Die Klima-Show des NACHZÜGLERS

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In Polen wird ab der kommenden Woche der Weltklimagipfel über die Bühne gehen. Doch nicht nur im Veranstaltungsort Katowice liegt der Klimaschutz im Argen.

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In Polen wird ab der kommenden Woche der Weltklimagipfel über die Bühne gehen. Doch nicht nur im Veranstaltungsort Katowice liegt der Klimaschutz im Argen.

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Es ist ein kühler Novembervormittag, die Atemluft halbwegs erträglich, als die rund dreißig Kinder eines städtischen Kindergartens im oberschlesischen Katowice (Kattowitz) händchenhaltend durch die Stadt ziehen -mit Atemschutzmasken. Nachdem sie von ihren Begleitern kindgerecht über die Gefahren der Kohleverbrennung aufgeklärt wurden, stülpen zwei der Kleinen eine Maske über das Gesicht des in Stein gemeißelten Jan Skrzek, der als Liedermacher einst die Zerstörung dieser Region beklagt hatte. "Mein Onkel, der hat einen alten Ofen, da kommt immer so viel Rauch oben aus dem Kamin", sagt einer der Jungen zu Patryk Białas, der als Vorsitzender des Vereins "Bo miasto" die Aktion organisiert. "Dann kannst du deinem Onkel sagen, dass er sich bei mir melden kann, vielleicht können wir ihm helfen", sagt der Aktivist.

Kampf gegen den Smog

Białas ist Klima-Aktivist und Anti-Smog-Kämpfer mit Haut und Haaren. Vor und während des diesjährigen Weltklimagipfels COP24, der in den ersten Dezemberwochen in seiner Heimatstadt Katowice stattfinden wird, organisieren er und seine Mitstreiter Debatten und Ausstellungen, und auch eine Video-Schaltung zu Al Gore, für dessen Climate Reality Project er als Sprecher aktiv ist. In den letzten Jahren sind in Polen viele ähnliche, häufig städtische Umweltschutz-Initiativen entstanden. Sie schreiben sich den Klimaschutz ebenso auf die Fahnen -müssen jedoch zunächst einen anderen Ansatz wählen. "Das Bewusstsein ob des Klimawandels ist in Polen deutlich weniger ausgeprägt als etwa in Deutschland", sagt er im anschließenden Gespräch. Es gehe zunächst um die hautnah erlebten und direkt spürbaren Probleme.

Im oberschlesischen Industrierevier, dessen Hauptstadt das 300.000 Einwohner zählende Katowice ist, wo immer noch knapp zwei Dutzend Steinkohlebergwerke mit etwa 80.000 Bergleuten im Betrieb sind, atmen die Menschen vor allem wegen veralteter Kohleöfen in ärmeren Privathaushalten seit Jahrzehnten die EU-weit schmutzigste Luft. Patryk Białas: "Man kann die Menschen weniger über Fakten zum Klimawandel als solchen, als vielmehr über Themen wie die übermäßige Rodung von Wäldern oder eben den Smog dafür gewinnen, sich zu engagieren." Auch die Bergleute hätten in seiner Erfahrung Verständnis dafür, dass die Kohleförderung auslaufen müsse, wenn sie alternative Arbeitsmöglichkeiten erhielten - etwa als Installateure von Photovoltaik-Anlagen. "Die einzigen, die die Notwendigkeit der Veränderungen verneinen", sagt Białas, "sind Politiker und Gewerkschafter der Kohlegruben."

In der Tat gehören Polens führende Politiker, und dies quer über die Parteigrenzen hinweg, nicht gerade zur Klima-Avantgarde - ganz im Gegenteil. Die seit 2015 regierende, nationalkonservative Recht und Gerechtigkeit (PiS) tritt dabei noch stärker auf die Umweltund Klimabremse denn ihre liberalkonservativen Vorgänger. Die Stein- und Braunkohleförderung ist, obwohl seit 2015 weitere fünf Steinkohlebergwerke geschlossen wurden und die Förderung seit drei Dekaden systematisch sinkt, nach wie vor das energiepolitische Fundament des Landes. Von den 170.000 Gigawattstuden (GWh) in der Stromerzeugung im Land werden etwa 84 Prozent durch Braun- (60 Mio. t) und Steinkohleverfeuerung (71 Mio. t, 2016) gewonnen. Doch auch die zuletzt kräftig gestiegenen Preise für Kohle und CO2-Zertifikate sowie die wachsenden Energiekosten für Verbraucher und Betriebe können die Regierung nicht dazu bringen, entscheidend auf die klimaschädliche Rolle der Kohleverfeuerung zu reagieren. Stattdessen wirft Warschau der EU vor, den Preis für Kohle künstlich hochzutreiben. "Strom aus Kohle wird dem Druck der Preissteigerungen ausgesetzt, das ist das Ergebnis der EU-Klimapolitik", sagte Ministerpräsident Mateusz Morawiecki im August.

Im zeitlich unmittelbaren Vorfeld der COP24 rüsten Polens Politiker zwar verbal etwas ab. Doch das Kernargument der polnischen Seite bleibt: Bei allen verbindlichen Reduktionszielen müssen weltweit die je nationalen Spezifika berücksichtigt werden. So müsse aus polnischer Sicht bei allen Klimazielen dem "Primat der Wirtschaft, der Konkurrenzfähigkeit und der Entwicklung sauberer, moderner Kohletechnologien" mehr Nachdruck verliehen werden, sagte der polnische Energie-Vizeminister Grzegorz Tobiszewski bei einer COP24-Vorbereitungskonferenz im Oktober in Brüssel. Andere Staaten der Welt wie China, Südafrika oder Russland bauten, so der PiS-Politiker, in den vergangenen Jahren ihre Kohleförderung aus.

