6565021-1949_37_03.jpg
Digital In Arbeit

Der „Fall“ Beran

Werbung
Werbung
Werbung

Die wenigen kommunistischen Stimmen außerhalb des Eisernen Vorhanges, die als einzige nicht müde wurden, die Person des Prager Erzbischofs anzugreifen, erhielten plötzlich von ganz anderer Seite eine unerwartete Hilfe. Eine Schützenhilfe, die — was die kommunistischen Stimmen bisher nicht vermochten — geeignet erscheint, das bisher hohe Ansehen, welches der Kirchenfürst wegen seiner unerschrockenen Haltung in der freien Welt genoß, zu erschüttern.

Vor einigen Wochen gab die amerikanische Agentur „Associated Press" die Nachricht weiter, daß

„Erzbischof Beran, welcher in der Zeit unmittelbar nach dem Kriege der unbestrittene Führer der tschechischen Katholiken gewesen sei, als fanatischer tschechischer Nationalist nicht nur zu den Verbrechen an den Sudetendeutschen geschwiegen habe, sondern auch ein Großteil Schuld an dem tragischen Schicksal der Sudetendeutschen trage".

In unglaublicher Geschwindigkeit machte diese Nachricht die Reise durch alle amerikanischen Zeitungen, sprang dann nach

Europa über und fand hier weiten Widerhall. Neue Gerüchte — wie, der Primas von Böhmen habe geäußert, das Gesetz Christi von der Nächstenliebe sei auf die Deutschen nicht anzuwenden — fügten sich der ersten Meldung hinzu. Mit vorsichtigen, aber klaren Worten mußte die katholische Agentur „KIPA" diese Wandlung in der öffentlichen Meinung Europas bekanntgeben.

Ein unwahrscheinlicher Coup war damit den Prager Machthabern gelungen. Die Wahrheit ist anders als ihre, von vielen nicht erkannte, zielgerechte Ausstreuung in die Welt.

Als im Mai 1945 durch den politischen Umsturz der tschechoslowakische Staat wieder ins Leben trat, waren von den sechs „böhmischen“ Bistümern nur drei besetzt: Olmütz, wo Msgr. Precan regierte, König- grätz mit Msgr. Picha an der Spitze und Leitmeritz, dem Msgr. Weber Vorstand. Die ändern drei Bistümer waren vakant. Sofort nach dem Umsturz wurde der Leitmeritzer Bischof — ein Deutscher — interniert und ihm jede Möglichkeit, sein Bistum zu. re gieren, genommen. Aber auch der Weihbischof von Prag — Msgr. Remiger, ebenfalls ein Deutscher — wurde gleich verhaftet und somit auch Prag dieser Stütze beraubt. Das ganze große Gebiet der böhmischen Länder mit über neun Millionen Einwohnern besaß außer den Bischöfen von Olmütz und Königgrätz keine Ordinarien, die in der Lage gewesen wären, den Katholiken in dieser stürmischen Zeit einen klaren Weg zu weisen. In dieser führerlosen Zeit zeigte sich dafür um so stärker, daß der Nationalismus, der das Leben Böhmens seit Jahrhunderten vergiftete, auch Priester in einer Weise erfaßte, daß er sie in erster Linie an ihre Nation und dann erst an ihr Christentum denken ließ. Viele tschechische Geistliche erwiesen sich zwar in dieser Zeit als echte Vertreter des Christentums, die keinen Unterschied zwischen Deutschen und Tschechen machten, und dafür die Repressalien der tschechischen Behörden in Kauf nahmen, aber es gab auch tschechische Priester, selbst in den oberen kirchlichen Verwaltungen, die kein Wort des Mitleids für die gequälten Deutschen fanden und oft selbst ihren deutschen priesterlichen Brüdern die geringste Hilfe verweigerten. Dennoch soll nicht verschwiegen werden, daß auch in dieser Zeit bereits von kirchlicher Seite — was völlig unbekannt ist — versucht wurde, den deutschen Katholiken zu helfen. Für den internierten Bischof von Leitmeritz, der sich weigerte abzudanken und erklärte,

er gehe nur, wenn Rom ihn abberufe, intervenierte dreimal der päpstliche Nuntius Msgr. Saverio Ritter. Die erste tschechoslowakische Bischofskonferenz vom November 1945 beriet lange, wie sowohl dem deutschen Weihbischof Remiger als auch den deutschen Priestern geholfen werden könnte. Und erst vor kurzer Zeit warf der tschechische Justizminister, Cepicka, in einer öffentlichen Rede den tschechischen Katholiken vor, daß sie geheim Tränen des Mitleids für die Aussiedlung der Sudeten deutschen vergossen hätten, statt sich um die Angelegenheiten des tschechischen Volkes zu kümmern.

