6789469-1970_29_08.jpg
Digital In Arbeit

Unfreiwillige Sparer

Werbung
Werbung
Werbung

Selbstgefällig und marktschreierisch hat Dr. Gustav Husak auf der Sitzung des Zentralkomitees der Partei Bilanz gemacht. Der Punkt der Tagesordnung „Ausschluß Alexander Dubcek“ war nicht der einzige, der, den selbstmörderischen Mut der Partei zur Unpopularität erneut ans Licht brachte. Für Millionen Werktätige, so Husak, existiere jetzt eine feste Grundlage der sozialen und rechtlichen Sicherheit. Damit wird ungewollt zugegeben, daß eben die Rechtsunsicherheit bisher die Menschen zu Gegnern ihres Staates machte. Sie dauert aber trotz Husaks Selbstlob unvermindert an. Die Schriftsteller wissen ein Lied davon zu singen, aber auch die Juristen selbst. Die Zurückbehaltung von unmündigen Kindern in der CSSR gegen den Willen ihrer in den Westen geflüchteter Eltern, sei, so sagte kürzlich ein Prager Advokat, ein klarer Verstoß gegen die Menschenrechte. Aber zugleich mußte er die Vertretung des Flüchtlings vor Gerichten der CSSR ablehnen — es würde ihn den Beruf kosten. Der Maulkorb, nicht die Waage der Justitia, hat gesiegt.

Breiten Raum nahm auf der Sitzung der Umtausch der Parteibücher ein. Die Ergebnisse der Unterredungen mit den Parteimitgliedern, referierte der Vorsitzende der Kontrollkommission, hätten bestätigt, daß „die Partei zutiefst vom Rechtsopportunismus erfaßt sei“. Das läßt hoffen, denn im Klartext heißt es nichts anderes, als daß die angebliche Konsolidierung der Partei und des Staates lediglich auf dem Gipfel, nicht aber bei dem Fußvolk stattgefunden hat. Der Satz, daß die Menschen schrittweise Vertrauen zur Führung der Partei und des Staates gewännen — Husak sagte es im einleitenden Teil seines Berichtes —, erweist sich damit als Eingeständnis der Kapitulation. Schrittweise siegt allenfalls die Resignation und die Erkenntnis, daß man zwar nicht mit den Löwen brüllen, ihnen aber auch nicht allein das Futter überlassen solle.

Dies um so mehr, als die Preise weiterhin in schwindelerregende Höhen steigen und das Angebot von Waren mit der Nachfrage, zumal bei erhöhten Löhnen, in keiner Weise mehr Schritt halten kann. Bikinis in guter Qualität bot eine slowakische Zeitung dieser Tage für 400 Kronen an. Das aber ist der reichliche Wochenlohn eines Normalverdieners. Auf Messen und Verkaufsausstellungen im Westen werden petrochemi-sche Erzeugnisse, Glaswaren und Traktoren zu Dumpingpreisen angeboten — Jungverheiratete in der CSSR aber können nach wie vor keine Bettwäsche kaufen. Wenn, dann kostet eine Garnitur mindestens 600 Kronen. Der Hinweis in Husaks Rede, daß die Ausfuhr in die sozialistischen Länder um 16 Prozent gestiegen sei, kann da wenig trösten, solange diese Handelspartner zur Besserung der Devisenlage nichts beitragen können.

In Osaka haben Möbel aus der CSSR Goldmedaillen bekommen — im eigenen Land sind die Nabyteks, die Möbelgeschäfte, ein trauriges und lustloses Angebot von Holzerzeugnissen, die man eher für Halbfertigfabrikate als für Möbel halten könnte. Oben drein sind sie schandbar teuer. Ein Schlafzimmer ist nicht unter 8000 bis 10.000 Kronen zu haben, die Polstermöbel würde man hierzulande allenfalls in Wartezimmern placieren. Noch der primitivste Normalverbrauch, soweit es nicht um Lebensmittel geht, kostet Superpreise. Hotelzimmer unter 60 Kronen gibt es schon lange nicht mehr, die sogenannten Interhotels, in denen man einen annähernden Standard wie in unseren Hotels erwarten kann, kosten 120 bis 200 Kronen. Es nimmt kein Wunder, daß viele ihr Geld lieber auf der Bank deponieren — nicht, wie Husak meinte, auf Grund wachsenden Vertrauens zu ihrer Währung, sondern in der Hoffnung, eines Tages wertbeständigere Waren dafür kaufen zu können. Die drohende Inflation ist durch die Selbstdisziplin der Menschen noch einmal abgewendet.

Vorrang für „Säuberung“

Das Zentralkomitee aber sorgt sich, wie Husak mehrfach betonte, in erster Linie weiterhin um die „Säuberung und kadermäßige Verstärkung“ der gewählten Organe der Staatsmacht. Da diese Arbeit Beschäftigung auf Jahrzehnte garantiert, bleibt die wirtschaftliche Erholung notwendigerweise auf der Strecke.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung