Die erste tschechoslowakische Republik scheiterte nicht nur an Hitler, sondern auch an Prag. Im Jahr 1938 hatten sich die Chauvinisten auf beiden Seiten so weit festgefahren, daß Chamberlain — und nicht Hitler — den Gedanken einer Lostrennung der Sudetengebiete und Einverleibung ins Deutsche Reich unwidersprochen öffentlich vertreten konnte. Mehr als 30 Jahre nach den unglückseligen Erscheinungen um die Deutschen in der Tschechoslowakei kann das leidenschaftslos konstatiert werden. Nicht nur Henleins Leute, auch ihre Prager Antipoden waren Nationalisten. Das Appeasement der englischen Regierung, wie es jetzt dokumentarisch zutage liegt und das schließlich Hitler zu seinen Gewaltstreichen ermunterte, wäre ohne diese unheilvolle Verstrickung nationaler Leidenschaften nicht möglich gewesen — womit es in keiner Weise entschuldigt werden soll.
Der Lebensstandard hat sich in den letzten Monaten in der ČSSR etwas verbessert. Der Mangel an Arbeitskräften zwang zur Heraufsetzung der Löhne, die Abwanderung von Akademikern und technischen Spezialisten in den Westen machte den Verbliebenen Platz für einen Aufstieg in besser bezahlte Positionen. Inserate werben mit Gratifikationen, Betriebswohnungen und zusätzlichen Sozialleistungen. Da gleichzeitig die Pro-Kopf-Arbeitsleistung noch immer weit unter westlichem Niveau bleibt, steigen die Löhne schneller als die Produktion und bringen die Balance aus dem Gleichgewicht.Kurz vor
Mit der ersten Oktobernummer hat sich die „Prager Volkszeitung“, die sich stolz „Das Wochenblatt der Deutschen in der CSSR“ nannte, um ein Wort im Untertitel bereichert. Wer es noch nicht wußte, weiß es jetzt: der „Kulturverband der Bürger der CSSR deutscher Nationalität“, der als Mitherausgeber zeichnet, hat sich als unzulängliches Tarnmanöver erwiesen. Nicht um Kultur, in deren Windschatten gehorsam ein paar Auszüge von Husäk- und Strou-gal-Reden in eine sonst recht gemütliche Familienzeitung eingeschmuggelt wurden, geht es in Zukunft. Jetzt geht es um linientreue
Unter den Schlagstöcken der Polizei, im Donnern der Panzerketten und im giftigen Nebel des Tränengases wurde die vorläufig letzte Darbietung auf der tschechoslowakischen Schaubühne gegeben. Alles andere, was dann kam, hatte kein Publikum mehr, die Akteure waren unter sich. Am 21. August 1969 aber waren die Plätze von Reichenberg bis Preßburg, von Prag bis Pilsen, von Brünn bis Mährisch-Ostrau noch einmal der Ort, wo ein ganzes Volk nach Freiheit rief. Dieser Ruf war identisch noch immer mit jenem anderen: Nech zije Dubcek. Lang lebe Dubcek. Er wollte die Freiheit. Wollte er Unmögliches?
Kein Institut der Tschechoslowakischen Wissenschaftlichen Akademie wurde von der Presse der Okkupanten und den neo-stalinistischen Hardliners so oft und so heftig angegriffen wie das Prager Historische Institut. Seine Reformstruktur aus der Zeit des „Prager Frühlings“ im Jahre 1968 wurde bereits schrittweise und systematisch zerstört. Keine Publikation der Wissenschaftlichen Akademie war so beliebt und verbreitet wie die Zeitschrift dieses Instituts „Cesky Casopis Historicky“. Sie wurde bereits suspendiert. Ob sie noch jemals erscheinen wird, ist mehr als problematisch! Den direkten Anlaß zum Verbot lieferte ein Essay des Historikers Zdenek Solle unter dem Titel: „Der Sinn des modernen tschechischen politischen Programms“, erschienen in Nr. 1 des Jahres 1970.
Japan blieb es vorbehalten, als erstes Land der freien Welt Flüchtlinge aus der CSSR wieder abzuschieben. Die unglaubliche Nachricht ist leider wahr: Sechs junge Mädchen, die sich als Hostessen für die Weltausstellung in Osaka zur Verfügung gestellt hatten, um so ihrem Land für immer den Rücken kehren zu können, sind auf Grund einer Vereinbarung Japans mit den kommunistischen Staaten auf einem sowjetischen Schiff wieder heimwärts befördert worden. Kein Flüchtling aus der CSSR, der sich in Europa oder Amerika, in Asien oder Australien befindet, wird seinen Fuß mehr auf japanischen
Selbstgefällig und marktschreierisch hat Dr. Gustav Husak auf der Sitzung des Zentralkomitees der Partei Bilanz gemacht. Der Punkt der Tagesordnung „Ausschluß Alexander Dubcek“ war nicht der einzige, der, den selbstmörderischen Mut der Partei zur Unpopularität erneut ans Licht brachte. Für Millionen Werktätige, so Husak, existiere jetzt eine feste Grundlage der sozialen und rechtlichen Sicherheit. Damit wird ungewollt zugegeben, daß eben die Rechtsunsicherheit bisher die Menschen zu Gegnern ihres Staates machte. Sie dauert aber trotz Husaks Selbstlob unvermindert an. Die
Schon am Dienstag, den 17. März, meldete Radio Prag überraschenderweise, daß die Bundesrepublik nunmehr die DDR anerkennen werde. Die verblüfften Hörer in der CSSR konnten sich aber in den Abendnachrichten aus Westdeutschland davon überzeugen, daß hier ein Übersoll an Linientreue geleistet worden war. Im übrigen interessiert die Menschen hierzulande die Weltausstellung in Osaka und der Eishockeykampf gegen die UdSSR um ein Bedeutendes mehr als die Gretchenfrage, welche Willi Stoph dem Rundeskanzler gestellt hat.Seit Husäk die Weichen der Politik wieder radikal auf Ostkurs legte, sind