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Berg Tabor in Böhmen

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„Sie fragen, wohin dieser Kampf noch führen wird, der gegenwärtig in Böhmen ausgetragen wird? Sie fürchten, das Schicksal des Erzbischofs Beran werde das gleiche wie das des Kardinal Mindszenty oder des Erzbischofs Stepanič sein?“ Die Stimme meines Begleiters schweigt. Die Totenstille der Nacht liegt wieder über dem Berge Tabor. Ein sanfter Wind streicht über die Hänge und bringt das monotone Murmeln des Jordans herauf, der am Fuße des Berges vorbeifließt. Autogeräusch unterbricht von weither die Stille. Ein Auto klettert langsam die Bergstraße herauf, die Kegel der Scheinwerfer tasten sich weiter, streifen über die Stämme der Bäume, die die Straße säumen. Schließlich ist das Auto oben, bleibt einen Augenblick stehen. Sekundenlang blitzt im Scheinwerferlicht eine Tafel auf, die wie ein großer Pfeil sich ausnimmt. „Praha 88 km“ steht in großen Buchstaben darauf. Eine Weile ist das Surren des Motors noch zu hören, dann verschlucken die ersten Häuser der Stadt Tabor jeden Lärm. Die Totenstille der Nacht herrscht wieder ringsherum. „Der Pfeil“, beginnt mein Begleiter wieder, „er ist wie ein Symbol. Was sich jetzt hier in Böhmen abspielt, ist zunächst — äußerlich betrachtet — nichts anderes als ein Teil jener großen Aktion, die in allen östlichen Ländern gegen die katholische Kirche in Szene gesetzt ist und die nach einem genauen Schema abrollt, dessen einzelne Phasen hinlänglich bekannt sind, weshalb Ihre Ber fürchtungen über das Schicksal des Prirrias von Böhmen nur zu gerechtfertigt sind. Aber es gibt über den der Gegenwart hinaus noch einen anderen Gesichtspunkt, unter dem diese Ereignisse betrachtet werden können: den historischen. Denn diese Tragödie, die sich hier abspielt und die in der Bedrängnis des Primas aller Welt sichtbar wird, ist ein Teil jener Tragödie, die seit tausend Jahren — seit der Zeit, da das Christentum in dieses Land trat — hier abrollt. Und die daran erinnert, daß jeder, der bewußt das Christentum auf sich nimmt, und zwar das ganze Christentum, und der beitragen will zur Verwirklichung des Reiche Gottes, sich zum mutigen Bekenntnis bis zum äußersten Opfer bereit halten muß. In diesem Lande wird immer wieder zutiefst offenbar, daß das griechische Wort für .Zeuge’ Martyr ist; und daß deshalb, wer Zeugnis für das Christentum geben will, es in irgendeiner Form durch Leid bis zum Martyrium tun muß. Es muß nicht immer ein offenes Martyrium sein, die geheimen sind sicher viel zahlreicher.

Aber was spreche ich von unbekannten

Märtyrern? Aller Welt offenbar ist das Leiden des jetzigen Erzbischofs von Prag. Aber vor ihm litten alle großen Bischöfe dieses Landes. Es litt der hl. Adalbert, der schließlich, hoffnungslos geworden in seiner apostolischen Mission, das Land verließ; es litt der Bischof Heinrich Zdik von Olrriütz, der große Reformator des 12. Jahrhunderts, den abgesetzte Priester ermorden wollten, über die traurige Beschaffenheit des Landes; es litt Ernst von Pardubitz, der erste Erzbischof, von Prag, der inmitten des Reichtums der Epoche Karls IV. sich vergeblich um eine Reform von Klerus und Laien bemühte und der seine Briefe mit ,der unglückliche Erzbischof unterschrieb; es iitt Erzbischof Zbynko von Hassenstein, der unter Wenzel, dem Sohn Karls IV., regierte und der ansehen mußte, wie die Verkommenheit des Herrschers und sein Terror die Kirche immer mehr bedrängten, bis er schließlich aus dem Lande floh; es litt Erzbischof Brus von Müglitz, Vertreter Kaiser Ferdinands I. am Trienter Konzil, der nach 140 Jahren Vakanz des Prager Bischofsstuhles das katholische Leben in Böhmen wieder aufbauen sollte und kaum einen Schritt vorwärtskam; es litt Kardinal Har- rach, der durch fünf Jahrzehnte am Hradschin residierte und der Zusehen mußte, wie trotz allen Protesten der Staat die Gegenreformation mit Mitteln der Gewalt durchführte, während er nur mit geistlichen Mitteln das Land wieder katholisch zu machen suchte, bis er schließlich als letzten Ausweg seine Abdankung erwog; es litt Bischof Groß von Leitmeritz, der trotz seiner edlen Priesterlichkeit den großen Abfall der deutschen Randgebiete vom Katholizismus an der Wende des jetzigen Jahrhunderts nicht verhindern konnte; es littErzbischof Kordąs, Erzbischof von Prag nach dem ersten Weltkrieg, in dessen Regierungszeit der große Abfall stattfand, welcher der Kirche über eineinhalb Millionen Mitglieder raubte, darunter fast hundert Priester.

Ich spreche von unblutigen Martyrien? Der Erzbischof Beran steht jetzt schon in Gefahr, eines Tages Qualen und vielleicht auch den Tod zu erleiden. Vor ihm mußte die hl. Ludmilla, die Großmutter des hl. Wenzel, die auf Befehl ihrer eigenen Schwiegertochter erdrosselt wurde, das Martyrium auf sich nehmen; der hl. Wenzel wurde von seinem eigenen Bruder erschlagen; es mußte der hl. Johannes von Nepomuk im Jahre 1395 — zu einer Zeit, da sich die Humanisten Europas in dem gewähltesten Latein über die diffizilsten Dinge der Philosophie unterhielten — sich zum Martyrium bereiten; und es erlitten in den Hussitenkriegen Hunderte und Tausende von namenlosen Katholiken wegen ihres Glaubens den Tod. Der Kelch, der eine so große Rolle in dem Leben dieses Landes spielt, ist wirklich sein wahres religiöses Symbol. Denn die einen führten ihn als Abzeichen im Schild und die anderen mußten ihn als Kelch des Leidens trinken.

Kein geringerer als Masäryk hat einmal gesagt, der Sinn aller böhmischen Geschichte sei letztlich religiös. Es handle sich immer um die Verwirklichung des Reiches Gottes in Böhmen. Sehen Sie da drüben diese Stadt: Vor fünfhundert Jahren gründeten sie chiliastische Schwärmer hier auf dem Berg. Feierlich verkündeten sie von hier aus, das Reich Gottes in Böhmen sei angebrochen, ein Reich, in dem es nur Brüder und Schwestern gebe, in dem kein Unterschied zwischen Mein und Dein sei, ein Reich, in dem es keines Mittlers zwischen Mensch und Gott bedürfe. Und wie sah die Wirklichkeit aus? Von dieser Stadt aus wurden jene grauenhaften Raubzüge unternommen, die ein blühendes Land in eine Wüste verwandelten, von hier aus wurde der Befehl gegeben, alle jene, die sich nicht der Unität von Brüdern und Schwestern anschließen wollten, zu erschlagen, hier wurden die Fackeln entzündet, die allein 65 Klöster in Asche legten und fast sämtliche Kirchen des Landes einen Raub der Flammen werden ließen. Die Leute, die hier glaubten, das Reich Gottes mit Gewalt in die Realität umsetzen zu können, waren in Wirklichkeit hoffnungslose Irrgänger. Denn das Reich Gottes kann nicht mit Gewalt durchgesetzt werden. Sie werden jetzt hier den Namen ,Huß’ und das Wort ,Gegenreformation’ erwähnen. Gewiß, auch hier war Gewalt, aber es war nicht die Kirche, sondern der Staat, der sie gebrauhte. Und die besten unter den Katholiken haben sie immer und auh schon damals abgelehnt. Die einzigen Realisten, die etwas für das Kommen des Reihes Gottes in Böhmen taten, waren die Märtyrer des Landes. Und sie nahmen alle — einschließlich des jetzigen Primas — dieses Los geduldig auf sih, im Bewußtsein, daß sie das Salz der Erde seien, dessen Schicksal es ist, zerrieben zu werden, damit das Leben der anderen gerettet werde.

Abermals ist Gewalt am Werke, schrecklichere, erbarmungslosere, arglistigere Gewalt als jemals. Sie wird Unheil und Verderbnis verbreiten. Aber einmal werden die Märtyrer stärker sein als sie. Auh im Tode waren sie noch immer die Sieger. Wir leben in historishfn Tagen. Haben Sie den Pfeil gesehen?“ …

Mein Begleiter schweigt. Langsam gehen wir zur Stadt zurück. Die Naht liegt noch finster über dem Berge Tabor.

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