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Mit Salamitaktik

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Kein Institut der Tschechoslowakischen Wissenschaftlichen Akademie wurde von der Presse der Okkupanten und den neo-stalinistischen Hardliners so oft und so heftig angegriffen wie das Prager Historische Institut. Seine Reformstruktur aus der Zeit des „Prager Frühlings“ im Jahre 1968 wurde bereits schrittweise und systematisch zerstört. Keine Publikation der Wissenschaftlichen Akademie war so beliebt und verbreitet wie die Zeitschrift dieses Instituts „Cesky Casopis Historicky“. Sie wurde bereits suspendiert. Ob sie noch jemals erscheinen wird, ist mehr als problematisch! Den direkten Anlaß zum Verbot lieferte ein Essay des Historikers Zdenek Solle unter dem Titel: „Der Sinn des modernen tschechischen politischen Programms“, erschienen in Nr. 1 des Jahres 1970.

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Kein Institut der Tschechoslowakischen Wissenschaftlichen Akademie wurde von der Presse der Okkupanten und den neo-stalinistischen Hardliners so oft und so heftig angegriffen wie das Prager Historische Institut. Seine Reformstruktur aus der Zeit des „Prager Frühlings“ im Jahre 1968 wurde bereits schrittweise und systematisch zerstört. Keine Publikation der Wissenschaftlichen Akademie war so beliebt und verbreitet wie die Zeitschrift dieses Instituts „Cesky Casopis Historicky“. Sie wurde bereits suspendiert. Ob sie noch jemals erscheinen wird, ist mehr als problematisch! Den direkten Anlaß zum Verbot lieferte ein Essay des Historikers Zdenek Solle unter dem Titel: „Der Sinn des modernen tschechischen politischen Programms“, erschienen in Nr. 1 des Jahres 1970.

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Solle beschäftigte sich in seiner Arbeit mit dem tschechoslowakischen politischen Programm nach dem zweiten Weltkrieg. Er wagte es, zu behaupten, daß unter der Führung der Kommunistischen Partei „kein reales Programm“ entwickelt wurde und keine Persönlichkeiten auf der politischen Bühne erschienen seien, die mit FrantUek Palacky oder T. G. Masaryk verglichen werden könnten. Welche Ketzerei von Solle, daß er den „großen Gottwald“, den weniger großen Novotny und ähnliche Größen der KP als politische und ideologische quantite negligable behandelt hatte!

Seit Oktober 1968 fand auch schrittweise eine kalte Säuberung im Historischen Institut statt. Anlaß war die Veröffentlichung des auch im Ausland wohlbekannten „Schwarzbuchs“ mit dem Untertitel: „Sieben Tage in Prag, August 21—27, 1968“; (Dokumentace, Prag 1968, nicht für öffentlichen Verkauf, 496 Seiten). Nur sehr wenige Exemplare wurden vom „Schwarzbuch“ gedruckt, dennoch wurde es zum meistdiskutierten Band der CSSR, wie dies vom Blatt der Schriftstellerunion „Listy“ festgestellt wurde. Die Unverfrorenheit der tschechoslowakischen Historiker lag darin, daß ihr Werk parallel und quasi als Antwort auf das sowjetische Machwerk, das „Weißbuch“ genannt wurde, herausgegeben wurde. Die Verfasser im fremden Sold versuchten die Rechtfertigung der Invasion, die Historiker verurteilten sie in einer unwiderlegbar kühlen Manier.

Erstaunlich die Objektivität des Kollektivs des Prager Historischen Instituts, mit der es den Stoff behandelt hat. Es arbeitete ja in den Tagen, als Sowjetpanzer das Nationalmuseum und das Prager Kinderspital beschossen. Die englische Übersetzung ist bei Frederick Prae-ger in New York 1968 erschienen. Die Wissenschafter gingen mit voller fachmännischer Verantwortung ans Werk. Keine Alltäglichkeit in solchen dramatischen Tagen, daß Wissenschafter ihre berechtigten Gefühle und Ressentiments bekämpften und eine beispiellose Objektivität in der Stunde der Nationaltragödie zur Schau trugen! Sie betonten wiederholt in dem Werk, daß sie mit der sowjetischen Propagandaschrift nicht zu polemisieren beabsichtigten. Die Historiker beschränkten sich auf die klare und kalte Darstellung der geschichtlichen Ereignisse, damit die Politiker und die Historiker der Zukunft darauf zurückgreifen und sich unvoreingenommen objektiv orientieren können. Die Dokumentation des „Schwarzbuchs“ stammt vom Redaktionskollektiv der erwähnten Zeitschrift des Historischen Institutes „Ceskoslovensky Casopis Historicky“, dessen Mitglieder zum größten Teil KP-Mitglieder waren.

war tiefer und viel breiter als ursprünglich erwartet. Die Sowjetintervention und die seither erfolgten brutalen, dramatischen Eingriffe, Liquidierungen und Säuberungen stellten das Werk immer mehr in den Vordergrund des allgemeinen öffentlichen Interesses, womit die Verfasser seinerzeit gar nicht gerechnet hatten.

Von Anfang an war der Haß und die Rachsucht der Gegner des „Schwarzbuchs“ auf die Person des Direktors des Historischen Instituts, Josef Macek, konzentriert. Warum habe er die Erscheinung des Büchleins ererlaubt? Es ist charakteristisch, wie der Direktor des Historischen Instituts aus dem öffentlichen Leben verbannt wurde. Das Zentralkomitee der Partei instruierte das Präsidium des ZK anläßlich der Plenarsession am 30 Mai 1969, daß mit Macek dessen schwere Verletzung der Parteidisziplin „diskutiert“ werden solle. Das erste Resultat war, daß man Macek verbot, im Juni 1969 nach Ostberlin zu reisen, wo er im Auftrag der Wissenschaftlichen Akademie ein Symposion über den „Slowakischen Nationalen Aufstand“ hätte veranstalten sollen. Mit bewährter Salamitaktik wurde er im November 1969 als Direktor des Historischen Instituts kurzerhand vor die Tür gesetzt; im Dezember 1969 verlor er seinen Sitz in der Volkskammer. Laut „2ivot Strany“ (Nr. 6, 1970) beschäftigte sich das ZK-Sekretariat mit seinem Ausschluß aus der KP ... Die Historiker haben keine Plattform mehr für Publikationen. Wie lange das Institut selbst noch existieren kann, ist eine Frage.

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