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Eine europäische Aufgabe

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Der katastrophale Schwund des Holzbestandes in der ganzen Welt zwingt dazu, dieser Erscheinung höchste Aufmerksamkeit zuzuwenden. Hängt doch der Bestand ganzer Kulturkreise ursächlich mit der Erhaltung des Waldes und — im weiteren Sinne — mit der Ernährung, mit dem Klima und der körperlich-seelischen Entwicklunng der Völker zusammen. In dei letzten Zeit hat eine internationale Forstvereinigung in populären Vorträgen auf diese entscheidende Frage hingewiesen. Der Forstmann und Landschaftsarchitekt kennt diese Gedankengänge, da sie in den Büchern von Schultze-Naumburg und von Alwin Seifert niedergelegl sind und nun auch auf die amerikanische Well übergreifen. Es geht aber vorerst vielleicht weniger darum, aus Naturschutzerwägungen Wälder zu erhalten, sondern vielmehr darum den Holzverbrauch drastisch einzuschränken Der nachfolgende Aufsatz behandelt diese Möglichkeit.

Durch Jahrtausende hindurch hat dei Mensch in den Haushalt der Natur eingegriffen. Der seßhaft gewordene Mensel: zerstörte die großen Wälder und ist so zurr Waldfeind Nr. 1 geworden. Die in allen Kontinenten fühlbare Entwaldung ist jetzl bereits ein globales Gefahrenproblem geworden, ein größeres, als es die meisten Verantwortlichen vermuten und erkennen. .

Ueberau nehmen die Lawinen zu, ver karsten die Gebirge, sinkt der Grundwasserspiegel, erheben sich Erd- und Humusstürmc und wandelt sich die Wiese zur Steppe, zui Wüste. Viel zu spät erhob sich der Wider stand gegen den Raubbau an lebenswichtigei Substanz.

Seit der Jahrhundertwende versucht du Forstwirtschaft gegen die fortschreitend; Verringerung der Waldbestände anzu kämpfen. Leider sind in der Bevorzugung der leichter verkaufsfähigen Monokulturer schwere Fehler unterlaufen In den reichen Ländern werden gigantisch anmutende Wiederaufforstungsprogramme aufgestellt, doch sie vermögen keinen Umschwung zu bewirken. Auch bei stärkster Wiederaufforstung bleibt der Nachwuchs weit hinter dem Holzbedarf zurück. Es gibt also nur zwei Wege zur Rettung: Verringerung der Ansprüche und Steigerung der Resourcen.

So verschlingt beispielsweise der Steinkohlenbergbau je 100 Tonnen geförderter Kohle 2 bis 3 Tonnen Grubenholz. Er verbraucht demnach bei 40 Millionen Jahrestonnen rund 100 Millionen Festmeter Holz, das ist der Bestand von 60 0.0 00 Hektar Wald. Gelänge es, das Grubenholz durch Stahl- oder Spannbeton zu ersetzen, so wäre ein gefährlicher Holzfresser ausgeschaltet. Auch in der Bauindustrie kann Holz durch Metall und Beton ersetzt werden, wie es bei der Gleisschwelle weithin gelungen ist. Die Papier- und Zellstoffproduktion verbraucht jährlich rund 150 Millionen Festmeter Holz, es muß daher hier mit allen Mitteln versucht werden, durch richtige Planung einen Ersatzlieferanten für den schonungsbedürftigen Nutzwald z u finden. Dies ist eine Aufgabe von Weltbedeutung und ein Ziel, das der höchsten Anstrengungen der Wissenschaftler und Wirtschaftspolitiker wert ist.

Der erste Versuch in dieser Richtung war die „Plantagenartige Anpflanzung der schnellwüchsigen Faserholzpappel“. Der Zellulosegehalt dieses Faserholzes übertrifft den des Naturwaldes erheblich. Indessen bestehen große Bedenken gegen solche großflächige Kulturen der Schwarzpappel. Andere Versuche, Zellulose aus Kartoffelkraut, Ginster oder afrikanischem Riesengras zu eralten, sind gescheitert. Auch beim Stroh erweist sich die Landwirtschaft als Erstverbraucher.

