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Gabcikovo oder die gestohlene Donau

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Es ist so angenehm, mit einem Boot auf der Donau von Bratislava gen Südosten zu fahren. Zwar erkennt auch ein Laie unschwer die Folgen vergangener Flußregulierungen und jetziger gigantischer Eingriffe in die Donauauen als Voraussetzung für die Errichtung neuer Kraftwerke, aber einmal recht oberflächlich besehen, hat man den Eindruck eines intakten Systems. Dann plötzlich tauchen die Dämme auf, Schotter links und rechts, bei Dunakiliti das Stauwerk auf ungarischer Seite, das die Magyaren nun nicht in Betrieb nehmen wollen - und damit die Slowaken vor ungeheure Probleme stellen.

Das Kraftwerk Gabcikovo selbst stellt sich momentan als immense Betonwüste dar. Auf einen halben Meter Höhe hat man den 17-Ki-lometer langen Kanal - die neue Beton-Asphalt-Plastik-Donau (Generaldirektor Julius Binder dementiert damit westliche Berichte, man habe die Donau bloß ausasphaltiert) - vor dem Stauwerk bereits mit Donauwasser geflutet, um Umweltauswirkungen auf den Wasserhaushalt zu testen. In der acht Kilometer langen Auslaufrinne steht Grundwasser.

Und jetzt treten die Verteidiger des Kraftwerkes - eines als Gemeinschaftswerk aus der finstersten Breschnew-Ära zwischen Ungarn und der CSSR geplanten Projekts - auf den Plan: Politiker, Umweltfachleute, Wasserwirtschaftler, Juristen. Die Wasserwirtschaftler beschwören den absoluten Hochwasserschutz und die Bedeutung der ganzjährig möglichen Schiffahrt in diesem Bereich: Tausende Laster werde man so von der Straße holen. CSFR-Juristen werfen Budapest Vertragsbruch vor und sprechen damit neben dem möglichen ökologischen und wirtschaftlichen auch das politische Desaster in Mitteleuropa an, das sich an der Gabcikovo-Frage entzündet hat.

Die Betroffenen - Donauschiffer - haben eine klare Einstellung: Man braucht das Wasser, nicht die Vögel und eine möglichst ungehinderte Schiffahrtsrinne. Die jetzige -Grenze zu Ungarn - sei nur zu 60 Prozent im Jahr nutzbar. Die Ungarn sprechen von der „gestohlenen Donau", denn im alten Flußbett wird nach Inbetriebnahme Gabcikovos nur mehr ein Bächlein fließen (siehe Seite 4). Die Slowaken weinen in diesem Fall der kommunistischen Vergangenheit nach: Ein Jahr länger hätte Ungarns Jänos Kädär amtieren sollen, dann gäbe es alle diese Probleme nicht.

Die Slowaken - wer will es ihnen verdenken - sind für ein Ende der Diskussion: Die Föderalregierung würde schon viel deutlicher entschieden haben, flösse die Donau durch Prag, meinen sie - und können nicht verstehen, daß die Magyaren unter dem Hinweis auf die Klausel „rebus sie stantibus" den Vertrag aus dem Jahre 1977 aufkündigten. Die gestohlene Donau ist eine der unzähligen Nachwirkungen des realen Sozialismus in Mittelosteuropa.

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