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In den Urlaub: Flugzeug statt Auto

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Der Flugverkehr wächst weltweit explosionsartig. Da hilft es auch wenig, wenn die Flugzeuge weniger Lärm erzeugen und weniger Sprit verbrauchen. 400.000 Überflüge in Österreich werden zur Umweltbedrohung.

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Der Flugverkehr wächst weltweit explosionsartig. Da hilft es auch wenig, wenn die Flugzeuge weniger Lärm erzeugen und weniger Sprit verbrauchen. 400.000 Überflüge in Österreich werden zur Umweltbedrohung.

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Als Charles Lindbergh 1927 erstmals mit einem Flugzeug den Atlantik überquerte, gab es praktisch noch keine Zivilluftfahrt. 1960, nur wenig mehr als 30 Jahre später, wurden allein in Deutschland acht Millionen Passagiere befördert, 1970 weltweit 382 Millionen. 1995 werden es weit über eine Milliarde sein.

Im Jahr 1991

■erhoben sich weltweit 1,1 Milliarden Flugpassagiere in die Luft (knapp über drei Millionen täglich) und legten dabei 1,8 Billionen Kilometer zurück (eine Verdreifachung seit 1971, Prognose bis 2000: eine weitere Verdoppelung).

■ betrug die durchschnittliche Flugweite 1.640 Kilometer (ein Anstieg seit 1970 um 36 Prozent),

■ wurden 226.930 Tonnenkilometer Fracht bewältigt (eine Vervierfachung seit 1971), die IATA-Prognose lautete zu diesem Zeitpunkt: Verdoppelung des Gesamtaufkommens bis 2000, Verdreifachung bis 2010).

Im Jahr 1993 nahm der weltweite Linienflugverkehr durch 182 Fluggesellschaften um drei Prozent gegenüber dem Vorjahr zu,

■ starteten weltweit rund 7.000 zivile Düsenflugzeuge (viermal soviele wie 1970 und die Prognose bis 2010 lautet: jährlich plus sechs bis plus sieben Prozent),

■ waren weltweit rund 11.500 Flugzeuge im Einsatz (Prognose 2010: über 18.000),

■reisten zum ersten Mal mehr Österreicher mit dem Flugzeug als mit dem Auto in den Urlaub,

■wurden in Deutschland über 90 Millionen Passagiere befördert (im Jahr 2000 nach Schätzung des Bundesverkehrsministerium 120 Millionen).

Bei diesen Zahlen könnte man annehmen, daß das Flugzeug längst ein alltägliches Verkehrsmittel auch des „Kleinen Mannes" geworden ist. Die Statistik bestätigt das hingegen weder bei globaler, noch bei mitteleuropäischer Betrachtung:

■Nur acht Prozent der Amerikaner haben überhaupt einen Reisepaß (und können daher ins Ausland fliegen).

■Nur jeder sechste Deutsche fliegt zumindest einmal jährlich.

In Osterreich nahm die Zahl der Flugpassagiere von 1982 auf 1992 um 245 Prozent auf 8,8 Millionen zu. 1994 gab es nach Angaben der Luftfahrtbehörde fast 600.000 Flugbewegungen im österreichischen Luftraum. Die jährliche Steigerungsrate liegt bei rund zehn Prozent. Die österreichweite jährliche Zunahme des Charterverkehrs beträgt plus sieben Prozent.

Selbstverständlich gibt es auch in der Luft Transitverkehr: Osterreich wird von 16 internationalen Luftstraßen überquert - darauf werden jährlich mehr als 400.000 Überflüge verzeichnet.

1994 verzeichnete der Flughafen Wien täglich im Durchschnitt 442 Starts und Landungen und 80 Prozent aller Abflüge in Österreich. Damit ist die Anzahl der Flugbewegungen am Flughafen Wien von 1980 bis 1994 um 95,3 Prozent gestiegen.

Am Flughafen Wien werden heuer 8,5 Millionen Passagiere erwartet, um 800.000 mehr als im Vorjahr und um 600.000 mehr als prognostiziert.

Die neue Prognose lautet: Verdoppelung des Passagieraufkommens bis 2007 und Verdreifachung bis 2015. Der Flughafen weist 59 bedienende Fluggesellschaften mit zusammen 120 Destinationen auf (62 Prozent Kurzstreckenverbindungen, nur 23 Prozent Langstreckenverbindungen).

Ein rasant wachsendes Flugaufkommen erfordert auch ständig Kapazitätserweiterungen am Boden. Vor allem im südostasiatischen Raum entstehen neue, riesige Flughäfen, für die ganze Inseln flachgelegt oder künstliche aufgeschüttet werden.

Der neue Flughafen Hongkongs, Chek Lap Kok, entsteht durch Umgestaltung einer Insel im Südchinesischen Meer zu einer Kunstinsel mit 13 Quadratkilometern Fläche.

Der immerhin 30 Kilometer vom Zentrum Hongkongs entfernte Standort soll mit einer sechsspurigen Autobahn und einer Bahnlinie mit der Stadt verbunden werden, unter anderem über die zweitlängste Hängebrücke der Welt. Auf der Nachbarinsel des Flughafens soll eine Flughafenstadt mit 200.000 Bewohnern entstehen. Dagegen nehmen sich die Ausbaupläne des Flughafens Wien richtig bescheiden aus.

Dennoch lautet die neue Prognose wie gesagt auch hier: Verdoppelung des Passagieraufkommens bis 2007 und Verdreifachung bis 2015. Daher erfolgt eine Velängerung der Pisten und der Bau eines vierten Parkhauses. Ein neuer Pier West wird in wenigen Monaten eröffnet, ein Ausbau der Abflughalle wird überlegt.

1990 wurden weltweit 180 Millionen Tonnen Kerosin verbrannt, das sind zwölf Prozent des Weltölverbrau-ches aller Transportmittel.

Immer mehr Flugzeuge verkehren in den hohen, besonders sensiblen Atmosphärenschichten: 1993 bewegten sich rund 45 Prozent der zivilen Jets in der unteren Stratosphäre.

Die Lärmbelästigung durch österreichische Flughäfen hat sich 1984 bis 1994 halbiert (als „lärmbelastet" gelten Flächen mit einem äquivalenten Dauerschallpegel ab 66 Dezibel), aber für die kommenden Jahre wird bereits wieder ein Anstieg prognostiziert.

Die Steigerungsraten im Luftverkehr lassen sich auch so ablesen: In 52 österreichischen Städten gibt es bereits organisierte Protestgruppen gegen Fluglärm (die Schadstoffbelastung können die Anrainer nicht spüren!), heuer haben sich 27 Initiativen zu einer Plattform gegen Fluglärm zusammengeschlossen.

Derzeit wird der Flugverkehr weltweit durch einen mörderischen Preiskampf angeheizt. Ein Beispiel: Die irische Billigfluggesellschaft Byanair fliegt bereits um 6,8 US Cents je angebotener Sitzmeile. Die zweitfrequentierte europäische Flugverbindung (nach London-Paris) zwischen London und Dublin wird von Ryanair Im Hin- und Rückflug um 59 bis 89 Pfund (950 bis 1450 Schilling) angeboten, was unter anderem durch sparsamsten Personaleinsatz und standigen Einsatz der Betriebsmittel erreicht wird.

Zum Vergleich: Air Lingus: 30 Flugzeuge, 6.000 Beschäftigte (1995 circa 2,8 Millionen Passagiere)

Ryanair: elf Flugzeuge, 585 Re-schäftigte (1995 circa 2,2 Millionen Passagiere)

Derzeit werden Flüge von Wien nach New York manchmal billiger angeboten als solche nach Köln oder Hannover. In den USA besteht ein Trend zu Punkt-zu-Punkt-Verbindungen unter Vermeidung von Umsteigepunkten. Dabei werden Flugpreise ab 200 Schilling angeboten.

Die Konkurrenz führte allerdings in den letzten Jahren auch zu enormen Überkapazitäten, sodaß 1992 am Himmel über Europa fast jeder zweite Flugsessel unbesetzt blieb.

Die Verluste aller „Airlines" in den Jahren 1990 bis 1992 - so schätzt die internationale Luftfahrtorganisation IATA - addierten sich auf über 100 Milliarden Schilling. 1993 betrugen die Verluste aller unter der IATA zusammengeschlossenen Fluggesellschaften 48 Milliarden Schilling.

Die EU erlaubt über eine Hintertür einigen Staaten, ihre (staatlichen) Fluglinien zu subventionieren. Bei den Olympic Airways sind das immerhin 3,40 Schilling pro Passagierkilometer (damit könnte Griechenland jedem Passagier auch einen Kleinwagen gratis zur Verfügung stellen) und bei der Air France immerhin noch 92 Groschen pro Passagierkilometer.

Flugverkehr besteht aber nicht nur aus Personenbeförderung: Ein Viertel der Weltexporte geht durch die Luft auf die Reise. Die Lufthansa, der weltgrößte Luftfrachttransporteur, schickt jährlich sieben Prozent mehr Güter um den Erdball.

Kerosin ist das mit Abstand billigste Mineralölprodukt: ein Liter kostete 1993 in der BRD rund 2,10 Schilling. Lediglich in Schweden gibt es eine emissionsbezogene Abgabe (im Inlandsverkehr). Warum sollten die Flugzeughersteller also an treibstoffsparenden Motoren arbeiten?

Dr Reinhold Christian ist

Geschäftsführer der Osterreichischen Gesellschaft für Ökologie, sein Beitrag ein Auszug aus seinem Vortrag bei der der Veranstaltung „Umweltrisiko Flugverkehr: Stößt die Luftfahrt an ihre Grenzen^" am 6. Dezember in Wien

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