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Der Rückzug ins Private

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Der totale Immobilismus, der seit den siebziger Jahren das politische Leben in der CSSR prägt, wächst sich für das Prager Regime zu einem immer größeren Problem aus: Die - auch vom Kreml — gewünschte „Intensivierung“ der Wirtschaft kommt nicht in Schwung.

Mit dem neuen Kremlherrn Michail Gorbatschow ist das Prager Regime, dessen konservativdogmatischer Flügel und dessen pragmatisch-liberaler Teü sich so in Balance halten,' daß jeder Ansatz von Aktivität bald neutralisiert ist, in Zwänge gekommen: Von Moskau kommt der Druck zu mehr Integration innerhalb der Ostblockwirtschaftsgemeinschaft RGW, zu mehr Qualität und „intensiver Wirtschaft“. Mit rhetorischen Hohlkörpern und Lippenbekenntnissen beim Parteitag im Frühjahr hat sich Prag auch dazu bekannt. Aber das Ergebnis ist niederschmetternd. Neu daran ist nur, daß die Spitzenfunktionäre und Medien der CSSR dies auch in ungewohnt offener Weise eingestehen. „Wir hinken den Qualitätserfordernissen, wie sie der 17. Parteitag formuliert hat, hinterher. Auch im Außenhandel ist der erwünschte Umschwung nicht passiert“. So sprach etwa der slowakische KP-Chef Josef Lenart.

Ganz ähnlich ließ sich auch Ignaz Janak vernehmen, der einräumte, die „technologische Innovation“ schreite zu langsam voran. Politbüromitglied Müos Ja-ke, gleichzeitig der für Wirtschaft verantwortliche ZK-Se-kretar und auch möglicher Hu-sak-Nachfolger, sprach von fortdauernden Irregularitäten bei der Produktion und dadurch verursachten Mißständen und Schwierigkeiten in der Beziehung Produzent-Verbraucher. Durchaus dem sowjetischen Modell nacheifernd, räumen die CSSR-Medien kritischen Leserbriefen viel Platz ein, und hier wird mit Härte „erklärt“, warum die Wirtschaft in der CSSR lahmt.

Dazu eine Leserzuschrift in „Rüde pravo“: „Warum sagt man nicht konkret, daß der Minister Soundso für Mängel verantwortlich ist, warum wird er nicht abberufen und zur Rechenschaft gezogen?“ Diese Leserzuschrift, wiewohl sie das Gegenteü zu beweisen scheint, erklärt in Wahrheit den Immobilismus in der CSSR: Wenn Kritik und Aktivität nichts nützen, warum soll man sich engagieren?

Der kürzlich verstorbene Soziologe und Dissident Jaroslav Klo-f aö ist nach einer breiten Untersuchung zu dem Schluß gekommen: „Noch nie gab es in diesem Lande einen so tiefen Bruch des ganzen Wertesystems, einen so großen Widerspruch zwischen ursprünglichen Idealen und faktischem Verhalten. Leute werden unter dem Druck der Verhältnisse gezwungen, private Interessen vor die gesellschaftlichen zu stellen“. Die Folge: der totale Rückzug ins Private.

Wenn dieser soziologische Befund richtig ist, dann ist es andererseits kein Wunder, wenn die Sehnsucht nach neuer Moral und neuen Werten (abseits der total verbrauchten und unglaubwürdigen Staatsideologie) wächst.

Der Zulauf zu den Kirchen, insbesondere auch zur katholischen Kirche mit ihrem immer kämpferischer werdenden Kardinal Frantiiek Tomaäek an der Spitze, ist dann nur eine logische Antwort, eine „natürliche Reaktion“ auf die Mißstände in der Tschechoslowakischen Republik.

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