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Das Bündnis mit den „Barbaren”

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In den Kanonaden des Juni 1848 werden die Hoffnungen des Februar und März in Blut erstickt, wird die Hoffnung der „Ère nouvelle” auf ein Bündnis der Kirche mit dem Proletariat getötet; die Hoffnung des Ozanam auf ein Bündnis der Kirche mit den „Barbaren”.

Am 22. September 1848 erklärt die sozialistische „L’Emancipation”: die Feinde des Volkes sind „die Priester und das Kapital”.

Ozanam besuchte nach dem Blutbad die Elendsquartiere in Paris, sieht die nackten Kinder in kleinen Horden herumstreunen; sieht das Dahinsterben vieler Tausender an Hunger. Da entschließt er sich, in der „Ère nouvelle” im September und Oktober eine Serie von Aufsätzen zu veröffentlichen über die „Ursprünge des Sozialismus”, „Die

Ursachen des Elends”, „Von öffentlicher Hilfe”, „An die wohlhabenden Leute”: er beschwört die Sieger, die reichen Katholiken, die Priester, in diesem seinem „Kreuzzug der Liebe”, die soziale Frage mutig und offen anzupacken. Diese Artikel sind der Anlaß für den Schlag, zu dem nun die Rechte gegen die „Ère nouvelle” ausholt

Tocqueville schildert die Stimmung im Bürgertum vor den Wahlen im April: „Ein universaler Haß, gemischt mit einem universalen Schrecken inspiriert Paris.” Die Legitimisten, Orleanisten, das Großbürgertum erhalten eine riesige Mehrheit: den 650 Deputierten der „Ordnung” stehen 250 Republikaner gegenüber.

Der erklärte Atheist Adolphe Thiers (1797 bis 1877), Bismarcks

Partner 1871, wird, als ein rechter Mann der Ordnung, von den Katholiken von Rouen wie ein Mann gewählt. Thiers präsentiert sich am 4. Juni 1848 in der Nationalversammlung als „vorbildliches Exemplar eines Klerikalismus ohne Gott”. „II faut en finir”: man muß

Schluß machen; mit der Arbeiterschaft. Das ist sein fester Entschluß.

Der Graf de Falloux, ein Führer der Katholiken, führt diese Operation durch. Man arbeitet mit dem Kommunistenschreck. Katholische Stimmen erklären offen: verheizt diese Arbeitermassen in einem Krieg! („Correspondent”, 27. Mai 1848.) Hier spricht sie sich offen aus, die große Angst und Hoffnung der Reaktion, 1848, 1870, 1914: „Unter den Mitteln, die geeignet sind, die Anhäufung der Proletarier, die durch Versprechungen exaltiert sind und die Arbeit scheuen, aufzulösen, stellen viele Persönlichkeiten (der Prolet besitzt keine persona!) an erste Stelle den Vorteil, den man hätte, wenn man in einem europäischen Krieg den Überfluß der Industriearbeiterschaft ausschütten würde.”

Die Junierhebung 1848 entsteht aus dem Hunger und der Verzweiflung der Pariser „Elenden”. Der Erzbischof von Paris fällt, durch eine verirrte Kugel, zwischen den Barrikaden; er wollte vermitteln. Die Arbeiter rufen: „Das sind nicht wir, nicht wir, das haben die Briganten der Nationalgarde getan!”

Am Sonntag, dem 25. Juni 1848 — am Fronleichnamsfest —, sichern die Kanonen den „glorreichen Sieg” der „France honnête” über „la France anarchique et corrompue”. Die ganze katholische Rechte fordert offen, keine „falsche Sentimentalität” walten zu lassen, „und das Übel von der Wurzel her auszurotten”. Feste, Bälle, Dankgottesdienste feiern den großen Sieg.

Lamennais schreibt in seiner Zeitung „Le Peuple Constituant”: man möge dieses Regime doch wenigstens nicht mehr Republik nennen: „Es sind Saturnalien der Reaktionen und das blutige Grab der Republik.”

Ein edler Marquis tritt auf

In dieser Situation veröffentlicht Ozanam seine Aufsätze in der „Ère nouvelle” Nun ist es Zeit, mit dieser „jakobinischen” Zeitschrift Schluß zu machen. Dies gelingt durch ein wahrhaft schändliches Manöver. Dei- Marquis La Rochejacquelein stellt sich als ein generöser Geldgeber ein, der die wirtschaftliche Zukunft der „Ère nouvelle” sichern möchte: er „kauft” sie, nachdem er sein Ehrenwort als Edelmann gegeben hat, keinen ihrer Redakteure zu entlassen und ihren Geist nicht zu ändern. Am 31. März 1849 übernimmt er die Leitung, jagt am nächsten Tag alle Redakteure auf die Straße, schreibt selbst einen Leitartikel als öffentliche Absage an den Geist der „Ère nouvelle” und stellt sie am 9. April ganz ein.

Der edle Marquis bezahlt, eingeklagt, 30 Prozent des vereinbarten Kaufpreises.

Vergeblich war also, so scheint es, der Opfergang der Männer der „Ère nouvelle”. Kurz vor dem Ende der Republik schreibt Ozanam am 8. April 1851 an Duffieux: „Wir (Katholiken) haben nicht genügend Glauben; wir wollen immer die Wiederherstellung der Religion durch politische Mittel; wir träumen von einem Konstantin, der mit einem Schlag und mit einer einzigen Anstrengung die Völker in den Schafstall zurückführt.” „Ein Weg in den Abgrund tut sich auf “

Erschöpft, in der großen Schlacht um die „Ère nouvelle”, bricht Ozanam zusammen; er nimmt seine wissenschaftlichen Arbeiten wieder auf, gründet in Italien einige Vin- zenz-Konferenzen und stirbt, neununddreißig Jahre alt, am 8. September 1853 in Marseille.

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