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Über Blüte, Niedergang und Renaissance der Tramway anlässlich des europaweiten autofreien Tages am 22. September.

Die goldene Ära der Straßenbahn lag zweifellos in den 1920er und 30er Jahren: Weltweit waren die Städte infolge der Industrialisierung massiv angewachsen - immer mehr Menschen mussten immer weitere Strecken zwischen den neuen Wohnvierteln und ihren Arbeitsplätzen bewältigen. Nachdem ursprünglich Pferde und dann auch Dampfmaschinen die so genannte Tramway gezogen hatten, konnte sich die Straßenbahn durch ihre Elektrifizierung endgültig als das Massenverkehrsmittel im städtischen Raum etablieren. Die erste elektrisch betriebene Tram der Welt verkehrte übrigens in Niederösterreich, zwischen Mödling und Hinterbrühl. Ansonsten waren den Europäern aber stets die Amerikaner voraus: ob in der Technologie, beim Komfort oder der Netzlänge: Verglichen mit den 2.000 Straßenbahnkilometern von Los Angeles nahm sich das ausgedehnte Wiener Liniennetz mit damals 300 Kilometern ziemlich bescheiden aus.

Straßenbahn konkurrenzlos

In ihrer Blütezeit war die Tramway quasi konkurrenzlos: schneller und bei weitem leistungsfähiger als Pferdekutschen - und unvergleichlich billiger als Autos, die sich anfangs noch kaum jemand leisten konnte. Diese Exklusivität führte zu einer hohen Auslastung, wodurch es ökonomisch interessant war, Straßenbahnenlinien auch privat zu errichten und zu betreiben. Während die Tramway-Unternehmen in Europa schon früh von den Kommunen aufgekauft wurden, bestimmten in den Vereinigten Staaten wirtschaftliche Interessen den Straßenbahnausbau. Dort waren die Tramway-Gesellschaften auch als Standort-Developer tätig - und sorgten neben der Verkehrserschließung neuer Siedlungsgebiete auch gleich für die Vermarktung der Grundstücke entlang ihrer Linien. In der Regel wurde mit dem Verkauf der entferntesten Parzellen begonnen, denn je länger der Weg ins Stadtzentrum, umso höher die Fahrpreise - und damit auch die Erlöse der Verkehrsbetriebe. Darin liegt ein Mitgrund für die weitläufige Siedlungsstruktur amerikanischer Vorstädte.

Führte privates Profitstreben zum Boom der Tram in den USA, so bedeutete der Kampf um Marktanteile auch ihren Niedergang. Als Ende der 20er Jahre durch Fließbandproduktion leistbare Autos für eine breitere Käuferschicht hergestellt werden konnten, der Absatz aber hinter den Erwartungen zurückblieb, machten sich die Fahrzeug- und Reifenhersteller gemeinsam mit der Erdölindustrie daran, die Aktienmehrheit der Straßenbahngesellschaften aufzukaufen. Was uns heute als "feindliche Übernahme" aus dem Börsenjargon bekannt ist, praktizierte die US-amerikanische Autolobby schon vor 80 Jahren: Binnen kurzer Zeit wurden im ganzen Land Tramway-Netze stillgelegt. Wer sich nun immer noch keinen Pkw kaufte, fuhr zumindest in Autobussen von Ford, Chrysler & Co.

Demontage aus Profitgier

Etwas zeitverzögert setzte in den 40er und 50er Jahren auch in europäischen Städten die Demontage der Tramway ein: sie galt gegenüber dem Omnibus als technologisch veraltet und nahm dem damals (wie heute) glorifizierten Pkw wertvollen Platz auf der Fahrbahn weg. Wien hat sein Straßenbahnnetz seit 1958 nahezu halbiert. Andere österreichische Städte und Regionen stellten bis in die 70er Jahre ihre Straßenbahnen gänzlich ein: Salzburg, Klagenfurt, St. Pölten, Baden, Mödling und Ybbs, die Verbindung Dornbirn-Lustenau ebenso wie Überlandstraßenbahnen im Salzkammergut oder am Neusiedlersee. Erhalten blieben hierzulande - neben rund 30 vollwertigen Linien in Wien - sechs Linien in Graz, drei in Innsbruck, zwei in Linz sowie eine Linie in Gmunden, die heute als kleinster Tramway-Betrieb der Welt gilt.

Einen Gegenpol zur autoorientierten Verkehrspolitik des reichen Westens bildeten die kommunistischen Staaten Osteuropas. Ihre ökonomische Situation erlaubte die massenhafte Motorisierung der Bevölkerung ebenso wenig wie die flächenintensive Zersiedlung der Peripherie. So setzten die Städte im COMECON zwangsläufig auf das volkswirtschaftlich effizienteste Transportsystem - die Straßenbahn. Im Gegensatz zum Bus mit seiner viel geringeren Kapazität garantierte die strombetriebene Tramway Unabhängigkeit vom Erdöl. Und im Vergleich zur Metro sprachen vor allem die Baukosten für die Tram: Die Mittel für einen Kilometer U-Bahn reichen für zehn Kilometer Straßenbahn. So erweiterte Leningrad - parallel zum Omnibus- und U-Bahn-Netz - sein Straßenbahnsystem zum größten der Welt.

