Mit der Badner Bahn durch London

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Das charmante und umweltfreundliche Verkehrsmittel Straßenbahn erlebt eine Renaissance, sogar in Städten wie London oder Paris.

Ein Mensch schaut in der Straßenbahn/Der Reihe nach die Leute an:/Jäh ist er zum Verzicht bereit/ Auf jede Art Unsterblichkeit. Ganz so schlimm, wie Eugen Roth dichtete, ist es nicht, mit der Straßenbahn zu fahren. Dennoch sah es nach dem zweiten Weltkrieg so aus, als würde die Straßenbahn in vielen Ländern ihren 100. Geburtstag nicht mehr erleben. Zu übermächtig erschienen die angeblichen Sachzwänge der Motorisierung, die einerseits U-Bahnen, andererseits Bussysteme favorisierten. Mittlerweile ist jedoch eine Trendwende festzustellen, und das umweltfreundliche, leistungsfähige und charmante Verkehrsmittel Tram erscheint in vielen Ländern als der letzte Schrei für die Linderung urbaner Verkehrsprobleme.

Angefangen hatte das alles in der Mitte des 19. Jahrhunderts, als sich in den rasch expandierenden Städten die Notwendigkeit ergab, der rapid anwachsenden Bevölkerung leistungsfähige Beförderungsmittel anzubieten. Die alten Pferdekutschen beziehungsweise "Omnibusse" hatten nur beschränkte Kapazitäten, insbesondere auf den mangelhaften Straßen dieser Zeit. Die Dampfeisenbahn war zwar schon erfunden, aber Dampftraktion wurde für den innerstädtischen Verkehr noch nicht eingesetzt. Die Königsidee war die Pferdestraßenbahn, die ab den sechziger Jahren in den größeren Städten auftauchte.

Am 4. Oktober 1865 eröffnete die Schweizer Tramwaygesellschaft Schaeck-Jaquet & Comp. in Wien die erste österreichische Straßenbahnlinie (und auch eine der ersten weltweit). Die vier Kilometer lange Linie führte vom Schottentor über die Alserstraße-Ottakringerstraße nach Hernals und zurück und wurde bereits 1866 nach Dornbach verlängert (die Linienführung entspricht ungefähr dem heutigen "43er", der somit als älteste Wiener Linie zu gelten hat). Die gute Akzeptanz führte rasch zu weiteren Linien sowie auch zu neuen Firmengründungen. Im Oktober 1883 wurde die erste Dampftramwaylinie von Hietzing nach Perchtoldsdorf errichtet (später nach Mödling verlängert); es folgten dann die Linien nach Stammersdorf sowie Floridsdorf-Großenzersdorf.

In rascher Folge führten dann auch andere Städte der Habsburger-Monarchie dieses moderne Massenverkehrmittel ein: Brünn (1869), Baden (1873), Prag (1875), Triest (1876), Graz (1878) und Linz (1880).

Auch weltweit erlebte das neue Verkehrsmittel einen starken Boom, wobei aber nicht nur Dampf- und Pferdekraft verwendet wurden, sondern auch mit anderen Traktionsarten experimentiert wurde, wie zum Beispiel mit Kabelstraßenbahnen, die vor allem in den USA sehr beliebt waren; dort hatte Chicago (bis 1906) das größte System, heute erinnern nur mehr die paar Linien von San Francisco an eine Technik, die sich mit zunehmender Motorisierung als nicht mehr adäquat erwies. Auch mit verschiedenen Verbrennungsmotoren, Stadtgas, Druckluftkompression und Batterieantrieb wurde - ohne dauerhaften Erfolg - experimentiert.

Der entscheidende Entwicklungsschub kam mit der "Elektrischen", die erstmals 1881 in Berlin von Werner von Siemens vorgestellt wurde. Bereits zwei Jahre später gab es in Österreich eine der ersten elektrischen Bahnen weltweit: die Straßenbahn Mödling-Hinterbrühl und sehr bald begann die Umstellung der Pferde- und Kabelbahnen auf elektrischen Betrieb: die heutige Linie 5 war die erste Linie in Wien, die ab 28. Januar 1897 elektrisch fuhr. Die Vorteile der neuen Technik waren evident: leistungsfähiger als Pferdetraktion, umweltfreundlicher als Dampfzüge sowie geräuscharm und elegant.

Totale Abkehr

Vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs verfügte Wien über 100 Linien mit einem Streckennetz von 265 Kilometer das mit 1.451 Triebwagen und 1.550 Beiwagen betrieben wurde. In der Zwischenkriegszeit erreichte das Wiener Netz mit 292 Kilometer Streckenlänge, 1.754 Triebwagen und 2.201 Beiwagen seinen Höhepunkt. Die Bundeshauptstadt war damit kein Einzelfall, auch andere Städte, wie etwa London, Berlin oder Paris verfügten über ausgedehnte Netze.

Nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch kam es in vielen Ländern zu einer totalen Abkehr von der Straßenbahn. London und Paris stellten alle Linien auf Busbetrieb um, in Berlin überlebten nur einige Linien im ehemaligen Ostteil der Stadt; praktisch alle US-amerikanischen Städte schlossen ihre Systeme. Tennessee Williams Theaterstück "A Streetcar Named Desire" - wie "Endstation Sehnsucht" im Original heißt - erinnert noch an die in den USA einstmals weit verbreiteten Straßenbahnen. Die Gründe dafür waren vielfältig: in vielen Ländern stand die Erneuerung der veralteten Systeme an, da war es - kurzfristig und kurzsichtig - billiger, Busse anzuschaffen. Auch waren in der Zeit der aufkommenden Motorisierung die schienengebundenen Straßenbahnen, die ja nicht ausweichen können, dem Fetisch Auto im Weg - eine Haltung, die auch dem legendären Wiener "13er" vor 40 Jahren das Leben gekostet hat; seitdem fahren auf dieser Linie Busse, die ihrerseits von den Autos behindert werden.

Dazu kamen mehr oder weniger fragwürdige Aktionen der Buserzeugerfirmen, die gerne bereit waren, geplagten Stadtvätern mit überaus großzügigen Konditionen entgegenzukommen. Nur so ist es zu erklären, dass Länder wie die USA, Großbritannien, Frankreich, Spanien - von wenigen Ausnahmen abgesehen - praktisch "tramfrei" wurden, während Länder wie die Schweiz, Deutschland, Belgien, Holland und Österreich im wesentlichen an der Straßenbahn festhielten. Auch die ehemaligen Oststaaten pflegten schon aus Gründen des niedrigen Motorisierungsgrades ihre Straßenbahnnetze, soweit dies die Budgetmittel zuließen.

Zwar sind die Straßenbahnen in Dornbirn, Klagenfurt, Salzburg, St. Pölten oder Ybbs schon lange Geschichte, aber die größeren Landeshauptstädte haben ihre Netze behalten.

Eine zweite Ursache für das Sterben von Tramlinien war auch die forcierte Errichtung von U-Bahnlinien, der ja auch in Wien einige Straßenbahnlinien zum Opfer fielen. Aber auch Städte mit beispielgebenden U-Bahnnetzen wie London oder Paris haben inzwischen erkannt, dass die Straßenbahn als Beförderungsmittel auf der Oberfläche enorme Vorteile gegenüber dem Busbetrieb hat und als ideale Ergänzung zu Metrosystemen funktionieren kann. Deshalb gibt es mittlerweile nicht nur in einer Reihe von französischen Provinzstädten (wie etwa Nantes, Grenoble oder Straßburg) hochmoderne, elegante und effiziente Straßenbahnen, auch Paris verfügt bereits wieder über zwei Linien. Sogar in so autoverliebten amerikanischen Städten wie Los Angeles, San Diego, Buffalo oder Sacramento findet man heute moderne "streetcars", ebenso wie in Toronto, Edmonton und Calgary in Kanada.

In England machte Manchester den Anfang, gefolgt von Sheffield und heute - erstmals seit fast 50 Jahren - fahren nach dem Motto "Trams beat Jams" auch in London wieder Straßenbahnen. Seit Mai 2000 bieten drei Linien, die Wimbledon, Croydon und Beckenham mit einem 28 Kilometer langen Netz verbinden der dortigen Bevölkerung einen Ausweg aus der täglichen Bushölle. Die positive Aufnahme dieses gar nicht so neuen Verkehrsmittels lässt eine alsbaldige Erweiterung des Netzes erwarten, was auch für die österreichische Exportwirtschaft gut ist. Da England nämlich infolge der jahrzehntelangen Tramway-Absenz über keinerlei diesbezügliches technisches Know-How verfügt, ist es vor allem beim rollenden Material auf Importe angewiesen; und die eleganten Londoner Trams sind "made in Vienna" - ein Produkt der Wiener Bombardier-Werke (ehemals "Lohner"). Die Garnituren, die der U6 beziehungsweise den neuen Badner-Bahn Zügen ähnlich sind, konnten bereits in eine Reihe von Städten exportiert werden: nach Köln, Stockholm oder Saarbrücken; Bestellungen aus Lodz und Istanbul liegen vor. Auch Graz und Linz wollen mit diesen modernen Großraumwagen den öffentlichen Verkehr noch attraktiver machen.

Da Anasibzkawong ...

Die Wiener Stadtväter, die in den sechziger Jahren auch einmal stärker mit dem Gedanken spielten, die "altmodische" Tramway auf den Schrottplatz zu kippen und durch moderne Busse zu ersetzen, haben letztendlich doch an der Straßenbahn festgehalten, die sich nicht nur als umweltfreundlich und wirtschaftlich, sondern auch als extrem leistungsfähig erweist. Die neuen ULF-Garnituren (für "ultra low floor"), die weltweit den Rekord der niedrigsten Einstiegshöhe halten, beweisen, dass die Tram auch im 21. Jahrhundert noch lange nicht zum alten Eisen zählt.

Allerdings, so billig wie einst ist das Vergnügen nicht mehr zu haben: In dem Gedicht "zwa schüling zwanzk" hat H. C. Artmann den damaligen Fahrpreis für eine Fahrt mit dem "71er" zum Wiener Zentralfriedhof festgehalten:

"med an anasibzkawong

en an schwoazzn qaund

met dein batazel

en da linkn haund".

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