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Kloaken an Donau und Mur

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Der Feldzug gegen unsere allzu verschmutzte Umwelt, zu Wasser und in der Luft, ist gestartet: In einigen Staaten, wie den führenden Industriemächten USA und Japan, bereits vor einigen Jahren, in Mitteleuropa, wo die deutsche Bundesrepublik ihr Wirtschaftswunder mit dem zweiten Platz auf der „Weltrangluftschmutzliste” erkaufte, etwas später.

Österreich ist wieder einmal in den Startblöcken hängengeblieben. Dabei hätten gerade wir Alpenländler gute Uberlebenschancen, wenn sich in nur 29 Jahren der Meeresspiegel um 130 Meter gehoben und an die hundert Millionenstädte dieser Erde überflutet haben wird. Science-fiction? Abwegige Phanta-

sie? Nein, nur die mit blutigem Ernst vorgetragene These des bekannten Washingtoner Umweltschutzexperten Dr. Barry Commoner: „Je mehr Kohlendioxyd in der Atmosphäre, desto heißer wird die Erde. Bis vor zehn Jahren trat eine Erwärmung der Erde ein, die wir registrieren konnten. Wenn dieser Vorgang anhält, dann werden im Jahre 2000 die polaren Eismassen schmelzen, und wenn die schmelzen, wird sich der Meeresspiegel um 130 Meter heben...”

Doch im Interesse der steigenden Bruttonationalprodukte werden immer mehr Kohle, Koks, öle und Benzin verbrannt, die neben anderen Giftstoffen fleißig Kohlendioxyd produzieren und bis dato unseren Planeten um durchschnittlich einen halben Grad Celsius aufheizten.

Für den Österreicher, speziell Großstädter, wird es kaum noch interessant sein, ob dieses globale Problem rechtzeitig gelöst wurde; denn er inhaliert täglich mit der Atemluft das Gift von rund 60 Zigaretten, ob er sich diesen Monat der Antinikotinkampagne der Ärztekammer beugt oder nicht. So erzeugt die stolze österreichische Autofahrernation pro Minute an die 20 Millionen Liter Kohlenmonoxyd, jenes Gift, dessen Luftanteil von 0,01% gesundheitsschädigend, von 0,5% schon tödlich wirkt. Und daß 10,0QQ Autos, während einer Stunde Fahrt so viel Sauerstoff verbrauchen wie alle Österreicher zusammen in der gleichen Zeit zum Atmen benötigen, daß etwa eine Boeing 707 beim Starten die Abgase von 6850 VW-Käfern in die Luft jagt, sollte uns mehr bedeuten als nur eine interessante wissenschaftliche Zahlenspielerei.

Laufend wird die Infrasti-uktur durch Neuerrichtung von Industrieanlagen verbessert; für die Luftstruktur bedeutete dies bisher eine halbe Million Tonnen an Schmutz und Ruß, die in unserem Sozialstaat jedes Jahr gratis an die Lungen von jung und alt zur Verteilung gelangen. Nach wie vor gelangt Getreide und Gemüse aus der unmittelbaren Nachbarschaft stark frequentierter Autobahn- und Straßenabschnitte auf den Essenstisch; darunter Salate, die mit Blei bereits in biologisch gefährlichem Ausmaß „vorgewürzt” sind.

Keine Überwachung

In Spitzen Jahren produziert das Hohe Haus am Ring 150 Bundesgesetze, die alle möglichen und manchmal auch umstrittene Interessen schützen oder zumindest doch schützen sollen. Für den Schutz der Luft allerdings, des Allgemeingutes schlechthin, ist die Paragraphenprotektion geradezu jämmerlich. Etwaige Initiativen zu einem Luftrein-haltegesetz, wie sie schon vor Jahren vom österreichischen Städtebund ausgingen, erstickten im interministeriellen Kompetenzdickicht. Während etwa in Schweden der zulässige Schwefelgehalt in Heizöl mit 1% (Stockholm) bis 2,5% limitiert wurde, die Bleimenge in Treibstoffen nicht mehr als 0,7% überschreiten darf und alle Autos jährlich darauf überprüft werden sollen, daß ihr Beitrag zur Luftverpestung unter 4,5 Gramm Kohlenmonoxyd und unter 2,2 Gramm Kohlenwasserstoff bleibt, haben Österreichs Parlamentarier ein diesbezügliches Gesetzeswerk noch nicht zustande gebracht.

Doch die besten Gesetzeswerke nützen der permanent traktierten Umwelt herzlich wenig, wenn es an Möglichkeiten oder sogar an gutem Willen zur strikten Überwachung ihrer Einhaltung gebricht. Bin treffendes Exempel bietet das österreichische Wasserrechtsgesetz, auch international als eine vorbildliche Regelung dieser Materie gepriesen. Der gute Ruf des Wasserrechts bewahrt weder den Bodensee vor den Abwässern dreier Staaten sowie vor der Prognose Prof. Sontheimers, in längstens zehn Jahren der Eutro-phierung zum Opfer gefallen zu sein, noch etwa die Mur vor einer besorgniserregenden Verschmutzung. In der Steiermark größter Kloake, deren Unratgehalt internationalen Spitzenwerten durchaus nahekommt, werden unterhalb von Graz in einem Fingerhut Wasser Mülionen Keime gefunden.

Nicht weiter verwunderlich, bedenkt man, daß sich in Österreich jährlich 1200 Millionen Kubikmeter Abwasser — zum Großteil von einer Kläranlage unberührt — in Flüsse und Seen ergießen und den guten Willen des Gesetzgebers hinwegschwemmen. Nach Aussage von Prof. von der Emde (TH Wien) sind in Österreich nur etwa 40% der Bevölkerung an eine ordentliche Kanalisation angeschlossen. Reichlich spät baut nun die Stadt Wien eine Großkläranlage, nachdem die ehemals blaue Donau allein vom Kanal der Bundeshauptstadt 270 Millionen Keime pro Kubikzentimeter Zufluß erhält.

Trotz des beachtlichen Grades der Verschmutzung von Luft und Wasser, der in Österreich unter den Augen von Koalitions- und Alledn-regierung erreicht werden konnte, bleibt die Hoffnung, daß der politische Transparentmachungsprozeß der jetzigen Regierung sich auch auf die Umwelt erstrecken wird. Wesentlich ist jedenfalls, daß die von Komitees der roten und schwarzen Reichshälfte in Ausarbeitung befindlichen Sanierungsvorschläge dem tagespolitischen Parteienzwist entzogen werden und ebenso sachlich wie schleunig zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen führen sollen.

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