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Geschichte eines Waldes

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Mit „Geschichte eines Waldes“ ist nicht, wie man denken könnte, ein Roman oder eine Novelle gemeint, sondern ein sehr exaktes und im höchsten Grad fachliches Buch, das aber durch seine in mancher Beziehung einzig dastehenden Ergebnisse und Erkenntnisse für alle die von Bedeutung ist, welche für Naturschutz und Heimatkunde Interesse haben. Es handelt sich um ein schwedisches Werk (Bertil Lindquist „Dalby Söderskog", Svenska Skogsvärdsföreningens Förlag, Stockholm), welches übrigens durch eine 14 Seiten lange deutsche Zusammenfassung dem sprachunkundigen Leser leicht zugänglich ist.

Dalby Söderskog ist ein in der Nähe der Universitätstadt Lund liegender südschwedischer Laubwald, dessen Areal etwa 36 Hektar umfaßt. Er wurde im Jahre 1918 Naturschutzgebiet. Man war damals der Meinung, dieser Bannwald vergegenwärtige den letzten Rest der einstigen Mischwälder RUS edleren Holzarten, welche in ferner Vergangenheit Schonen erfüllt hatten. Bald zeigte sich indes, daß der menschlichen Einflüssen entzogene und sich selbst überlassene Forst seinen typischen Aufbau sehr ai verändern begann. Das Ergebnis des Naturschutzes gestaltete sich ganz anders, als man erwartet hatte. Die Einsicht brach sich Bahn, der bestehende Zustand sei nur zu erhalten, wenn man zeitweise Eingriffe mit der Axt mache, ein Vorgehen, das selbstverständlich innerhalb eines Bann- gebietes nicht statthaft ist. Um Klarheit in die sich vollziehenden Veränderungen zu bringen, wurde einem Botaniker und Forstmann, dem gegenwärtigen Stockholmer Professor Bertil Lindquist, 1925 der Auftrag erteilt, den Wald gründlich zu beobachten und zu untersuchen. Die Arbeit war vid umfassender und zeitraubender, als man anfangs dachte, hat aber hervorragende Ergebnisse gezeitigt. Lindquist erforschte sowohl die geschichtliche als auch die biologisch-ökologische Vergangenheit des Naturschutzgebietes und nahm eine umfassende Bestandsbeschreibung vor.

Weder die archivalische noch die mündliche Überlieferung über die Geschichte des Waldes und seine Rolle in der I-andschaft fließen reich, obwohl es mehr als wahrscheinlich ist, daß er eine große Vergangenheit gehabt hat. Im Walde finden sich merkwürdige Wallanlagen, die keineswegs, wie es bisher geschah, als Vieheinhegungen oder als ein Dränagesystem betrachtet werden dürfen, sondern infolge der Art ihrer Konstruktion auf das Vorhandensein einer vorgeschichtlichen „Volksburg“ hindeuten. Innerhalb der Umwallung gibt es gewisse künstlich bewirkte Veränderungen der Erdoberfläche, die vermutlich mit der Burgbestimmung im Zusammenhang stehen, sowie drei sehr große, nicht vom Eis herangebrachte, sondern — wie die chemische Untersuchung der Erdunterlage ergab — durch Menschenhand an ihren Standort beförderte Steinblöcke. Innerhalb und in der Nähe der Umwallung (die nur einen verhältnismäßig kleinen Teil des Forstes umfaßt) ist der Phosphatreichtum der tieferliegenden Erdschichten erstaunlich groß, sogar an einer heute sehr versumpften Stelle, was nur durch einstige Kultureinflüsse erklärbar ist. Gewisse — allerdings nicht sehr deutliche — Reflexe in Lokalsagen, die sich nicht entwickelt hätten, wenn die Wälle zu wirtschaftlichen Zwecken angelegt worden wären, bestärken die Vermutung, Dalby Söderskog wäre ein alter Kultplatz, ein germanischer Opferhjin. Auch die Lage, das Zusammentreffen wichtiger Wege an dieser Stelle, die verhältnismäßige Nähe des alten Thingplatzes von Arcndala (wo sich die Bevölkerung von Schonen, Blekinge und Mailand sammelte) und die berühmte romanische Kathedrale von Dalby — die ihre Entstehung wohl letztlich dem Kampf der Missionäre gegen den Opferhain verdankte — deuten entschieden darauf hin. Iin Mittelalter und in der Folgezeit diente bir 1648 der Wald als Pferdeweide, wie Archivalien aus dem 16. Jahrhu'ndert erkennen, beziehungsweise vermuten lassen. Der biologisch äußerst wichtige Unterwald dürfte damals sehr gelichtet gewesen sein. Zwischen 1648 und 1750 wurde der aus dem Mittelalter stammende Eichen-, Buchen-, Ulmen- und F.schenbestand fast ganz abgeholzt, doch das Aufhören der Bewei- dung und die nachmalige Errichtung der

(heute noch bestehenden) niedrigen Einfassungsmauer aus losen Steinen an Stelle des früheren, ständig an die Bodenvegetation große Ansprüche stellenden Holzzaunes bewirkte eine Verjüngung des Waldes und ein neue Entwicklung des Unterholzes. Der gegenwärtige Eichenforst und einzelne Buchen stammen aus dieser Zeit. Das Verschwinden des benachbarten Skryllewaldes, der bisher die legalen und illegalen Holz- bedürfnisse der Bevölkerung der Umgebung gedeckt hatte, veranlaßte große Schlägerungen im nun wieder in staatlicher Verwaltung befindlichen Forste welcher nicht mehr 'als Viehweide benutzt wurde.