Kohleimporte steigen

Tatsächlich steigt der Import von Steinkohle nach Polen in den vergangenen Jahren kontinuierlich, mit circa 70 Prozent stammt das Gros des Imports aus Russland. Das liegt daran, dass die Steinkohleförderung in Polen selbst immer schwieriger und teurer wird -und deswegen, im Gegensatz zu den stabilen Fördermengen bei der Braunkohle, seit Jahren rückläufig ist. Dennoch wird die staatlich kontrollierte Kohleholding PGG alleine in diesem Jahr umgerechnet rund 600 Mio. Euro investieren, die Hälfte davon für die Erschließung neuer Steinkohleflöze.

Und auch von der Braunkohle will Polen, ähnlich wie Deutschland, bislang nicht abrücken. Mehr als 20.000 Beschäftigte arbeiten in den fünf Braunkohletagebauen des Landes, weitere rund 80.000 Arbeitsplätze würden direkt mit dem Tagebau zusammenhängen, argumentiert das Energieministerium. Laut einem Strategiepapier des Energieressorts könnten im Rahmen eines "Entwicklungsszenarios" weitere drei Tagebauen eingerichtet werden. So soll bereits 2019 das Fördergebiet im zentralpolnischen Złoczew erschlossen werden und Braunkohle für Polens größtes Braunkohlekraftwerk in Bełchatów liefern -mit einer CO2-Emission von 37 Mio. Tonnen jährlich ist das Anfang der 1980er-Jahren gebaute Kraftwerk der größte CO2-Einzelemittent Europas. 33 Dörfer würden in Złoczew vom Erdboden verschwinden, dennoch scheint die Investition des staatlichen PGE-Konzerns in der strukturschwachen Region besiegelt. "Erneuerbare Energien, vor allem Windräder, werden blockiert, ständig Kohle, Kohle und Kohle. Und dabei habe ich von Premierminister Morawiecki erfahren, dass 40.000 Menschen im Land jährlich wegen Verschmutzung sterben", sagt Stanisław Skibiński von einer Bürgerinitiative, die sich den Plänen widersetzt, in einem Interview.

Tatsächlich fördert die Regierung die Erneuerbaren kaum, oder blockiert sie gar. So ist der Bau neuer Onshore-Windanlagen seit einer Gesetzesnovelle aus dem Jahr 2016 durch eine verschärfte Abstandsregelung faktisch zum Erliegen gekommen, die bis 2016 installierte Leistung aus Windkraft (5,8 GW) hat sich seither nur mikroskopisch erhöht, auch wenn die Regierung nun wieder etwas gegensteuern will. Bei Photovoltaik-Anlagen gibt es zwar stabiles Wachstum, doch die installierte Leistung aus Solarparks und Privatanlagen beträgt mickrige 300 Megawatt -Deutschland etwa kommt mit rund 42.000 Megawatt auf das 140-Fache.

Polen als Letzter in der EU

Diese der Entwicklung saubererer Energien nicht zuträgliche Politik schlägt sich auch in einer aktuellen Bewertung durch das Climate Action Network (CAN) nieder. Im Juni veröffentlichte das internationale Netzwerk von Klimaschutzorganisationen ein Ranking, das Polen auf dem letzten Platz unter allen 28 EU-Staaten auflistet. Bewertet wurden "Fortschritt und Ehrgeiz" bei der Bekämpfung des Klimawandels. Diesen Ehrgeiz anzufachen, dies schreiben sich in Polen immer mehr Experten, AktivistInnen, Bürgerinitiativen und Vereine auf die Fahnen -nicht erst im Vorfeld der Klimakonferenz. 22 von ihnen haben sich in der "Klima-Koalition" zusammengeschlossen. Anfang November hat die Koalition einen offenen Brief an Premierminister Mateusz Morawiecki verfasst, in dem sie die Regierung zu einer radikalen Wende in der Klimapolitik auffordert.

Urszula Stefanowicz, Chefkoordinatorin der Klima-Koalition, lässt auch im Gespräch kein gutes Haar an den Entscheidungsträgern in Warschau. "Diese Regierung hat ebenso wie ihre Vorgänger das gleiche grundsätzliche Problem mit der heimischen Energiepolitik: Sie ist nicht fähig, ehrlich und offen über die Notwendigkeit zu sprechen, aus der Kohlegewinnung und ihrer Verfeuerung auszusteigen und schiebt das Problem nur in die Zukunft auf", sagt Stefanowicz im Gespräch. Stefanowicz beobachtet, dass die polnischen Politiker vor und während der COP24 der Weltöffentlichkeit eine Erfolgsgeschichte verkaufen wollen. "Tatsächlich muss man zwar einräumen, dass die Förderung von Kohle deutlich abgenommen hat", sagt sie. Dies jedoch sei vor allem wegen der radikalen Restrukturierung in den 1990er-Jahren geschehen, die soziale Verwerfungen gezeitigt habe. Außerdem gehe schlicht die billig zu fördernde Kohle aus. "Die Reduktion ist jedenfalls nicht das Ergebnis einer langfristigen, durchdachten und sozial gerechten Strategie für eine Energiewende, denn eine solche Strategie fehlt in Polen nach wie vor."

Solche und ähnliche kritischen Stimmen will die polnische Regierung während der COP24 möglichst still halten. Spontane Demonstrationen sind, jenseits einer bereits geplanten Großdemo am 8. Dezember, auf dem Gebiet der gesamten Wojewodschaft sowie in Kleinpolen während der zwei Wochen dauernden Klimakonferenz mit Hilfe eines Sondergesetzes verboten.

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