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Der Vernunft eine Gasse

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Es ist wirklich erfreulich, daß sich am 5. November 1978 in Österreich eine „hauchdünne“ Mehrheit gegen die Inbetriebnahme eines Kernkraftwerkes ausgesprochen hat. Nicht weil sich all die teilweise von Fanatikern vorgebrachten apokalyptischen Visionen einer atomaren Zukunft mittlerweile als wahr herausgestellt hätten. Uhd auch nicht, weil die plutoniumschwangeren Paradeiser aus Zwentendorf den Bestimmungen über Bio-Gemüse nicht mehr entsprechen würden.

Nein, erfreulich ist der Zwenten-dorf-Entscheid aus einem ganz anderen Grunde: Da und dort sind verschwommene Anzeichen dafür zu vermerken, daß die Menschen ihre Köpfe wieder dafür verwenden, wofür sie doch so gut geeignet sind: Zum Denken, und zwar ausnahmsweise auch auf dem Boden der Vernunft. Und das gibt Anlaß zu Hoffnung.

Generell ist freilich zu sagen, daß sich die ausgehenden siebziger Jahre doch ganz wesentlich vom vorangegangenen Jahrzehnt unterscheiden: War damals das immer schnellere, stärkere und größere Auto genauso Ausdruck der frechen Hemmungslosigkeit wie der Griff nach dem Mond, so rücken bei all diesen Entwicklungen heute in erster Linie die Fragezeichen ins Blickfeld. Ja, der eine oder andere Bekannte fühlt sich als modebewußt, weil er Fenster und Türen abgedichtet und im Keller wieder einen ganz ordinären Ofen für Kohlefeuerung aufgestellt hat. Als stünde er bei Christian Dior in der Kundenkartei.

Dieser Entwicklung, in der man sich nicht mehr blindlings zweifelhaften technischen Fortschritten in die Arme treiben läßt, hat die Abstimmung ganz bestimmt den Rük-ken gestärkt. So gesehen hat auch der ölwucher der OPEC-Scheichs nicht nur seinen Preis, sondern auch seinen erzieherischen Wert. Wir denken endlich darüber nach, wie wir die exorbitanten Zuwächse beim Ölverbrauch einigermaßen in den Griff bekommen könnten. Von einer Senkung des Verbrauchs redet ohnehin niemand. Man wird ja bescheiden.

Weil wir uns also am 5. November so etwas wie ein Eigentor geschossen haben (obwohl natürlich die wenigsten wußten, für und gegen welche Mannschaft sie spielten) und weil uns die Scheichs in den Schwitzkasten nehmen, daß uns nur so die Luft wegbleibt, beginnen wir nachzudenken. Wir haben erkannt, daß es ungenügend ist, große, runde Augen zu machen ... und in stummer Wut die Brieftasche zu zücken.

So haben wir also begonnen nachzudenken, weil wir nicht anders können, weil wir uns selbst ungewollt dazu zwingen. Auf diese Umstände brauchen wir keineswegs stolz zu sein. Aber immerhin: wir denken nach.

Um hier aber keinen undifferenzierten „Hymnus an die Freude“ anzustimmen, sei natürlich mit aller Deutlichkeit festgestellt: Was wir uns bisher in der Energiediskussion an Schildbürgerstreichen erlaubt haben, hat nicht annähernd auf der vielzitierten Kuhhaut Platz. Paradebeispiel: Die Sommerzeit. Von allen befürwortet, geliebt und gehätschelt, durchgeistert alljährlich die Sommerzeit die aus dem Winterschlaf langsam erwachende österreichische Landschaft; sozusagen als Pausenfüller zwischen den Auftritten des Schneemenschen Yeti und des Ungeheuers von Loch Ness.

Jetzt aber wirklich zu den positiven Betrachtungen: Noch nie ist über Fragen der Energieversorgung und -Verschwendung soviel geschrieben worden wie in den letzten Monaten und Jahren. Noch nie hat dieses Thema so sehr die politische Diskussion bestimmt wie in den letzten Monaten und Jahren. Und zwar nicht nur in Österreich, sofldern in praktisch allen westlichen Industrienationen versucht man, mit neuen Rezepten dem Würgegriff der Energieverknappung zu entkommen.

In Österreich ist eine Regierungsklausur kaum noch denkbar, in der nicht irgendein Konzept zur Energiesicherung diskutiert würde. Zuletzt wurde sogar ein Maßnahmenpaket beschlossen, mit dem angeblich 20 bis 30 (!) Prozent des jetzigen Energiebedarfes eingespart werden könnten.

Darunter finden sich Punkte wie die Forcierung der inländischen Förderung von Energieträgern (Kohle, Erdöl, Erdgas), der Ausbau der Wasserkraftwerke (insbesondere Kleinwasserkräfte), Nutzung der Kraft-Wärme-Kupplung, Nutzung industrieller Abwärme für Heizzwecke, Verwendung von Biogas und Produktion von Alkohol aus landwirtschaftlichen Uberschüssen.

Alles Punkte, die unbestreitbar vernünftig sind - ob sie auch ökonomisch vertretbar sind, wird man konkret durchrechnen müssen -, die aber mehr wert sein müssen als das Papier, auf dem sie stehen: Man kann unserem Land kaum einen besseren Dienst erweisen, als die Regierung mit zäher Unablässigkeit immer wieder zur Verwirklichung der eigenen Ankündigungen anzuhalten. Und darüber hinaus noch mehr zu tun.

Auch dort, wo die Entwicklungen nicht (ausschließlich) in die Kompetenz der Regierung fallen, gibt es erfreuliche Silberstreifen am Energie-Horizont: Die Bundesbahnen haben jetzt einen Autozug zwischen Wien und Salzburg eingeführt, dessen Benützung schon bei den derzeitigen Benzinpreisen - und den heutigen Einführungstarifen - billiger als der auf der Straße verfahrene Treibstoff sein kann. Ähnliche Billigangebote sollte es in Dutzenden Variationen und auch auf anderen Strecken geben. Zu irgendeinem verbilligten Tarif fahren ohnehin fast alle. Hier stellt sich also die Frage: Mehr ÖBB-Defizite oder noch höheres öl-bedingtes Handelsbilanzdefizit - gar nicht zu reden vom Salat auf der Straße.

Lobenswert ist auch die ÖAMTC-Aktion „Gleiten statt hetzen“. Die bisher unentdeckt gebliebenen Niki Laudas brauchen keine moralische Stütze fürs Benzinverschleudern.

Auch wenn jetzt im Süden von Graz ein kalorisches Kraftwerk errichtet wird und dessen überflüssige Abwärme zur Fernbeheizung von Graz verwendet wird, oder wenn die Wirtschaft immer mehr ihre Liebe für das Sonnengeschäft entdeckt, so sind das doch erfreuliche Zeichen einer leicht geänderten Situation.

Freilich stecken die positiven Entwicklungen am Energiesparsektor noch in den Kinderschuhen. Zum Jubeln ist es noch viel zu früh. Bis der „homo austriacus“ ein wohlgeordnetes Verhältnis zum Umgang mit Energie gefunden hat, bis er Verantwortung verspürt im Umgang mit den Ressourcen dieser Welt, ist der Weg sicher noch ungeheuer weit und steinig.

Man sollte es uns leicht machen, diesen Weg zu gehen. Dazu gehört auch, daß wir nicht allzu rasch wieder auf Atomkraft setzen. Wer von den Streitparteien in der Kerndebatte auch immer vor der Geschichte recht behalten wird, der Würgegriff einer ungewissen Energiezukunft sollte uns nicht zu früh in die Sorglosigkeit entlassen.

Unter dem Motto „Der Vernunft eine Gasse“ darf weitergewürgt werden. Weil anders geht's halt nicht.

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