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Die Preßburger „Unentwegten“

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Der XX. Kongreß der KPdSU in Moskau vom Frühjahr 1956 wird vielerorts als der Beginn einer nachstalinistischen Periode und der

Liberalisierungswelle angesehen. Sicherlich kann man dem XX. Kongreß die historische Bedeutung nicht abstreiten. Allerdings war er nicht der Beginn, sondern das Ende einer geistigen Entwicklungsperiode, die man schlechthin als „Tauwetter“ bezeichnen müßte. Vor diesem Parteikongreß ging nämlich, nachdem die Dämme der Stalin-Berija-Dik- tatur gebrochen waren, der geistige Aufschwung durch das Eintreten mutiger Künstler vor sich, die nicht mehr und nicht weniger als die Abschaffung der Reglementierung durch die Partei und nicht allein für sich gefordert hatten. Durch den XX. Parteikongreß gelang es der Partei, diese Entwicklung, die — vom Westen unbeachtet — bedrohliche Formen für die Sowjetherrschaft annahm, aufzufangen und ihre Herrschaft erneut zu festigen.

Parallelen zu diesem rückläufigen Prozeß ergaben sich im Spätherbst 1956 in Polen und in Ungarn und erst vor kurzem in der Tschechoslowakei.

In diesem Land hatte die Ent- stalinisierung lange auf sich warten lassen. Schüchterne Ansätze waren zu einer ähnlichen Entwicklung wie in Polen und in Ungarn vor acht Jahren auch in Prag und in Preß- burg festzustellen, jedoch besonders die unglücklich ausgegangene ungarische Revolution gab hier den Herrschern die Handhabe, die Zügel nochmals straff anzuspannen. Bis Ende 1962 drückten an der Moldau und an der Donau, auch äußerlich sichtbar, dem Regime noch die Stalin-Standbilder ihren Stempel auf. Erst im Dezember 1962, durch den XII. Kongreß der KP der Tschechoslowakei, kam so etwas wie eine Regung in die Parteireihen, die von denjenigen tschechischen, vor allem aber slowakischen Parteimitgliedern, die echte Reformen er wartet hatten, sofort als Alibimaßnahmen erkannt wurden. Außer der Entfernung der Standbilder des verstorbenen Sowjetdiktators ge schah monatelang vorerst noch nichts. So wie vor zehn Jahren in Rußland waren es auch in der Tschechoslowakei, vor allem aber -’im’ slowakischen- Landesteil, die Schriftstellef aie’ zum . Handeln auf riefen. Genau vor einem Jahr haben die’ Schriftsteller und Journalisten in Preßburg ihren Kampf den „Dogmatikern“, die beharrlich ihre Plätze in der obersten Parteiführung genauso wie die von ihnen bestimmte längst überholte Parteilinie verteidigt hatten, angesagt. Sie alle scharten sich um das Organ des Slowakischen Schriftstellerverbandes, dem in Preßburg erscheinenden „Kulturny Život“ (Kulturelles Leben).

Scharfer Wind aus Prag

Anfang Juni 1963 ist es dem Partei- und Staatschef Novotny zu bunt geworden. In einer großangelegten Rede versuchte er, die Kritik der rebellierenden Slowaken an der in Prag residierenden Obrigkeit im Keim zu ersticken. Novotny, ein .farbloser Beherrscher des Parteiapparates, erkannte, daß die geistigen Strömungen — vor allem dann, wenn sie so vehement und oppositionell, wie sie wochenlang im „Kulturny Život“ vorgetragen wurden — stark genug wären, das System in seinen Grundmauern zu erschüttern. Die Antwort des Slowakischen Schriftstellerverbandes, damit der parteitreuen Intelligenz, auf diesen Niederknüppelungsver- such war eine Herausforderung: Der Verband stellte sich geschlossen hinter die Redaktion, ja noch mehr, er machte sich zur Aufgabe, einen Beitrag zur Aktivierung des Denkens zu leisten, indem man dem „Kulturny Život“ auftrug, sich mit allen jenen nationalen, politischen und wirtschaftlichen Problemen zu beschäftigen, die bisher als tabu galten, jedoch von Interesse waren.

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