6834435-1975_06_05.jpg
Digital In Arbeit

Viele Fragezeichen

Werbung
Werbung
Werbung

In dem am 15. Mai 1955 Unterzeichneten Staatsvertrag erklären die Alliierten und Assoziierten Mächte im Artikel 27, „österreichische Ver- mögenschaften, Rechte und Interessen … zurückzustellen“. Wurde das Vermögen liquidiert, ist der Erlös auszufolgen. Schließlich wird festgelegt, daß die „Alliierten und Assoziierten Mächte“ bereit sind, Vereinbarungen mit der österreichischen Regierung abzuschließen.

In der Zwischenzeit wurden von Österreich „Vermögensverträge“ mit Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Polen abgeschlossen. Am 19. Dezember 1947 wurde in Wien ein „Vertrag zwischen der Republik Österreich und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik zur Regelung bestimmter finanzieller und vermögensrechtlicher Fragen“ unterzeichnet. Dieser Vertrag, seit zwei Jahrzehnten umstritten, enthält viele Fragezeichen. Er wird aber auch manche Hoffnung zerstören. Die in der ČSSR nach dem Zweiten Weltkrieg beschlagnahmten Vermögenswerte physischer und juristischer Personen mit österreichischer Staatsbürgerschaft oder Sitz in Österreich waren sehr beträchtlich. Die Schätzungen schwanken zwischen acht und zwanzig Milliarden Schilling. Genaue Wertangaben über die bei den amtlichen Stellen angemeldeten Vermögensverluste wurden am 19. Dezember 1974 vom Tisch gefegt. Der Vertrag ist unterzeichnet und das Parlament wird ihn genehmigen. Kenner der Sachlage aber werden den österreichischen Unterhändlern zubilligen, daß sie sich in den vielen Verhandlungsphasen um ein maximales Ergebnis bemüht haben.

Unter den Vertrag fallen Personen, die am 27. April 1945 und am Tage der Vertragsunterzeichnung .österreichische Staatsbürger waren, oder juristische Personen, die zu den genannten Terminen ihren Sitz in

Österreich hatten. Die gleiche Regelung gilt aüch für die Rechtsnachfolger vorgenannter Personen.

Im Artikel III wird eine Globalentschädigung von einer Milliarde Schilling zugestanden. In den amtlichen Verlautbarungen wurde von weiteren 200 Millionen gesprochen, welche die CSSR zusätzlich an Österreich leisten wird. Diesen Betrag wird man im Vergleich vergeblich suchen. Er verbirgt sich in Art. III Abs. 1, wo es heißt: „Die Tschechoslowakische Sozialistische Republik überläßt der Republik Österreich ferner mit dem selben Tag im eigenen Namen sowie im Namen tschechoslowakischer physischer und juristischer Personen alle in der Republik Österreich gelegenen Vermö- genschaften, Rechte und Interessen, die nach tschechoslowakischer Rechtsansicht auf Grund der tschechoslowakischen Konfiskations-, Na- tionalisierungs- oder ähnlicher gesetzlicher Maßnahmen beansprucht werden.“

Im Klartext heißt das also, daß alles, was in der CSSR an Grund und Boden, Häusern, Geschäften und Betrieben enteignet wurde, auch dann als konfisziert, beschlagnahmt oder enteignet gilt, wenn der Eigentümer tschechoslowakischer Staatsbürger ist, sein Besitz aber auf österreichischem Gebiet liegt. Damit wird von Österreich offiziell das Ubergreifen tschechoslowakischer Konfiskationsmaßnahmen auf das Gebiet der Republik Österreich anerkannt. Wurden solche Besitzungen unter öffentliche Verwaltung gestellt, um sie vor dem Zugriff gewisser Strohmänner zu schützen, muß Österreich die öffentliche Verwaltung innerhalb von 60 Tagen nach Inkrafttreten des Vertrages aufheben.

