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Radfahren ist die energiesparende Alternative

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Verdient ein „Auto mit Kat” die Bezeichnung Umwelt-Auto? Ist Sommer-Benzin ein Öko-Produkt? Am Anfang jeder Diskussion über Umwelt sollte eine Begriffsklärung stehen. In einer Zeit komplexer Zusammenhänge findet man oft den Begriff der Nachhaltigkeit (englisch „sustainability”) anstelle von Umweltschutz, da er präziser den Kern dessen trifft, worum es eigentlich geht. Nachhaltig bedeutet „sehr langfristig ausgerichtet”. Ein zentraler Begriff dabei ist die Reversibilität, das heißt die Frage, welches Erbe eine Technologie zukünftigen Generationen hinterläßt.

Aus diesem Rlickwinkel ist ein „modernes Auto mit Kat” zwar umweltfreundlicher als eines ohne, aber deshalb ist es noch lange kein nachhaltiges Verkehrsmittel - allein schon deshalb, weil die praktisch unumkehrbare C02-Problematik (Klimawandel), an der der Verkehr etwa einen Anteil von 30 Prozent hat, von der Katalysator-Technologie in keiner Weise gelöst wird.

Wenn ein Fußgänger und ein Radfahrer dieselbe ebene Strecke zurücklegen, ist der Radfahrer nicht nur wesentlich schneller am Ziel, sondern er braucht dafür noch weniger Energie als der ohnehin „sparsame” Fußgänger. Er braucht auch weniger als jedes andere Verkehrsmittel, ja selbst weniger als ein Vogel, natürlich bezogen auf das dabei transportierte Gewicht.

Aus der Sicht des Energieverbrauchs (und somit des CO2-Ausstoßes) hat der Mensch mit der Erfindung des

Fahrrades sozusagen die Evolution selbst überholt. Auch wenn der Vergleich mit dem Fußgänger hinkt, da er nur für ebene, glatte Strecken gilt, zeigt er doch das enorme Potential, das hier genutzt werden könnte.

Die Abschätzung der Größenordnung des Beitrages, den das Fahrrad zu einem nachhaltigen Verkehrssystem leisten kann, ist eine vielschichtige Frage. Sie teilt sich im wesentlichen auf einen direkten Beitrag (welche Wege, die motorisiert zurückgelegt werden, können mit dem Fahrrad bewältigt werden), und die Wirkung des Fahrrades als Verkehrsträger auf Siedlungsstruktur und Gewohnheiten selbst (indirekter Beitrag).

Sozialforscher haben herausgefunden, daß von den Fahrten, die heute mit dem Auto zurückgelegt werden, bei attraktiverer Infrastruktur für Radfahrer sowie entsprechender Öffentlichkeitsarbeit kurz- bis mittelfristig etwa 30 Prozent ersetzt werden könnten, im dichtverbauten Gebiet sogar mehr.

Rei diesen Untersuchungen zeigt sich auch, daß die durchschnittliche Weglänge oft überschätzt wird: Im dichtverbauten Gebiet etwa liegt sie bei fünf Kilometer, dabei endet fast die Hälfte der Wege überhaupt schon bei drei Kilometer. Das sind Entfernungen, bei denen das Fahrrad unschlagbar schnell ist: Falls das Auto überhaupt schneller ist, verliert es eine Menge Zeit zur Parkplatzsuche und zum Anmarsch.

Aber auch ungünstiges Klima ist kein wirkliches Argument gegen das Radfahren: In Holland, wo es Städte mit fast 50 Prozent Radverkehrsanteil gibt, regnet es oft und gibt es viel Wind. Und in den nordischen liändern liegen die Radverkehrsanteile oft über denen der südlichen - dort werden die Radwege allerdings auch bei Tagesanbruch oft vor den Fahrbahnen vom Schnee befreit.

Als Strategien zur Radfahrförderung, vor allem im städtischen Rereich, haben sich international bewährt: ■ Großflächiges Absenken der Ge-schwindgkeit des motorisierten Verkehrs (Verkehrsberuhigung, Tempo 30 flächendeckend)

■ Öffnung von Einbahnen in Nebenstraßen (Einbahnen für Radfahrer sind die Ausnahme)

■ Anlage von Radverkehrseinrichtungen in Haupt- und Geschäftsstraßen

■ Öffentlichkeitsarbeit (PR-Kampa-gnen) für das Fahrrad als Alltagsverkehrsmittel, wobei die Vorbildwirkung von Personen des öffentlichen Lebens sehr bedeutend ist

Zumindest genauso interessant erscheint längerfristig der indirekte Effekt durch die Rückwirkung der Verkehrssysteme auf die Strukturen, die sie erschließen. Diese Zusammenhänge gehen weit über das hinaus, was landläufig unter „das umweltfreundliche Fahrrad” (ist leise, emittiert keine Schadstoffe, braucht wenig Platz, ...) verstanden wird.

Verfolgt man den „Aufwand an Zeit für das Zurücklegen von Wegen” (seit es darüber gesicherte Aufzeichnungen gibt), so zeigt sich etwas Verblüffendes: Der Zeitaufwand bleibt im Prinzip immer gleich, nur die Entfernungen werden länger. Was früher zu Fuß, dann mit Pferdekutschen, schließlich mit Straßenbahnen und Zügen, dann mit Autos und Flugzeugen zurückgelegt wurde und wird, sind größere Entfernungen in der immer gleichen Zeit.

War die primäre Aufgabe eines schnelleren Verkehrsmittels stets, Zeit zu sparen, so zeigt sich heute, daß das gründlich mißlungen ist: Sobald eine Autobahn, ein neuer Flughafen oder eine U-Rahnlinie eine Strecke schneller als früher bewältigen lassen, entstehen neue, attraktive Ziele (für Arbeit, Einkauf, Freizeit), die noch weiter weg liegen und für die wir noch schnellere Verkehrsmittel brauchen.

Dazu kommt, daß Infrastruktur für schnelle Verkehrsmittel (Schnellstrassen, Autobahnen, aber auch Hochlei-stungs-Zugstrecken) meist eine sehr unwirtliche Umgebung schafft, die zu immer weiteren „Fluchtfahrten”, etwa in der Freizeit, führt, in die „unverbaute Natur”, bis auch dieses Stück Natur durch eine Schnellstrasse erschlossen ist und so weiter.

Dagegen ist der Rereich des Fahrrades der Nahbereich: Die Urlaubsfahrt beginnt bei der Haustür und nicht nach einigen Stunden Stau auf der Autobahn, zum Einkaufen werden Nahziele dem Shopping-Center am Stadtrand vorgezogen.

Es ist interessant, daß auch von Politikern in letzter Zeit zunehmend von der „Stadt der kurzen Wege” gesprochen wird. Hingegen wagt es kaum jemand, zu sagen, daß, um dieses Ziel zu erreichen, eine massive Förderung des Fahrrades notwendig wäre und eine Reduzierung von schnellem (motorisiertem) Verkehr. Nur so könnte der Teufelskreis der Rückwirkung des Verkehrs auf sich selbst mit allen negativen Regleiterscheinungen auf unsere Umwelt und uns selbst durchbrochen werden.

Der Aufor ist selbständiger Mobilitätsberater und wissenschaftlicher Mitarbeiter der „Arbeitsgemeinschaft Umweltfreundlicher Stadtverkehr.

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