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Bevor es zu spät ist.. .

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Für Tirol ist 1984 nicht nur ein Gedenkjahr an den Freiheitskampf von 1809, sondern es wurde kürzlich auch zum „Jahr des Waldes" erklärt. Das kam einigermaßen überraschend und geschah unter dem Eindruck einer sich in erschreckendem Tempo verschlechternden Situation.

Besorgniserregende Berichte von Forstleuten über sich explosionsartig ausbreitende Waldschä-den im Lande und schockierende Erkenntnisse anläßlich eines Besuches von Mitgliedern des Land-und Forstwirtschaftsausschusses des Tiroler Landtages im Erzgebirge veranlaßten die Landesregierung zu Sofortmaßnahmen.

Auch das Ferienparadies Tirol, wo es kaum größere Industriebetriebe gibt, blieb von der Seuche des Waldsterbens nicht verschont. Mitte 1983 erhoben die Tiroler Forstleute einen geschädigten Waldbestand von rund 35.000 Hektar, das sind rund neun Prozent des gesamten Tiroler Waldes.

Inzwischen hat sich die Lage noch wesentlich verschlechtert. Es gibt praktisch keinen Bezirk mit wirklich gesundem Wald mehr. Uberall ist die rasch fortschreitende „Fichtennadelröte" feststellbar, ein Vorstadium des totalen Absterbens des Baumes.

Die Ursachen des Waldsterbens geben den Fachleuten noch etliche Rätsel auf, vor allem was den Verstärkereffekt betrifft. In gut bewirtschafteten Mischwäldern sind die Schäden eher noch größer als in Monokulturen. „Die Schäden treten überall auf", wissen Tirols Förster zu berichten. „Im Schluchtwald auf Silikatgestein bei genügend Feuchtigkeit ebenso wie auf trockenem Kalkboden."

Die Hauptverursacher sind also ohne Zweifel giftige Gase und der „saure Regen", wobei die hausgemachten Umweltbelastungen offenbar am wirkungsvollsten und daher am gefährlichsten sind. Auch in Tirol gibt es einige signifikante Beispiele dafür, allerdings auch Beispiele für erfolgreiche Sanierung.

In den sechziger Jahren griff im Raum Hochfilzen, bedingt durch die dortige Magnesitverarbeitung, das größte immissionsbedingte Waldsterben in Tirol um sich. Seit dem Einbau eines — allerdings sehr kostspieligen — SchwefeldioxidfilteFS hat sich der Wald dort nahezu völlig erholt.

Das Magnesitwerk in Hintertux hingegen arbeitete bis 1975 ohne

Füter. Dann wurde es aufgelassen. Dort sterben noch heute — nach fast zehn Jahren - Randzonen des geschädigten Waldes ab. Die Neuaufforstungen hingegen sind gesund.

In Brixlegg, wo die Montanwerke täglich 1.340 Kilogramm Schwefeldioxid neben anderen Schadstoffen durch die Schlote jagen, sieht die Situation noch traurig aus. Im Raum Brixlegg und Umgebung sind nur noch drei Prozent der Wälder gesund. Der Großteil ist schwer geschädigt. Man hofft allerdings, auch hier eine befriedigende Lösung zu finden. Vorerst fehlt aber noch das Geld.

Man ist sich heute in Tirol der Problematik voll bewußt. Man weiß auch, daß ein Gebirgsland besonders gefährdet ist. Es gibt sogar Stimmen, die sagen, Tirol stehe vor der ernstesten Bedrohung in seiner Geschichte.

„Sollte der Wald total zusammenbrechen, wäre Tirol unbewohnbar", behauptet der Vorstand des Geographischen Institutes der Universität Innsbruck, Franz Fliri. Der Wissenschaftler erinnert an das Beispiel des Schesatobels bei Bludenz, wo man im 19. Jahrhundert einen gewaltigen Kahlschlag vornahm. Bald hernach kam das gesamte Gelände in Bewegung.

Das Verschwinden des Waldes hat verheerende Auswirkungen auf den Wasserhaushalt. Es kommt zu einem viel stärkeren Oberflächenabfluß und in der Folge zu Erosion, zu Muren und Lawinen.

Wenn die Tiroler Landesregierung im heurigen Gedenkjahr zum Schutz des Waldes aufruft, ist das irgendwie auch ein Appell zur Erhaltung eines lebensfähigen und lebenswerten Landes Tirol.

Jedenfalls beschloß man in Ergänzung der bisher getroffenen Maßnahmen ein Siebenpunkteprogramm. Dieses reicht von der weiteren Senkung des Schwefelgehaltes im Heizöl für den Hausbrand und wirksameren Kontrollen des Heizöls und der Brennanlagen bis zur Anweisung, öffentliche Gebäude mit umweltfreundlichen Brennstoffen zu beheizen. Dazu kommen eine breite Öffentlichkeitsarbeit und Aufklärung in den Schulen.

Ein zehn Punkte umfassender Forderungskatalog wurde an den Bund gerichtet. Darin wird verlangt, die Gesetze und Verordnungen zur Verminderung der Luftbelastung zu verschärfen und an den neuesten Stand der technischen Möglichkeiten anzupassen.

Die Emissionsgrenzwerte für industriellgewerbliche Feuerungsanlagen sollen gesenkt und Altanlagen saniert werden. Für die Erleichterung der Umstellung in Industrie und Gewerbe, insbesondere für den Einbau von wirksamen Abgasfilteranlagen, wird die Bereitstellung von Mitteln aus dem Umweltfonds des Bundes gefordert.

Schließlich sollen möglichst bald nur mehr Kraftfahrzeuge mit katalytischer Verbrennung unter Verwendung von bleifreiem Benzin zugelassen werden.

Der Tiroler Landesrat Alois Parti richtete in diesem Zusammenhang auch an die Bevölkerung den Aufruf, jeder Bürger möge selbst einen entsprechenden Beitrag zum Schutz des Waldes und der Umwelt leisten - in allen einschlägigen Bereichen. Das erinnert fast ein wenig an Andreas Hofers Appell: „Mander, es isch Zeit!"

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