Das nächste Fragezeichen ist die Art und Weise der Abgeltung der einen Milliarde. Hier haben die tschechoslowakischen Unterhändler den Österreichern den Schwarzen

Peter zugeschoben, bestimmt doch Art. IV, daß die CSSR die „angeführte Summe in aufeinanderfolgenden Raten von 4,5 Prozent des Schillinggegenwertes cier von ihr in die Republik Österreich ‘ exportierten Waren bezahlen wird, wobei für die Berechnung die Exporterlöse des jeweiligen Vorjahres heranzuziehen sind. In einer Anlage wird festgehalten, daß im Jahre 1974 die 4,5 Prozent einem Betrag von 157 Millionen entsprechen. Man erwartet, daß die österreichischen Importe aus der CSSR steigen. Sollte aber der jährliche „Abspaltungsbetrag“ unter 157 Millionen sinken, müssen neue Verhandlungen geführt werden. Das heißt klar und deutlich: importiert Österreich mehr aus der CSSR, kann es rascher zu der zugesagten Milliarde kommen!

Wesentlich mehr als im Vertrag steht in den zwei Anlagen und den elf zwischen den Unterhändlern ausgetauschten Briefen. So ist aus Anlage I zu ersehen, daß Vermögen- schaften, Rechte und Interessen bis zu einem Umfang entschädigt werden, „als der für steuerliche Zwecke maßgebliche Wert im Einzelfall — bezogen auf die Sache und auf die Person — am 8. Mai 1945 eine Million — ausgedrückt in tschechoslowakischer Krone (Währungseinheit 1945) — nicht überstiegen hat.“

Interessante und wichtige Vereinbarungen enthält der „Briefwechsel 1“, aus dem sich allerdings viele Fragen ergeben werden. Hier ist festgelegt, daß „österreichischen Staatsbürgern gehörende Familienhäuser im Sinne der tschechoslowakischen

Rechtsvorschriften sowie landwirtschaftliches Vermögen im Ausmaß bis zu 13 ha ins Eigentum übertragen werden, sofern diese Familienhäuser oder dieses Vermögen von dem ursprünglichen Eigentümer oder von einer ihm nahestehenden Person, oder falls der ursprüngliche Eigentümer nicht mehr lebt, von seinen Erben oder einem der Erben nahestehenden Person benützt werden.“ Mit anderen Worten: ein Österreicher bekommt sein Haus oder seinen Grund nur dann zurück, wenn er in der CSSR lebt. Der in Österreich lebende Geschädigte kann sein in der CSSR liegendes Haus oder den Grund nicht verkaufen und den Erlös nach, Österreich transferieren.

Keine Regelung enthält der Vertrag für die an der Grenze liegenden Grundstücke. Nach 1945 haben niederösterreichische Grenzlandbauern tausende Hektar fruchtbaren Bodens und viele Weingärten verloren. Diese Grenzlandbauern gehen offensichtlich völlig leer aus, denn eine Rückgabe dieser Gründe ist durch den von der CSSR errichteten Stacheldrahtverhau unmöglich geworden.

So gesehen, muß der Vertrag mehr Enttäusthung und Verbitterung bringen, als er gehegte Hoffnungen erfüllen kann. Das letzte Wort hat der Nationalrat, der den Vertrag realistisch zu prüfen hat, aber kaum die Zustimmung verweigern kann. Ein Umstand sei noch festgehalten: die aus der CSSR Vertriebenen gehen vollkommen leer aus. Allerdings ist es den österreichischen Unterhändlern gelungen, eine jahrelang auf dem Verhandlungstisch gelegene tschechoslowakische Forderung zurückzuweisen. Österreich sollte nämlich eine offizielle Verzichtserklärung auf alle vermögensrechtlichen Ansprüche der Sudetendeutschen abgeben. Das konnte Österreich aus völkerrechtlichen Gründen nicht tun, denn als die Vertreibung erfolgte, waren die Sudetendeutschen keine österreichischen Staatsbürger. Und die Republik Österreich konnte nicht auf etwas verzichten, das Menschen zu einem Zeitpunkt verloren haben, an dem sie noch nicht österreichische Staatsbürger waren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung