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Die „nützliche” Kirche

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Am 16. Februar 1834 beginnt Lacordaire in Notre-Dame zu predigen: ein Mann sucht das Gewissen der französischen Katholiken zu erwecken. Schreie des Hasses. Frankreich ist zerklüftet. Alte Jakobiner und Freimaurer entdecken den politischen „Nutzen” der Religion: sie hat die Massen der „Elenden”, der Proletarier, niederzuhalten. Der ironische Skeptiker und Freigeist, der Bürgerkönig Louis Philippe, erhöht von Jahr zu Jahr das Budget für die Kirche. Das neue Bündnis der Großbourgeoisie mit der Kirche scheint perfekt.

Entsetzt sieht der Erzbischof von Paris auf den Ton der innerkatholischen Polemik, in der sich Veuillot mit seinem „Univers” anschickt, die Reste der Männer des „Avenir” zu „vernichten”. Montalembert 1846: dieses Journal ist „die Schande des Katholizismus geworden”.

1842 zählt Frankreich bei 34 Millionen Einwohnern offiziell vier Millionen Bettler, dazu vier Millionen ..Bedürftige”, dazu vier Millionen „Lohnempfänger ohne irgendein Eigentum”. Die Kindersterblichkeit in der Arbeiterschaft beträgt zwei Drittel bis drei Viertel aller Geburten, das Sterbealter der Erwachsenen liegt hier zwischen 21 und 25 Jahren. Gegen dieses System hatte der „Avenir” gekämpft und gefordert: der Priester ist der berufene Anwalt der Armen.

Eine Welle der Hoffnungen begrüßt den neuen Papst am 17. Juni 1846: Papst Pius IX. Erwacht nicht Europa? Bricht nicht der Tag der Freiheit an? Die Revolution von 1848 scheint in Frankreich der befreiten Kirche die große Chance zu bieten. Am 1. März

1848 gründet Lacordaire mit dem Abbe Maret „L’Ete Nouvelle”, „Die Neue Zeit”. Wieder scharen sich eine Handvoll Männer um ihn: Ozanam, de Coux, Charles Sainte-Foi, Lorain, de Labaume. In der ersten Nummer,

sie erscheint am 15. April, erklärt Lacordaire: Es gibt heute zwei siegreiche Kräfte in Frankreich: die Nation und die Religion; das Volk selbst und Jesus Christus; wenn sie sich trennen, sind wir verloren; wenn sie sich verstehen, werden wir gerettet sein. Lacordaire beschwört die französischen Katholiken, sie sollen das Volk, die Massen, ihr Elend, ihre Not verstehen. Der Klerus soll seine kleinen, bourgeoisen Pfarren aufgeben und sich den Massen widmen. Der Erzbischof von Paris (in diesem Sinne ein wahrer Vorläufer des Kardinals Suhard), Affre, bekennt sich am 14. April 1848 öffentlich in einem Brief zu „L’Ere Nouvelle”. Ein Strom von Haß bricht gegen den „roten” Erzbischof auf. Im Juni hat „L’Ere

Nouvelle” 20.000 Abonnenten, darunter viele Priester. Arbeiter schließen sich zusammen, um gemeinsam zu abonnieren. Die Kanonaden des Juni zerschlagen alle Hoffnungen, ersticken sie im Blut. Der Erzbischof Affre fällt zwischen den Barrikaden, verzweifelt rufen die Proleten: „Das waren nicht wir, das waren die Nationalgarden, die ihn, unseren Freund, getötet haben

Das Frankreich der Reaktion siegt, wird weitersiegen bis 1870, bis 1914, bis … ? Chauvinismus; ein heißer, überhitzter nationalistischer Katholizismus, ein denkwürdiges Bündnis atheistischer Großbürger mit einer „nützlichen” Kirche.

