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Preßburg

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Oer Ostblockgipfel in Preßburg ist vorbei, und die ganze freie Welt jubelt über den Sieg des tschechoslowakischen Generalsekretärs Dub- cek über die „Großen Fünf“. Die Liberalisierung und Demokratisierung der Moldaurepublik sei gesichert.

Was aber geschah wirklich? Die Russen erwiesen sich als Meister der Politik. Sie waren viel, viel klüger als Hitler im Jahre 1938 gegenüber der Tschechoslowakei, indem sie auf einen öffentlichen Triumph ihrer Seite verzichteten und alle Welt glauben ließen, Dubcek habe einen Sieg errungen. Sie waren aber auch klüger als 1956 in Ungarn, wo sie den ungarischen Aufstand mit militärischen Mitteln blutig niederschlugen. Gewiß, dank des Verhaltens der Tschechen war die Situation jetzt gegenüber 1956 grundverschieden. Während Ungarn 1956 erklärte, es wolle aus dem Ostblock aussteigen und den Status der österreichischen Neutralität annehmen, erklärten die Tschechen ununterbrochen, daß sie gute Kommunisten und nicht minder gute Verbündete Rußlands bleiben wollten. Eine Handhabe zum militärischen Eingreifen war somit jetzt viel weniger gegeben, aber wer die Geschichte kennt, weiß, wie leicht sich solche Handhaben „konstruieren" lassen. Die Russen übten zwar einen massiven militärischen Druck aus, gingen aber über eine gewisse Grenze nie hinaus und hüteten sich, einen Zwischenfall herbeizuführen, der ein militärisches Eingreifen notwendig gemacht hätte.

Die Russen erwiesen sich als Meister der Politik. Sie erreichten eines, was sie am brennendsten interessierte: der Virus der Freiheit wird nicht weiter im Ostblock kreisen. Dieser Virus wird sofort ausgetilgt. Sie erhielten die Zusicherung, daß die Bildung von oppositionellen Parteien nicht zugelassen wird. Dadurch ist jeder Parlamentarismus eine Farce und jede Liberalisierung unmöglich gemacht. Wenn es keine oppositionellen Parteien geben wird, kann es auch keine oppositionellen Zeitungen geben, das eigentliche Kriterium der Pressefreiheit, die dadurch auch unmöglich gemacht wurde. Dazu konnten sie einen Sondergewinn buchen: jeder publizistische Feldzug gegen Rußland muß ab sofort eingestellt werden. Alle Macht wird somit weiterhin in den Händen der Kommunistischen Partei und der in ihrem Gängelband sich befindlichen Mitparteien der „Nationalen Front" verbleiben. Alle Parteien, die sprunghaft aus dem Boden sprossen, wie zum Beispiel die „Partei der Parteilosen", die alle noch immer nicht amtlich genehmigt sind, werden eines Tages die Mitteilung erhalten, daß sie nicht genehmigt wurden, womit ihr Dasein ausgelöscht ist.

Neben diesen innerstaatlichen Zusicherungen dürften auch recht handfeste

Treue der Moldaurepublik zum. Warschauer Pakt und nicht minder handfeste Versicherungen über eine wirtschaftliche Zusammenarbeit gegeben worden seien. Dubcek bleibt in Amt und Würden, und dies ist nicht nur ein Sieg Dubceks, sondern auch ein Erfolg der Russen. Dubcek konnte den Russen klarmachen, daß bisher nur ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung — die Ansichten schwanken zwischen zwei und zehn Prozent — für das kommunistische Regime waren, der übrige Rest es nicht nur starr ablehnte, sondern es boykottierte. Dubcek erfreut sich großer Sympathien auch unter den Nichtkommunisten. Durch sein Verbleiben werden weite Kreise über den Umweg ihrer Sympathie zu ihm loyale Mitarbeiter des Regimes, die keinen Sand mehr in die Räder der Staatsmaschine streuen.

Dieses Argument dürften die Russen sofort begriffen haben und ließ sie Dubcek einen Sieg zuschanzen, der in Wirklichkeit der ihre ist.

Die freie Welt jubelt über den Sieg Dubceks und weist immer wieder auf den Satz des Kommuniques hin, das den Ostblockgipfel beendet, in dem es heißt, jeder kommunistische Staat habe das Recht auf einen eigenen Weg zum Kommunismus. Sie feiert in Wirklichkeit einen kommunistischen Sieg, der keinen Kern einer echten Liberalisierung enthält. Ein paar junge Leute in Prag begriffen es und ließ sie gegen die Ergebnisse des Ostblockgipfels protestieren. Aber ihr Protest hatte ebensowenig Erfolg, wie der Protest der Prager Studenten im Februar 1948 oder der Protest der Prager Studenten im Jahre 1939.

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