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CSSR-Literatur an die Kandare

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Auf den jüngsten Kongressen der tschechischen und der slowakischen Literaten wurden die Schriftsteller zweifelos an die Kandare genommen. Auf dem Bock sitzen neue Paradekutscher in Parteiuniform, die mit der Peitsche noch nicht knallen, sie schwingen sie bloß. Auf dem sogenannten „konstruierenden Kongreß der Union tschechischer Schriftsteller“ in Prag erschienen 326 Mitglieder, Kandidaten und Übersetzer. Der Vizepräsident der Tschechoslowakischen Schriftstellerunion, Jan Prochazka, hob hervor, daß es höchste Zeit war, besagten Kongreß einzuberufen, da die Schriftsteller die letzten im Lande waren, die die föderative Umorgani-sierung der Republik wahrgenommen haben.

Wie weit dies als eine Beruhigungspille der Machthaber oder als ein Tanz aus der Reihe zu bewerten sei, ist ungewiß, Tatsache ist, daß der amtierende Vorsitzende der Tschechoslowakischen Schriftstelerunion, Jaroslav Seifert, die „absolute Not-wendigkei der kreativen Freiheit“ betonte. Er versicherte der politischen Führung, daß die Literaten des Landes gar nicht beabsichtigen, „in die Politik hineinzupfuschen“,

aber sie hoffen, daß ihre literarischen Werke wie die Produkte anderer Berufe akzeptiert werden. Die Mission der Schriftsteller sei nicht bescheiden und ihre Verantwortung durchaus nicht klein — so Seifert. Die Anwesenden interpretierten Seiferts Worte als einen Appell an die politischen Führer, die kreative Freiheit der Literaten, die nach Einführung der strengeren Zensur, der Ablösung zahlreicher Redakteure und dem Verbot einiger Organe noch übrigblieb, weiterhin zu garantieren. Nach Annahme der Ersatzstatuten und der Abschlußresolution wurden Jaroslav Seifert zum Vorsitzenden und Jifi Brabec und Kare! Ptadnik zu Stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.

Drei gemäßigte Progressive

J. Seifen ist 68 Jahre alt und eine Art tschechischer Elouard und Aragon: ein überzeugter Kommunist und lyrischer Poetenaristokrat. Als Kle-ment Gottwald die BolschewAsierung der Partei im Jahre 1929 energisch durchsetzte, flog der Dichter aus der Organisation der Dichterproleten. Er wurde Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. Auf dem zweiten tschechoslowakischen Schriftsteller-

kongreß im April 1956 hielt Seifert eine leidenschaftliche Rede und forderte unter anderem die sofortige Freilassung aller politischen Opfer der stalinistischen Justiz. Als Goldstücker nach der Sowjetinvasion nach England ging, wurde Seifert zum amtierenden Vorsitzenden der Tschechoslowakischen Scbriftsteller-union gewählt.

Jifi Brabec, 40, ist ein Literaturkritiker, dessen Zielscheibe die Namen der Dogmatiker trug und in derem Mittelpunkt der Kulturzar Ladislav Stoll prangte.

Karel Ptainik, 47, ist ein bekannter kommunistischer Novellist und Romancier, seine berühmtesten Werke: „Generation geboren 1921“ mit einer Schilderung des Lebens der Zwangsarbeiter im nationalsozialistischen Deutschland; „Stadt an der Grenze“, in dem er die Umsiedlung der Tschechen nach dem zweiten Weltkrieg in die Grenzzone geschildert hatte und „Die Nacht geht in den Morgen über“, in dem die Atmosphäre des Personenkults dargestellt wurde.

Unter den heutigen Umständen können die obigen drei Literaturfunktionäre als gemäßigte Progressive betrachtet werden die von der

Hwsak-Garnitur und deren Sowjetgönnern nicht als „antisowjetische“ oder „antisozialistische Elemente“ deklassiert werden können.

Nach Prag folgt Bratislava,

wo der konstituierende Kongreß der Slowakischen Schriftstellerunion abgehalten werden mußte. Andrej PlQVka eröffnete die linientreue Veranstaltung, und Ivan Kupec hielt das Hauptreferat.

Zum Vorsitzenden der neuen Slowakischen Schriftstelterunion wurde Vojtech Mihalik, 43, gewählt, der zu den bekanntesten Exponenten der früheren Husakschen national-kommunistischen, slowakischen Literaturfraktion zählte. In Kenntnis obiger Tatsachen und Entwicklungen hat die Mitteilung des Vorsitzenden des Tschechischen Nationalrates, Cestimir Cisaf, um so mehr überrascht, wonach der bisherige Präsident der Tschechoslowakischen Scteiftetellerunion, Professor Dr. Edward Goldstück er, von der Sussex-Universität in Brigühon, England, wo er seit einem Jahr lehrte, nach Prag zurückzukehren und seinen Lehrstuhl an der Prager Karls-Universität wieder zu übernehmen beabsichtige.

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