Ozanam, der Freund und Mitarbeiter Lacordaires, geht durch die Elendsquartiere der besiegten Arbeiter in Paris, sieht die Gruppen nackter Kinder. Viele Tausende sterben an Hunger. Ozanam berichtet darüber in einer Serie von Artikeln in „L’Ere Nouvelle” im September und Oktober 1848. Er beschwört die Sieger und die reichen Katholiken, Mitleid, Erbarmen zu üben. Veuillot möchte daraufhin Ozanam „zersäbeln”, Montalembert, jetzt auf der Seite der anderen, will Ozanams Verurteilung in Rom erreichen und steht im Großkampf gegen „L’Ere Nouvelle”. Montalembert prägt die Devise, die für diesen siegreichen Katholizismus für Generationen gilt: „Die gesamte Soziallehre der Kirche ist in zwei Worten ausgedrückt: sich zu enthalten und zu gehorchen. Enthalte dich, Armer, des fremden Gutes und respektiere die Ordnung.” Lacordaire schreibt am 14. November 1848 an Cartier: „Der ,Ami de la Religion (das Organ Montalemberts) und der ,Univers” (das Organ Veuillots) werden die Ursachen dafür sein, daß man bei der nächsten Erhebung über die Kirchen und den Klerus herfallen wird …”

Samenkörner

In einem Sturm von Erpressungen, Verleumdungen, in einer Terrorkampagne, von der Lacordaire am 1. Mai 1849 bezeugt, daß sie, entwickelt nun von Montalembert und seiner Partei, noch perfider war, als seinerzeit die gegen den „Avenir”, wird „L’Ere Nouvelle” erdrosselt. Da erscheint der „Retter”: der Marquis La Roche

Jacquelin. Er kauft „L’Ere Nouvelle”, gibt sein Ehrenwort als Edelmann, nicht den Geist und nicht die Redaktion zu ändern. Er übernimmt am 31. März die Zeitschrift, jagt am nächsten Tag alle Redakteure auf die Straße, schreibt selbst den Leitartikel: offizielle Absage an Geist und Werk von „L’Ere Nouvelle”. Am 9. April

1849 erscheint die letzte Nummer. Der edle Marquis hat noch nicht den Kaufpreis bezahlt, muß durch einen Prozeß dazu gezwungen werden. Er bezahlt schließlich dreißig Prozent der vereinbarten Summe.

Tod des „Avenir” 1832. Tod von „L’Ere Nouvelle” 1849. Verbot der Arbeiterpriester und der ihnen nahestehenden Zeitschriften 1952 53.

Im „Avenir” und in „L’Ere Nouvelle” haben Lacordaire und seine Freunde versucht, Kirche und Katholizismus zu öffnen, der beginnenden Neuzeit zu: und sie zu einem Bündnis zu bewegen mit den „äußeren und inneren Barbaren”, mit den neuen Massen und den erwachenden Völkern. Lacordaire und seine Freunde haben — und dies erweckte nicht zuletzt unbändigen Haß gegen sie — versucht, Frankreichs Katholiken zu Partnern von Andersdenkenden in einer pluralistischen Gesellschaft zu machen.

Einige Samen aus dem Geist Lacordaires sind, nach zwei Weltkriegen, auf hartem und fruchtbarem Boden auf gegangen. Nicht viele. Dennoch: einige Samenkörner.

Der Erzbischof von Wien, Kardinal Dr. Franz König, wurde Dienstag von Papst Johannes XXIII. in Privataudienz empfangen. Der Kardinal hält sich anläßlich der Tagung der Zentralen Vor bereitungskommission für das ökumenische Konzil in Rom auf. Kardinal König übermittelte dem Heiligen Vater die Grüße des österreichischen Volkes und brachte die Genugtuung über den besonders freundlichen Empfang der österreichischen Delegation bei den Papstfeier- lichkeiten im Vatikan zum Ausdruck. Der Papst unterstrich gegenüber dem Kardinal seine besondere Sympathie für die Bevölkerung Österreichs. Es tei ihm eine große Freude gewesen, eine so repräsentative Regierungsdelegation aus Wien begrüßen zu können. Erfreut nahm der Papst die Mitteilung Kardinal Königs entgegen, daß der österreichische Episkopat in einem gemeinsamen Adventshirtenbrief die Lehren der Enzyklika „Mater et Magistra” für die österreichischen Verhältnisse erläutern wird.

