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Die Deutschen in Böhmen

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Auch in Böhmen gab es, spätestens seit der Siedlungswelle des 13. Jahrhunderts, ausgedehnte deutsche Sprachgebiete; in der Gemeindeverwaltung bedienten sich die Deutschen natürlich der Muttersprache. Dennoch bezeichneten sie die slawische Sprache mit dem Namen des Landes, dessen oberste Stellen (Landrecht und Landtag) ja slawisch verhandelten. Es ist zu sagen, daß auch die nationalistischen Rechtsbestimmungen nur diesen Zustand festlegen wollen. Wenn nämlich das von Hus inspirierte Kuttenberger Dekret sagt, die deutsche Nation habe in Böhmen keinerlei Einwohnerrecht, und das Nationalitätengesetz von 1615 bestimmt, in Böhmen gäbe es keine deutsche Gemeinde, so wollte damit weder Wenzel IV. das Heimatrecht der Deutschen (der ansässigen Deutschen!) leugnen noch wollte Kaiser Matthias das Eigenleben der deutschsprachigen Gemeinden (im

Plural) verbieten. Beide Gesetze i meinen nur, die Deutschen in Böhmen bildeten keine Volksgemeinschaft als Körperschaft öffentlichen Rechtes; ihre Sprache habe keine staatsrechtliche Stellung (Einwohnerrecht gleich adeliger Staatsangehörigkeit mit Sitz und Stimme).

Dies änderte sich, als die erneuerte Landesordnung von 1627 die deutsche Sprache der böhmischen gleichstellte und die nachfolgende Entwicklung ihr das völlige Übergewicht gab. Unter den ersten Lothringern war es so weit, daß in Böhmen jeder Gebildete deutsch sprach. Dabei ist hervorzuheben, daß diese Deutschsprachigkeit dem Landespatriotismus durchaus nicht im Wege stand. Die Zeit des deutschsprachigen Sprachgebrauchs ist gerade die Zeit der liebevollen Heimatkunde. Es wurde nun freilich notwendig, Worte zur Bezeichnung des Sprachunterschieds zu haben; man sprach also von Deutschböhmen und Originalböhmen. So blieben die Dinge bis zum Sturmjahr 1848, in dem für die Monarchie die Zeit der bitteren Nationalitätenkämpfe anfing.

Offiziell und nicht offiziell

Das Jahr 1867 brachte den Ungarn die Restauration ihres Staatsrechts; beim Neubau ihres Staates achteten sie auf das Beispiel der modernen ’ Nationalitätenstaaten. Dieses Beispiel gaben vor allem die westlichen Großmächte Frankreich und England. Jeder Bürger von Frankreich heißt Franzose; ist er auch Elsässer, Flame, Bretone, Korse, Baske, so lernt er doch in der Schule die Sprache der französischen Nation — Französisch. Ungarn trachtete, dier sem Vorbild tunlichst nachzuleben. In Sachen des Slowakischen Fonds (Matice) wurde expressis verbis erklärt, in Ungarn gebe es nur die ungarische Nation — folglich gebe es keine slowakische Nation, und infolgedessen könne diese auch nichts besitzen. Diese Prinzipien brachten die Nationalitäten und die Gegner der Magyaren in Wien und Prag dazu, jetzt erst recht den Unterschied zwischen Ungarisch und Magyarisch zu machen. Offiziell dagegen blieben die zwei Worte synonym.

In Böhmen entwickelten sich die Dinge nicht ganz so. Die Tschechen durften ohnedies nicht einmal davon träumen, die ungarische Nationalitätenpolitik nachzumachen (sie konnten es auch in der Republik nicht, wegen Kapitel VI der Verfas sung). Aber um die bestehende Vorzugsstellung des Deutschen zu bestreiten, wiesen natürlich auch sie darauf hin, daß Böhmens eigentliche Landessprache das Böhmische sei. Um ihrerseits die seit 1627 verbriefte Stellung des Deutschen als der zweiten Landessprache zu verteidigen, lernten die Deutschböhmen nun, zwischen Böhmisch und (wie man zunächst schrieb) Czechisch zu unterscheiden. Doch auf dem Landtag von 1862 beschloß die damals entscheidende Koalition von staatsrechtlichem Adel und Tschechen, die bisherige Ausdrucksweise beizubehalten; bis 1918 hieß also legal die slawische Landessprache Böhmisch. Dann änderten sich die Gewohnheiten.

Neuer Name — alter Staat

Durch den Umsturz wurden die Länder der Böhmischen Krone mit der Slowakei, dem bisherigen Oberungarn, verbunden. General Ste- fánik riet, dem Staat den historischen Namen Böhmen und die monarchische Staatsform zu geben; es entstand jedoch die Tschechoslowakische Republik. Für die Tschechen war dies sprachlich kein Problem; der neue Name bedeutete eben den um die Slowakei vermehrten alten Staat. Daß es im Bewußtsein der Tschechen der alte Staat war, zeigte ja die Tatsache, daß man mehrere Wochen nach der Aus-

rufung der Unabhängigkeit erst förmlich die Entthronung des Kaiserhauses beschloß. Anders klang der Name in deutschen Ohren; „Tschechoslowakei“ klang nicht nur an sich unschön, sondern es klang gar nicht an „Böhmen“ an. Daher entstand im Bewußtsein der Deutschen der gegenteilige Eindruck, daß ihre Heimat einem ganz neuen Staat zugeteilt worden war. Dies half ganz gewiß, diesem Staat gegenüber einen negativen Standpunkt zu schaffen.

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