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Roter Donau-Strom

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,,Wissen Sie, für den Umweltschutz kann man leicht Dissertationen schreiben, aber..."

Wäre Tamas Beck nicht Präsident der Ungarischen Handelskammer in Budapest, könnte man meinen, einen Wirtschaftsmann des Westens auf das Thema angesprochen zu haben. Ökonomie und Ökologie geraten auch in Jä-nos Kädärs Volksrepublik zunehmend in Konflikt.

Zwar beklagt auch Beck, daß die Auflagen der Regierung — es existiert sogar ein Amt für Umweltschutz — von Jahr zu Jahr härter würden, mit denen die Betriebe mit Abwasser- und Luftverschmutzung fertig werden müßten, doch werden letztlich Umweltfragen wirtschaftlichen Interessen untergeordnet.

Und es werden in den offiziellen Massenmedien die einschlägigen Probleme ausgespart.

Dabei ist Ungarns Umweltsituation in manchen Bereichen bedrohlich angespannt: Eine Ursache dafür ist die Industrialisierung des einstigen Agrarlandes, die ohne Rücksicht auf die Umwelt vorangetrieben wurde. In manchen Regionen des Landes, so kann man von engagierten (und daher kritischen) Ökologen hören, sei „die Luftverschmutzung nach österreichischen Maßstäben bereits unerträglich".

Dazu kommt, daß die chemische Industrie als gut bis überentwik-kelt gilt — nur eben nicht technisch. Vor allem das Problem gefährlicher Abfälle schaffte und schafft Probleme.

Ein Fall steht den besorgten Ökologen Ungarns als besonders dramatisches Beispiel vor Augen: Mitte der siebziger Jahre vergifteten Abfälle einer Arzneimittelfabrik das Grundwasser der Stadt Väc, dem ehemaligen Waitzen am Donauknie. Die Brunnen mußten gesperrt werden: Zuvor hatte ein Biologe zu Untersuchungszwek-ken ein Aquarium mit dem Väcer Wasser gefüllt und Fische darin ausgesetzt. Sie waren binnen weniger Minuten tot.

Zwar bemüht sich das Amt für Umweltfragen, die ärgsten Probleme aufzugreifen, doch fehlt es —wie sich doch die Bilder gleichen — an Durchsetzungsvermögen und Geld.

Problem Nummer eins ist mittel- bis langfristig die Trinkwasserversorgung aus Grundwasserbrunnen entlang der Donau. Und in der Senke unterhalb von Bratislava, dem alten Preßburg, liegt die größte Trinkwasserreserve für Ungarn wie für die CSSR, Trinkwasserreserve für rund fünf Millionen Menschen.

Zum aktuellen Problem der verschmutzten Donauzuflüsse zwischen March und Hron (Gran) aus der nördlich gelegenen Slowakei könnten sich demnächst zwei weitere gesellen: ein österreichisches und ein ungarisches Hainburg.

Ein österreichisches Hainburg könnte in dieser Senke just das auslösen, was die Befürworter bei uns verhindern wollen: Hainburg, so das Pro-Argument (FURCHE 10/1983) muß gebaut werden, um die weitere Eintief ung der Donau und damit ein weiteres Absinken des Grundwasserspiegels zu verhindern.

Die Kehrseite der Medaille: Hinter der Staumauer, also hinter der österreichischen Staatsgrenze, würde die Eintiefungstendenz beschleunigt - mit allen Konsequenzen für die tschechisch-ungarischen Grundwasserreserven im grenzbildenden Donauabschnitt.

Andererseits planen auch die Ungarn ihr erstes Donaukraftwerk: Knapp vor dem Donauknie soll es bei Nagymaros, wenige Kilometer stromabwärts von Esz-tergom (Gran), als ungarischtschechoslowakische Gemeinschaftsanlage errichtet werden — unter Umständen vielleicht sogar mit österreichischen Krediten und unter Beteiligung österreichischer Baufirmen, wie dies zuletzt schon bei der Visite von Kanzler Fred Sinowatz in Budapest angeklungen ist.

Der Energie-Aspekt: Das Kraftwerk soll etwa sieben (sagen Befürworter) bis dreieinhalb Prozent (sagen Ökologen) des Strombedarfes decken — und auf 3,5 Prozent werden vergleichsweise die Netzverluste in Ungarn geschätzt.

Neben energiepolitischen Argumenten für den roten Donau-Strom werden auch in Ungarn verkehrspolitische bemüht: Der Donau-Ausbau zwischen Gabci-kovo (CSSR) und Nagymaros sei nicht zuletzt im Interesse der Großschiffahrt durch den künftigen Rhein-Main-Donau-Kanal notwendig, wobei das Flußbett, heute Grenze, begradigt ins slowakische Innenland verlegt würde.

An diesem Kraftwerksprojekt beginnt sich nun eine Umweltdiskussion zu entzünden, thematisch — mit Schwergewicht Grundwasserproblematik — durchaus jener um Hainburg ähnlich, nur unter ungleich schwierigeren Bedingungen für die Kraftwerksgegner.

Was regimeabhängige Medien übergehen, bemühen sich junge Ökologen mit Flugblättern, Vorträgen und Diskussionen den Ungarn nahezubringen: Umweltbewußtsein. Ihr Slogan: „Energie kann man importieren, Trinkwasser nicht."

Noch sind die ökologischen Interessen in der Bevölkerung schwach, doch sind die Aktivitäten junger Ökologen bereits wirksam genug, um wegen „unverantwortlicher gesellschaftlicher Aktion" verwarnt zu werden.

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