Nach einer Meldung der tschechischen Zeitung „Lidovä Demokracie” ist der Erzbischof von Olmütz, Josef Matocha, im Alter von 73 Jahren gestorben. Erzbischof Matocha war nach dem in Haft befindlichen Erzbischof Beran von Prag der höchste Würdenträger der katholischen Kirche in der CSSR. Da er sich weigerte, einen Treueid auf das kommunistische Regime zu leisten, wurde er unter Hausarrest gestellt. Seine beiden Sekretäre wurden verhaftet. Der Weihbischof von Olmütz, Msgr. Stanislav Zela, wurde ebenfalls verhaftet und zu 25 Jahren Kerkers verurteilt. In der Meldung der tschechischen Zeitung heißt es, daß „der bisherige Generalvikar”, Josef Glogar, zum Kapitularvikar gewählt wurde und in dieser Eigenschaft die Geschäfte der Erzdiözese führt. „Generalvikar” Josef Glogar scheint im Päpstlichen lahrbuch 1961 nicht auf.

Mit einer letzten Sitzung ist die zweite Arbeitsperiode der Zentralen Vorbereitiifigskftmmission des komnien- den Konzils, die am 7. November be-, gann, zum Abschluß gelangt. Zu Beginn der Sitzung wandte der Heilige Vater sich in einer Ansprache an die Anwesenden. Er äußerte darin seine dankbare Freude darüber, daß während dieser Sitzungsperiode soviel fruchtbare Arbeit geleistet werden konnte.

Die Katholische Bischofskonferenz Italiens hat ein Kommunique veröffentlicht, in dem mit größtem Nachdruck auf die zeitlos Gültigkeit der katholischen Soziallehre verwiesen und ihte Unvereinbarkeit „mit jeder anderen Ideologie oder jedem anderen Verhalten, die ihrer kristallischen Klarheit widersprechen”, neuerlich unterstrichen wird. Nach einem Hinweis darauf, daß die katholische Soziallehre alle Probleme des geordneten menschlichen Zusammenlebens zu lösen imstande ist, findet sich in dem Kommunique der italienischen Bischöfe ein Aufruf an die Katholiken, besonders an jene in verantwortlichen Stellungen, gemäß den unveränderten Weisungen der Hierarchie bei der Ausübung der sozialen Rechte und Pflichten die Einheit untereinander aufrechtzuerhalten und zu fördern.

Im Kleinen Festsaal der Wiener Universität wurde an den bekannten Völkerrechtsgelehrten und Rechtsphilosophen Univ.-Prof. Dr. Alfred Verdroß die Ehrendoktorwürde der katholisch-theologischen Fakultät der Universität verliehen. Der Dekan der Fakultät, Professor Dr. Loidl, berichtete vom einstimmigen Beschluß des Akademischen Senats, auf Antrag des Professorenkollegiums der theologischen Faknltät diese Ehrung auszusprechen. Universitäts- professor Dr. Messner würdigte anschließend das wissenschaftliche Werk des Ausgezeichneten, der durch 35 lahre, zuletzt als Ordinarius, Völkerrecht an der Wiener Universität lehrte.

Der Vorsitzende Bischof der Episkopalkirche der Vereinigten Staaten, Arthur Lichtenberger, wurde Mittwoch von Papst Johannes XXIII. in Privataudienz empfangen. Bei seinem Besuch im Vatikan, der als „nichtoffizieller Höflichkeitsbesuch” bezeichnet wurde, war das Oberhaupt der Episkopalkirche von Msgr. Willebrands vom Päpstlichen Sekretariat für die christliche Einheit begleitet worden. An der 40 Minuten dauernden Audienz nahm auch der anglikanische Kanonikus Pawley teil, der im Anschluß an den Besuch des früheren Erzbischofs von Canterbury, Dr. Fisher, von den Anglikanern als ständiger Beobachter nach Rom entsandt worden ist.

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