Dr. Josef Beran allerdings kann nicht vorgeworfen werden — wie es geschehen ist —, daß er, „der unbestrittene Führer der tschechischen Katholiken", damals geschwiegen habe. Dr. Josef Beran wurde erst Mitte November 1946 zum Erzbischof von Prag ernannt, am 23. November sprach er zum erstenmal im Radio zu den Katholiken Böhmens, am 8. Dezember 1946 wurde er feierlich inthronisiert. Bereits Mitte Oktober 1946 hatte aber das CTK — das offizielle tschechische Nachrichtenbüro — erklärt, daß mit 31. Oktober 1946 die Ausweisung der Deutschen aus der Republik beendet sein werde. Eine Woche vor diesem Termin sperrten schon die Amerikaner wegen Überfüllung ihrer Zone die Grenzen und die wenigen noch zur Ausweisung bestimmten Deutschen mußten in der Republik bleiben. A 1 s Dr. Beran Erzbischof wurde, war somit die Austreibung aller Deutschen bereits ein abgeschlossenes Kapitel. Was hätte er als Erzbischof noch dagegen tun können? Auch die Nachricht, daß Msgr. Beran seit Kriegsende der unbestrittene Führer der tschechischen Katholiken gewesen sei, ist absolut falsch. Dr. Beran war vor seiner Ernennung nur einem relativ kleinen Kreis bekannt. In den zwanziger Jahren war er Professor am katholischen Lehrerinnenseminar in Prag geworden, 1933 zum Regens des Prager Priesterseminars ernannt. 1942, kurz naA dem HeydriA-Attentat, wurde er mit 70 seiner Seminaristen verhaftet, kam zuerst nach Theresienstadt, dann als gewöhnlicher Häftling nach Dachau. In dieser Zeit bewies er — in Gegensatz zu dem mit ihm in DaAau befindlichen P. Ploj- har —, daß er kein Chauvinist war, sondern half, wo er nur konnte, mochte es sich um Tschechen, Deutsche, Kommunisten, Juden, Atheisten oder Christen handeln. 1945 kehrte er in seine Stellung im Prager Priesterseminar zurück. Von einer Führerstellung innerhalb des tschechischen Katholizismus konnte auch weiterhin keine Rede sein. Die politischen Führer der tschechischen Katholiken waren damals Msgr. Sramek und Konsistorialrat Hala, der kirchliche Führer der Vorsitzende der tschechoslowakischen Bischofskonferemz Msgr. Precan, Erzbischof von Olmütz. Dr. Beran war ursprünglich nicht für den erzbischöflichen Stuhl von Prag ausersehen gewesen. Und erst, als der Kandidat des Vatikans von der tschechoslowakischen Regierung abgelehnt wurde, einigte man sich auf den bescheiden im Hintergrund stehenden Dr. Beran.

Und dieser Mann, der ohne’ Schein einer Berechtigung, als der „seit Kriegsende unbestrittene Führer der tschechischen Katholiken“ bezeichnet und als „mitschuldig an den Greueltaten gegenüber den Sudetendeutschen“ wird, hat auA nicht über die Greueltaten,

die eh im Zusammenhang mit dem nationalen Umsturz ereigneten, geschwiegen. Denn in dem Hirtenbrief vom 19. November 1947, den alle tschechoslowa-

kisAen Bischöfe, an ihrer Spitze ErzbisAof Dr. Beran, herausgaben, stehen folgende Worte:

„ Wir sind in ernster Sorge erfüllt über den sittliAen Niedergang der Nation ,. Wir haben dabei vor allem den Rückgang, ja das SAwinden jeden sittliAen Gefühls und jeder Tugend vor Augen. Wett ärger aber ist noch der Verfall der Gerechtigkeit. Wir denken da an die Tugend,’ jedem zu geben, was ihm gehört, im weitesten Sinn des Wortes. Es sind himmelschreiende Sünden begangen worden wider Besitz und persönliAe ReAte es wurde MißbrauA getrieben unter dem Titel der nationalen Säuberung. Die Ehre der Nation ist vor der gesamten Welt b 1 o ß g e s t e 111, und wir können die Folgen dieser Handlungsweise gar niAt ausdenken. Wehe der Nation, die auf solche Wege geführt wird."

AuA die tapferen deutsAen BisAöfe haben während der NS-Hernschaft kaum stärkere Töne gefunden als diese, und man bedenke aber auch, daß der Terror in der tsAeAoslowakisAen Republik gegen die KirAe wahrliA niAt geringer ist als jener gegen die deutschen Katholiken während der Hitlerzeit. Jeder aber, der trotzdem noA Msgr. Beran einen Vorwurf maAen zu müssen glaubt, prüfe siA, ob er, während der NS-Zeit, in ähnliAer Situation, anders und mehr getan hat. Dann werfe er, wenn er es im Gewissen kann, einen Stein auf den leidgeprüften ErzbisAof von Prag.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung