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Immer dürftigere Legitimation

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Hinter dem von der tschechischen und slowakischen Bevölkerung längst befürchteten vorläufigen Ausreiseverbot, das trotz allem, wie die inzwischen gleichgeschaltete Presse erklärte, bei der Bevölkerung „hysterische Reaktionen“ hervorgerufen hat, erfolgte ein kaum beachteter Schritt der kaum weniger bedeutungsvoll ist: die Legislaturperiode bis zum 31. Dezember 1971 zu verlängern; das heißt, daß Wahlen vermutlich frühestens 1972 stattfinden werden.

Diese Maßnahmen gewinnen noch dadurch an Bedeutung, daß Wahlen ja längst überfällig sind.

Diese mit einem Sondergesetz am Donnerstag, 16. Oktober, beschlossene Verlängerung der Legislaturperiode hat noch einen Schönheitsfehler. Mißliebige Abgeordnete (die immerhin vom Volk gewählt wurden), können nunmehr durch das Abgeordnetenhaus selbst entfernt werden. Man hat von dieser Möglichkeit übrigens sofort Gebrauch gemacht und sieben Abgeordneten das Mandat entzogen, die damit auch ihre Immunität verloren haben. Neben Frau Dr. jur. Gertrude Seka- ninovä-Cakrtovä die im deutschen KZ war, deren erster Mann 1940 hingerichtet wurde, die seit 1949 im ZK der KPTsch sitzt und 1951 Stellvertretender Außenminister war, sind es weiter überwiegend prominente Abgeordnete, so einer der bestgehaßten Männer des neuen Regimes, General Väclav Prchlik, Dr. Frantisek Kriegei, der 1968 in der ersten Reihe der Reformer stand, als Präsident der Nationalen Front einen prominenten Posten innehatte, von maßgeblichen Sowjets schon bei den Verhandlungen von Cierna als „galizianischer Jude apostrophiert wurde. Ausgeschlossen wurde ferner Jifi Pelikdn, der schon 1963 Mitglied der ideologischen Kommission im ZK der KPTsch und 1963 Zentraldirektor des Fernsehens geworden war, dann Jan Subrt, der seit 1960 Parlamentsabgeordneter ist, Frau Bozena Fukovd und schließlich Franülek Vodslon, der schon vor 1938

KP-Mitglied geworden war und seit 1948 Abgeordneter ist.

Das Sondergesetz über die Verlängerung der Legislaturperiode ist aber keineswegs nur deshalb befremdend, weil es die Gesetzgebungsperiode ungewöhnlich ausdehnt. Die Föde- ralisierung der Tschechoslowakei hat bekanntlich mit Beginn 1969 völlig neue Vertretungskörper entstehen lassen. An Stelle der alten Nationalversammlung trat die Bundesversammlung der CSSR, bestehend aus Volkskammer und Kammer der Nationen auf Bundesebene, dazu der tschechische und der slowakische Nationalrat. Von diesen vier Vertretungskörpem haben nur zwei, Volkskammern und slowakischer Nationalrat, bescheidene Legitimationen des Wählervolkes, die übrigen zwei (Kammer der Nationen und tschechischer Nationalrat) sind nie aus direkten Wahlen hervorgegangen.

Gewiß kann man noch zusätzlich einwenden, daß der frühere Wahlmodus der Tschechoslowakei nach dem noch die alte Nationalversammlung gebildet wurde, der orthodoxeste und vermutlich undemokratischeste des Ostblocks war; daß die „Nationale Front“, in der die KP haushoch dominierte, Wahlvorschläge manipulierte und die Bevölkerung bestenfalls bescheidene Streichungsmöglichkeiten hatte. Aber auch diese Wahlfassade ist nunmehr aufgegeben worden.

Diese zwiespältige Situation nach der Föderalisierung der Tschechoslowakei hat übrigens schon vor ein paar Monaten die Frage aufkommen lassen, ob gegenwärtig die Demokratie in der Slowakei nicht stärker verankert sei als in den böhmischmährischen Gebieten. Immerhin seien die slowakischen Vertreter der Volkskammer und des slowakischen Nationalrates aus direkter Wahl hervorgegangen. Natürlich ist das kein Ausdruck von besserer oder stärkerer demokratischer Gesinnung der Slowaken, sondern eine Folge dessen, daß es schon seit 1945 einen slowakischen Nationalrat (in der da mals „unsymetrischen Lösung“ des Staatsaufbaues) gegeben hat, während das tschechische Pendant, der tschechische Nationalrat, erst vierundzwanzig Jahne später, 1969, errichtet wurde. Immerhin erklärte noch im März 1969 der inzwischen abgesetzte Ideologe der slowakischen KP, Prof. Dr. Miroslav Kusy, damals Leiter der ideologischen Abteilung im ZK der KPS, daß in der Slowakei tatsächlich „formell die besseren Voraussetzungen zu einer Demokratisierung des Landes“ bestünden. In einem Interview mit dem Organ des slowakischen Jugendverbandes stellte er allerdings auch besorgt die Frage, ob die relativ ruhige Entwicklung in der Slowakei in den Jahren 1968 und 1969 nicht auf eine konservativere Gesinnung, auf eine im Volk weniger lebendige Demokratie, auf eine Gesinnung zurückzuführen sei, die die Demokratie nicht allzuernst nimmt.

Nun, diese Diskussionen sind inzwischen verstummt, einmal, weil Professor Kusy von Husäkt der damals noch slowakischer Parteichef war, von seinem Posten entfernt wurde, dann auch, weil eben heute über Demokratisierung und Demokratie nicht mehr diskutiert wird.

Die neueste Maßnahme des Parteichefs Husdk, des Chefs der Bundesregierung Cernik, sowie des neuen Präsidenten der Bundesversammlung, Hannes, zeigen aber deutlich zweierlei: Einmal, wie sehr die Parteiführung der Stimmung der Bevölkerung mißtraut, die ihrer Meinung vermutlich nur durch Nichtwählen Ausdruck geben kann — dies aber in reichem Ausmaß tun würde, oder aber Streichaktionen im großen Stil durchführen würde. Und Zielscheiben! für Streichungen gibt es ja reichlich.

Als zweites muß bei dieser Situation als das kleinere Übel einkalkuliert werden, daß die beschränkte Legitimation von einst heute eigentlich kaum noch vorhanden ist, eine Legitimation, die man gegenüber dem eigenen Volk wie gegenüber dem Ausland bitter nötig hätte.

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