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Pilgerfahrt zur Mark

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Am 9. Oktober schlössen sich die Grenzen für die Bürger der CSSB, die ein Visum für den Westen, vor allem für die Bundesrepublik, in Händen hatten. Ex Oriente lux — ex occidente Spionage. Aus dem Osten kommt das Licht, aus dem Westen dagegen alles Böse, bis hin zur Konterrevolution. Die Zeitungen wurden wochenlang nicht müde, auf Geheiß des ZK dies den Lesern aufzutischen. Niemand glaubte es ihnen, denn zu viele hatten die Spanne Zeit zwischen politischem Frühling und Herbst genutzt, um den Westen, wiederum speziell die Bundesrepublik, zu besuchen.

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Am 9. Oktober schlössen sich die Grenzen für die Bürger der CSSB, die ein Visum für den Westen, vor allem für die Bundesrepublik, in Händen hatten. Ex Oriente lux — ex occidente Spionage. Aus dem Osten kommt das Licht, aus dem Westen dagegen alles Böse, bis hin zur Konterrevolution. Die Zeitungen wurden wochenlang nicht müde, auf Geheiß des ZK dies den Lesern aufzutischen. Niemand glaubte es ihnen, denn zu viele hatten die Spanne Zeit zwischen politischem Frühling und Herbst genutzt, um den Westen, wiederum speziell die Bundesrepublik, zu besuchen.

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Husäks Pilgerfahrt zum Canossa der harten Währung wird daher kaum jemandem nützen, am wenigsten seinem eigenen Prestige. Die harte D-Mark wandert zunächst in die Staatskasse, um sodann weitere lebensbedrohende wirtschaftliche Planexperimente zu finanzieren. Husäk sprach in einem Interview mit „Rüde prävo“ von seinem Verständnis für die „inneren Konflikte und Schwierigkeiten der westdeutschen Regierung“. Wie freundlich von ihm, sich, Sorgen zu machen — und wie unverfroren, damit von der katastrophalen Unmöglichkeit ablenken zu wollen, sein Regime drüben schmackhaft zu machen. Das wird ihm auch um den Preis eines Zurücksteckens der Bundesrepublik gegenüber nicht gelingen. Den Tschechen und Slovaken aber ist auf andere Weise besser zu helfen.

Was erwarten sie von uns?

Ihnen ist zu helfen, aber anders als Husak es meint, der auf dem Weg des diplomatischen und wirtschaftlichen Kontaktes mit der Bundesrepublik sein Image aufbessern möchte;. Was erwarten die Menschen zwischen Böhmerwald und ungarischer Tiefebene? Um es genauer zu sagen: Was erwarten sie von uns, den Menschen des Westens? Global gesagt: mehr, als wir leisten können.

Fast eine halbe Million Menschen aus der CSSR hatten in den letzten Jahren ersten Anschauungsunterricht bei ihren Westreisen. Aber über das „Anschauen“ kam es auch selten hinaus: volle Läden, glanzvolle Fassade, freundliches Service. Natürlich erwarten sie im Grunde mehr, aber ihre Bescheidenheit, die nicht zuletzt eine Folge ihrer Devisenarmut ist, verbietet ihnen, sich dies einzugestehen. Vor allem würden sie gern Kontakt mit gebildeten und bildungshungrigen Westbürgern haben — ihr eigener Bildungshunger ist groß, und sie sind durch ihre Fernseh-, Kino- und Theaterprogramme ziemlich verwöhnt. Nach der Ausreisesperre gibt es dazu vorerst nur noch zwei Möglichkeiten: die Flüchtlinge in die Familien einzuladen oder seine Ferien in der CSSR zu verbringen und dort Kontakte

zu suchen. In beiden Fällen werden wir Leute aus dem Westen gewiß in erster Linie die Nehmenden sein. Was erwarten die Menschen in der CSSR von uns? Vor allem, daß wir sie nicht abschreiben, sondern unsererseits das politische Eis am Tauen halten. Hoffnung, die kleine Schwester von Glaube und Liebe, ist der beste Verbündete im Kampf gegen Diktatur und Resignation.

Nur kein kalter Krieg?

Vor fünf Jahren wurde die TscheT choslowakei um einen Buchstaben reicher. Aus der CSR wurde die CSSR. Neben der Sowjetunion selbst hatte nun dieses Land als einziges der „Volksdemokratien“ den Sozialismus in sein Wappen aufgenommen. Im Prager Frühling wartete man hoffnungsvoll darauf, diesen ungeliebten Ballast wieder abwerfen zu können. Die Menschen in der CSSR schämten sich der Dekoration! Heute ist die Ernüchterung wieder so groß, daß das Volk mit seinen Ideologen kaum auf emer Brücke Platz findet Spätestens nach der Invasion und einem eigenem Augenschein in der CSSR — wie früher nach dem Mauerbau und häufigen Verwandtenbesuchen in der DDR — brach sie zusammen. Ein bezeichnendes Beispiel war das Weltjugendfestival 1968 in Sofia, wo fanatischs Revolutionäre des Westens, selbst aus Lateinamerika, ihr Damaskus erlebten und geheilt nach Hause zurückkehrten.

Bei deutschen Ideologen dauert es immer länger als bei anderen. Morgenstern hat es ihnen bereits bescheinigt: sie schließen messerscharf, daß nicht sein kann, was nicht sein darf.

Aber auch hier ist die Parallele deutlich: Alle Gutgesinnten in der DDR lehnten und lehnen diese Schützenhilfe ihrer westlichen „Freunde“ nicht weniger ab als die Menschen in der CSSR, die sofort alle Nachteile des westlichen Establishment freudig mit in Kauf nehmen, sobald sie das gelobte Land des Sozialismus, sprich Kommunismus, verlassen können. Die Ereignisse haben es bewiesen. Was muß noch geschehen, damit den blinden Ideologen des Westens die Augen aufgehen?

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