Der anscheinend so friedliche Wald ist, wie der Autor des Buches in einem spannenden Kapitel feststellt, vom heftigen, fast dramatischen Kampf der Baume erfüllt. Die in der Zeit der starken Abholzung gewachsenen und daher nicht sehr hohen alten Eichen werden von den höher strebenden, hundert Jahre jüngeren Buchen bedrängt und haben durch die infolge steigender Beschattung einrretenden Veränderungen im Humus und der ungünstig gewordenen Lichtverhältnisse keine Verjüngungsmög- lichkeiten. Sich selbst überlassen, wird die nun 36 Prozent der Waldfläche einnehmende Eiche in der nächsten Baumgeneration ausgestorben sein. Die Buche aber ist durch die Ulme bedrängt, diese durch die F.sche und sie alle durch das Haselgebüsch. Dalby Söderskog wird, wenn er unberührt bleibt, sich in Zukunft' zum borealen Haselwald zurückentwickeln, der gegenwärtig sehr 'eiten geworden ist. Dieser skandinavische Haselwald fiel einst dem Menschen zum Opfer, als die vorgeschichtliche Bevölkerung des Nordens vom jäger- und Fischerstadium zur Viehzucht überging. Dalby Söderskog, gegenwärtig noch ein Kulturwald, wird allmählich ein Naturwald werden, dann aber, da er als solcher noch nicht im floristisdien Gleichgewicht ist, sich zum konstanten nacheiszeitlichen Urwald zurückentwickeln. Damit ist selbstverständlich eine beträchtliche Verarmung der Flora verbunden. Nicht nur die durch Kultureinflüsse eingewanderten Wiesen- und Ackerlandgewächsc werden verschwinden, auch die normale Laubwaldflora wird sich vermindern. Schon jetzt lassen sich, wie höchst gewissenhaft angestellte Beobachtungen erkannten, sehr fühlbare Verluste feststellen.

Die musterhaft durchgefiihrte Untersuchung, welche übrigens die Tierw’ek, ins besondere die Insekten des Waldes, etwas stiefmütterlich behandelt, hat über ihren Gegenstand hinaus in methodischer Hinsicht Bedeutung. Da es, soweit mir bekannt ist, kein derartiges Buch über einen Wald oder Park auf dem Kontinent gibt, besitzt das Werk für die Natursdiutzbewegung und Heimatkunde größten Wert. Denn es macht ein grundsätzliches und bisher sowohl übersehenes als auch verkanntes Problem deutlich: soll ein Naturschutzgebiet sich selbst überlassen bleiben (dann wird es oft etwas anderes, als es zu der Zeit war, da der Schutz begann) oder soll durch entsprechende Eingriffe die zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhandene Situation erhalten werden? Weiter kann man aus Lindquists Buch die Lehre ziehen, daß die Zusammenarbeit des Historikers mit dem Forstmann, dem Botaniker und Biologen zu höchst wertvollen Ergebnissen führen kann. Wie belehrend wäre zum Beispiel eine unter Berücksichtigung der angegebenen Gesichtspunkte geschriebene Ge chichte des Wiener Praters, des ältesten städtischen Naturparkes der Welt! Welche wichtigen Einsichten könnte man — uni ein anderes Beispiel zu nennen — durch entsprechende Beobachtung und geschichtliche Erforschung der Wälder im alten Bergwerksgebiet des Altvatergebirges, namentlich in Beziehung auf die radikalen Veränderungen in der Bestandszusammen'etzung, gewinnen. Solche Forschungen hätten keineswegs nur lokale Bedeutung. Denn sie würden zu Erkenntnissen führen, welche das — gegenwärtig reichlich unklare — Bild der europäischen Landschaften in verhältnismäßig naher und auch in ferner Vergangenheit wesentlich erhellten. Aber auch dort, wo Banngebiete sich, wie man wenigstens annimmt, noch im Urzustand und daher im faunistisdien und floristischen Gleichgewicht befinden, wie es in Europa bei einigen Naturschutzgebieten der sdiweizeriseben und österreichischen Alpen sowie des Böhmerwaldes und Lapplands der Fall ist, wäre eine ständige Überwachung und Registrierung der sich vollziehenden Vorgänge aus pflegerischen und rein wissenschaftlichen Gründen dringend notwendig. Denn unter Umständen- kann — das ist die wichtigste Lehre, welche das schwedische Buch vermittelt — eine allzu konservative Einstellung, das heißt die radikale Durchführung des Erhaltungsprinzips gegenüber dem zu einem bestimmten Zeitpunkt Vorhandenen ebenso zweckwidrig und verhängnisvoll wirken wie — mit umgekehrtem Vorzeichen — jener Restaurierungswihn der achtziger und neunziger Jahre, der vielen Baudenkmälern unheilbare Schäden zugefügt und manche von ihnen fast vernichtet hat.

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