zug müßte zwischen Kufstein und Brenner 5.000 bis 6.000 Schilling statt 650 zahlen.

DIEFURCHE: Der Taktverkehr wird aber in Frage gestellt.. knoflacher: Das ist logisch. Er kommt in Schwierigkeiten, weil die Bahn ja betriebswirtschaftlich agieren muß. Unter den derzeitigen Randbedingungen wird sie daher ihre Leistungen zurücknehmen müssen. Die Bahn kann sich selbst nicht helfen. Agieren müssen die Politiker.

DIEFURCHE: Und was bedeutet die EUfiir die Bahn? knoflacher: Sollten wir beitreten, wird die Bahnzukunft noch finsterer. In der EU dominieren die Bauprojekte. Zu kurz kommt hingegen die notwendige Verbesserung der Logistik.

Das Gespräch mit

Univ. Prof. Hermann Knoflacher, dem Forstand des Insti-tus fiir Verkehrsplanung und Verkehrstechnik an der Technischen Universität Wien führte Christof Gaspari

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