U-Bahn zehnmal so teuer

Vereinzelt haben aber auch Städte in Westeuropa an der Straßenbahn festgehalten. In Zürich etwa entschieden sich die Bürger Anfang der 70er Jahre in einer Volksabstimmung gegen den Bau einer teuren U-Bahn mit einigen wenigen Linien und für eine umfassende Verbesserung des bestehenden, flächendeckenden Tramnetzes samt ergänzenden Bussen. Internationale Beachtung fand dabei vor allem die automatische Vorrangschaltung für den öffentlichen Verkehr an allen Straßenkreuzungen, was die Reisezeiten um bis zu 30 Prozent senkte. Als Lohn für seine innovative Verkehrspolitik weist Zürich seit Anfang der 90er Jahre den geringsten Autoverkehrsanteil aller Großstädte im deutschen Sprachraum auf.

Tramway auf Bahngleisen

Modellcharakter hat auch die Stadt Karlsruhe, wo man ab Ende der 70er Jahre versuchte, die Verkehrsbelastung des Stadtzentrums - insbesondere durch einpendelnde Autos aus dem Umland - in den Griff zu bekommen. Dazu wurden die unterschiedlichsten in der Region vorhandenen Gleissysteme saniert und miteinander vernetzt: Straßenbahnen, marode Lokalbahnen, aber auch Nebenstrecken und sogar Hauptstrecken der Deutschen Bahn. So manche Linie, die schon stillgelegt war oder mit täglich 800 Fahrgästen vor sich hindümpelte, erfuhr durch die Vernetzung mit der gesamten Region sprunghafte Zuwächse von bis zu 12.000 Passagieren pro Tag. Die Karlsruher Tram führt heute direkt in die Zentren der umliegenden Orte hinein und holt dort Arbeits- und Einkaufspendler, Schüler und Studenten quasi vor der Haustür ab. Zwischen den Ortschaften verkehrt die Straßenbahn dann auch auf dem internationalen Eisenbahnnetz - mit bis zu 100 km/h, um wenig später, in der Altstadt von Karlsruhe, in Schrittgeschwindigkeit durch die Fußgängerzone zu gleiten. Vor allem dank der umsteigefreien Direktverbindungen wurde die Tram zu einer überzeugenden Alternative zum Auto.

Tram verhindert Stadtflucht

In den späten 80er und 90er Jahren entdeckten immer mehr Kommunen die Vorteile der Straßenbahn wieder. Bezeichnenderweise waren es US-amerikanische Städte, die nach einem halben Jahrhundert autogerechter Stadtplanung die weltweite Renaissance einläuteten. In Portland wurden angesichts des überbordenden Verkehrs für den Autobahnbau bestimmte Gelder umgewidmet und zur Neuerrichtung einer Straßenbahn verwendet. Auch in Los Angeles kam man zur Einsicht, dass der zügellose Ausbau der Freeways die Stadt zerstören würde: 1990 gingen die ersten 35 Straßenbahnkilometer LA's in Betrieb - und bis 2015 soll wieder ein umfangreiches Schienennetz entstehen.

Auch in Westeuropa begann die Wiedergeburt der Straßenbahn ausgerechnet in jenem Land, wo aus vermeintlichem Fortschrittsdrang die ersten Linien aufgelassen worden waren - nämlich in Frankreich. Städte wie Nantes, Strasbourg oder Rouen nutzen die Straßenbahn heute auch als Instrument der Stadterneuerung - um die Automassen in verkehrsüberlasteten Stadtteilen einzudämmen und verödende Bezirke wiederzubeleben. In Österreich lässt diese Renaissance der Straßenbahn noch auf sich warten. So werden etwa in Wien nach wie vor Straßenbahnlinien stillgelegt, wenn im selben Korridor neue - und von der Bauwirtschaftslobby forcierte - U-Bahnlinien entstehen.

Dabei sind neben den lokalen Effekten auch gesamtstädtische Wirkungen der Straßenbahn zu beobachten. Eine Studie über die Entwicklung französischer Ballungsräume zeigt, dass all jene Städte, die ihren öffentlichen Verkehr - im Wesentlichen durch Straßenbahnen - verbessert haben, ihre Einwohnerzahl halten oder ausbauen konnten, während alle anderen Städte Einwohner an ihr Umland verloren haben. Die jüngste Volkszählung in Österreich wies für die meisten urbanen Zentren hierzulande einen dramatischen Bevölkerungsrückgang aus. Gelten die Wirkungsmechanismen aus Frankreich auch bei uns, so stellt die Stadtflucht den heimischen Verkehrspolitikern ein schlechtes Zeugnis aus.

Der Autor ist Stadtplaner,

Filmemacher und Fachpublizist.

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