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Heiratsannoncen..,

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Mit der ersten Oktobernummer hat sich die „Prager Volkszeitung“, die sich stolz „Das Wochenblatt der Deutschen in der CSSR“ nannte, um ein Wort im Untertitel bereichert. Wer es noch nicht wußte, weiß es jetzt: der „Kulturverband der Bürger der CSSR deutscher Nationalität“, der als Mitherausgeber zeichnet, hat sich als unzulängliches Tarnmanöver erwiesen. Nicht um Kultur, in deren Windschatten gehorsam ein paar Auszüge von Husäk- und Strou-gal-Reden in eine sonst recht gemütliche Familienzeitung eingeschmuggelt wurden, geht es in Zukunft. Jetzt geht es um linientreue Politik. Die mühsam angelaufene Bezieherwerbung kann getrost ihre Bemühungen einstellen — nur wegen der paar Heiratsannoncen wird keiner mehr die 1.50 Kronen pro Zeitung ausgeben.

Die Erweiterung der Überschrift wird begleitet von einem Wechsel des Chefredakteurs. Wochenlang standen im Impressum nur zwei stellvertretende Chefredakteure, Ende August zeichnete zum letztenmal Fritz Scha-lek als verantwortlich. Plötzlich verschwand sein Name, weil der Mann vermutlich das doppelzüngige Spiel nicht mehr aushielt und sich in den Westen absetzte. Am 9. Oktober tauchte statt seiner Josef Lenk als neuer Chefredakteur auf, am 16. Oktober stellte er sich mit einer langen Suada unter dem Titel „Warum, wieso?“ den verbliebenen Lesern vor. Als Wichtigstes erfuhren diese dabei zu ihrer Freude, daß — wörtlich — „der Prozentsatz der 1968 sich nach dem Westen absetzenden Redakteure der VZ viel höher ist, als der Durchschnitt bei anderen Zeitungen“. Daß darunter auch der Vorsitzende der Parteiorganisation der Redaktion gewesen ist, wird freundlicherweise von Herrn Lenk auch nicht verschwiegen.

Im übrigen wird von ihm lediglich eine Kopie dessen geboten, was

Husäk seit eineinhalb Jahren den Tschechen und Slowaken an Geschichtsfälschung vorsetzt. Geradezu rührend ist aber folgender Satz: „Ein besonderer tschechoslowakischer Modeartikel war der Sozialismus mit Menschenantlitz' — als ob unser Sozialismus etwas Unmenschliches wäre.“

„Die Redaktion“, so heißt es zum Schluß, „bereitet eine Analyse vor über ihre Tätigkeit in dieser Zeit (gemeint sind die Jahre 1968/69), über Fehler, Irrtümer und Unterlassungen. Die Analyse wird natürlich veröffentlicht“.

Ihr Ergebnis steht schon jetzt fest: verführte Verführer, die obendrein von den „revanchistischen Kräften in der Bundesrepublik“ ausgenutzt wurden. Die Prager Volkszeitung aber hat sich in der Gleichschaltung damit eifriger hervorgetan, als viele Blätter tschechischer und slowakischer Sprache.

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