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Rätselhaftes Schwanken

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Als Kleist Hitler gegenüber die Bemerkung wagte, es sei eine gute Gelegenheit preisgegeben worden, Dünkirchen zu nehmen, ehe die Engländer ankommen konnten, gab dieser eine ausweichende Antwort. Einmal nur später gab er im privaten Gespräch mit den Generälen Rundstedt, Sodenstern und Blumentritt die Hintergründe seiner rätselhaften Handlung preis:

„Hitler war in sehr guter Stimmung. Er gab zu, daß der Verlauf des Feldzuges ein wahres Wunder sei und teilte uns seine Meinung mit, daß der Krieg in sechs Wochen beendet sein wird. Dann wollte er mit Frankreich einen vernünftigen Frieden schließen, und dann wäre auch der Weg frei für eine Verständigung mit England.

Es verblüffte uns dann, mit welcher Bewunderung er vom britischen Empire sprach, von der Notwendigkeit seiner Existenz und von der Zivilisation, die Britannien der Welt gebracht habe. Er bemerkte mit einem Achselzucken, daß das Empire mit Mitteln geschaffen wurde, die oft hart waren, aber, so sagte er, ,wo gehobelt wird, fallen Späne'. Er verglich das britische Empire mit der katholischen Kirche und sagte, daß beide wesentliche Voraussetzungen für die Stabilität der Welt seien. Alles, was er von England verlange, sei die Anerkennung der Stellung Deutschlands auf dem Kontinent. Die Rückgabe der deutschen Kolonien sei wünschenswert, aber nicht lebenswichtig, und er würde sogar England Waffenhilfe anbieten, wenn es woanders in Schwierigkeiten geraten sollte. Er bemerkte, die Kolonien seien in erster Linie eine Prestigefrage, da man sie im Kriegsfalle nidit halten kann und nur wenig Deutsche unter tropischen Bedingungen siedeln können.

Er schloß mit den Worten, daß er mit England auf einer Grundlage Frieden zu schließen gedenke, die es mit seiner Ehre vereinbaren kann.“

So wird die Aussage General Blumentritts verständlich, Hitler ließ die Armee entkommen und hoffte, damit die Briten zu beschwichtigen“.

Damit in Einklang steht denn auch Hitlers zögerndes Verhalten in der Fortsetzung des Kampfes gegen England, auf das Liddell Harts Bericht neues Licht wirft:

.Unmittelbar nach Abschluß des Waffenstillstandes mit Frankreich kamen Befehle vom OKH, den Stab für die Siegesparade in Paris zu bilden und die Verbände zu befördern, die zur Teilnahme bestimmt waren. Wir verbrachten 14 Tage mit den Vorarbeiten der Parade“ (Blumentritt).

Hitler glauhte eben Englands Wohlwollen und Versöhnlichkeit durch sein Verhalten bei Dünkirchen erkauft zu haben. Einige Wochen vergingen: „Man sprach von Verhandlungen mit England, die über Schweden, dann von solchen, die über den Herzog von Alba gingen.“ Am 2. Juli erst befahl Hitler den Oberbefehlshabern der drei Wehrmachtsteile die Prüfung der mit einer Landung in Enaland zusammenhängenden Probleme, aber er betonte: „Der Plan steckt noch in den Kinderschuhen“ und „Bis jetzt handelt es sich nur darum, sich auf ein mögliches Ereignis vorzubereiten.“ Der „Seelöwe“ — wie der Deckname der Landungsoperation lautete — machte einige schwerfällige Bewegungen und blieb an der Kanalküste liegen. Einen Monat nach dem Zusammenbruch Frankreichs endlich, am 16. Juli, gab Hitler Weisung, „bis Mitte August eine Landungsoperation vorzubereiten und, wenn notwendig, auszuführen“. Das klang, wie Liddell Hart richtig bemerkt, sehr nach „Wenn“ und „Aber“. Das Protokoll einer Besprechung mit Admiral Raeder faßt Hitlers Äußerungen wie folgt zusammen: „Auch der Führer betrachtet die Invasion als letzte Aushilfe. Ebenso sieht er die Luftüberlegenheit als Vor-bedingun g.“ Am Tage nach Hitlers Reichstagsrede, in der dieser versöhnliche Töne gegen England anschlug, sprach der italienische Außenminister Ciano bei Hitler vor. Er notierte darüber in sein Tagebuch: „Er bestätigt den Eindruck, den ich gestern hatte. Er möchte eine Verständigung mit England erreichen. Er weiß, daß ein Krieg mit den Briten hart und blutig sein wird, und ebenso, daß die Menschen heute überall einem Blutvergießen abgeneigt sind.“ Späte Erkenntnis! Die Überfälle auf Österreich, die Tschechoslowakei und Polen riefen nach Sühne und Wiedergutmachung des geschehenen Unrechtes!

Als der Tag anbrach, an dem die Angriffsvorbereitungen abgeschlossen sein sollten, hatte die Royal Air Force die Luftüberlegenheit im Kanal für England erstritten. Welche Folgen aber hätte eine deutsche Landung unmittelbar nach dem Debakel des britischen Expeditionskorps gehabt? Geben wir wieder Liddell Hart das Wort: „In den sechs Wochen nach Dünkirchen waren die zur Abwehr einer Invasion verfügbaren Landstreitkräfte so knapp, daß selbst ein paar feindliche Divisionen sie hinweggefegt hätten.“

Am 17. September 1940 wurde die „Operation Seelöwe“ durch einen Befehl Hitlers auf .unbestimmte Zeit vertagt“. Man hatte das Ganze nach dem Wort eines deutschen Generals „als eine Art Kriegsspiel“ betrachtet. England war gerettet.

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