Aus diesem Grunde ging die Suche nach äußerst raschwüchsigen, von tierischen Schädlingen freien, gegen Dürre, Sturm und Hagelschlag auffallend festen Pflanzen, die eine erstklassige Zellulose enthalten — die Schilf- und Rohrgewächse. Das heimische Wildschilf kommt wenig in Frage, hingegen ist das südlich der Alpen verbreitete Kulturschilf (arundo donax) von unübersehbarer Bedeutung. Leider sind alle Versuche im Altrheintal im strengen Winter 1942/43 gescheitert. Die Erträge wären ausreichend gewesen, aber die Winterbeständig-keit des Schilfes fehlte.

Nun hat Dipl.-Ing. Otto H. Muck vor kurzem mit überzeugendem Zahlenmaterial dargelegt, daß man Wild- und Kulturschilf kreuzen kann und dadurch die Winterhärte und die Wuchsfreudigkeit und Ertragsgüte der Schilfarten vereinigen kann. Weltbekannte Fachleute, wie Prof. v. Bugu-slawski (Gießen), haben mehrfach darauf hingewiesen, daß es möglich wäre, diese Züchtungsauf gaben in Großfeldversuchen binnen fünf bis zehn Jahren erfolgreich zum Abschluß zu bringen. Für die Großraumpflanzungen stehen überall in Europa riesige Flächen zur Verfügung — Moore im Alpenland und in der Ebene, saure Wiesen, für Feld- und Ackerbau wenig geeignete Böden. Im ganzen viele Tausendc von Quadratkilometern. In der Grünlandwirtschaft tragen Sauerwiesen höchstens ein bis zwei Tonnen Streugras, eine moderne Schilfplantage hingegen bringt 13 bis 14 Jahreshektartonnen an Zucker und Zellulose, also das Zehnfache der Sauerwiese.

Außerdem ist Schilf hinsichtlich des Wasserumsatzes und des Einflusses auf den Grundwasserstand ein hervorragender Kli-matisätor, der den Hochwald vielfach übertrifft. Eine Schilfneupflanzung trägt im zweiten Jahre voll, der Wald braucht hierzu 50 bis 80 Jahre. Auch kann die Wuchsfreudigkeit durch das Düngegas Kohlensäure, für das die Kalkalpenkette einen nahezu unerschöpflichen Vorrat besitzt, außerordentlich erhöht werden.

Auch die Frage der maschinellen Erntung, Stapelung und Beförderung der geschnittenen Stengel ist durch die moderne Maschinenbautechnik gelöst worden. Eine Pflanzungskombination Schilf- und Schwarzpappel erweist sich an allen Alleen, Weg-und Rainrändern als windschützender Riegel zwischen den Schilfplantagen besonders wertvoll.

Ohne Beeinträchtigung der traditionellen Landwirtschaft könnten also die Fehlbeträge an Zucker und Zellulose eingebracht werden, die gegenwärtig mit schwerem Devisenaufwand importiert werden müssen.

Auf 1000 Quadratkilometer Oedland könnten jährlich bis zu einer Million Tonnen Schilfzucker und bis zu zwei Millionen Schilfzellulose gewonnen werden. Dieses Areal Würde 100.000 Hektar Wald in bezug auf den Wasserhaushalt und etwa eine Million Hektar Wald hinsichtlich der Zellstoffleistung ersetzen.

Die Bedeutung für die Rettung unserer Wälder durch diese Maßnahme ist klar. Notwendig sind lediglich Forschungs- und Entwicklungsmittel, die für diese große Aufgabe bereitgestellt werden müssen. Dies allerdings wäre eine europäische Aufgabe.

Ein weiterer Aufschub in der Fehlentwicklung der Holznutzung bedeutet sicheren Untergang.

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