7172251-1982_50_09.jpg
Digital In Arbeit

Die Schlacht um Stalingrad

19451960198020002020

Stalingrad, inzwischen Wolgograd, ist für die Kriegsgeneration auch heute noch ein Symbol. Denn der Name steht für eine der größten Kesselschlachten des Zweiten Weltkrieges, bei der sich im Winter 1942/43 - vor 40 Jahren - zwei mächtige Armeen gegenüberstanden. Die Deutschen verloren

19451960198020002020

Stalingrad, inzwischen Wolgograd, ist für die Kriegsgeneration auch heute noch ein Symbol. Denn der Name steht für eine der größten Kesselschlachten des Zweiten Weltkrieges, bei der sich im Winter 1942/43 - vor 40 Jahren - zwei mächtige Armeen gegenüberstanden. Die Deutschen verloren

Werbung
Werbung
Werbung

Für Adolf Hitlers Werhmacht war Stalingrad nicht nur eine verlorene Schlacht: An der Wolga ist im Winter 1942/43 nicht nur eine deutsche Armee untergegangen. In der Ruinenstadt endete auch der Eroberungskrieg Hitlers in Europa.

Und was die Rote Armee betraf, war für sie Stalingrad die entscheidende Wende in ihrem Verteidigungskrieg. Ja, noch mehr: der Aufbruch in eine neue Epoche. Nach der Zerschlagung der 6. deutschen Armee in Stalingrad im Winter 1942/43 begann der Aufstieg der Sowjetunion zur Weltmacht unseres Jahrhunderts.

Vier Jahrzehnte nach dieser Stalingrader Schlacht sind die meisten Hintergründe der Geschehnisse aufgedeckt worden.

Im Dezember 1941 endete das „Unternehmen Barbarossa", der deutsche Ostfeldzug, vor den Toren Moskaus. Hitler konnte seine für 1941 angestrebten Kriegsziele nicht erreichen. Infolge der brutalen deutschen Besatzungspolitik beziehungsweise der Praktiken von Himmlers Sicherheitspolizei entstand hinter der deutschen Ostfront allmählich ein neuer Gegner: der Partisan.

Was jedoch 1941 nicht vollzogen werden konnte, sollte — nach Hitlers Auffassung — 1942 erfolgen. Ein neuer Feldzug sollte die Rote Armee auf die Knie und Stalin zur Kapitulation zwingen. In der „Weisung 41" hatte Hitler am 5. April 1942 die Ziele und Operationsphasen der deutschen Sommeroffensive 1942 präzis festgelegt.

Die wesentlichen Punkte des Planes: die deutsche Südfront sollte bis zum Don vorgeschoben und die Landbrücke zur Wolga bei Stalingrad genommen werden. Anschließend mußte der Kaukasusraum bis zur türkischen beziehungsweise iranischen Grenze mit den für die deutsche Wehrwirtschaft wichtigen Erdölzentren erobert werden. Außerdem mußte endlich Leningrad genommen und die Landverbindung zu den Finnen hergestellt werden.

„Das Unternehmen Blau", wie in der Militärsprache die deutsche Sommeroffensive 1942 hieß, stand von Beginn an unter einem ungünstigen Stern. Am 19. Juni fielen bei der Notlandung eines deutschen Generalstabsoffiziers den Sowjets wichtige Befehle und Karten über die erste Phase der deutschen Offensive in die Hand.

Hitler jedoch ließ kurz vor der Auslösung der Offensive die Angriffspläne nicht ändern. Er spielte „va banque" und nahm an, die Sowjets würden mit den Beutedokumenten nichts anfangen können. Heute wissen wir, daß das sowjetische Oberkommando den wichtigen Fund sehr wohl berücksichtigt hatte.

Die am 28. Juni 1942 aus dem Raum östlich von Kursk und Charkow begonnene deutsche Sommeroffensive konnte schon deswegen in ihrem Anfangsstadium relativ rasch Raum gewinnen, weil auf Stalins Geheimbefehl die sowjetischen Befehlshaber Truppen und vor allem Kriegsgerät rechtzeitig aus den gefährdeten Gebieten zurückgezogen hatten.

Während die Deutschen und ihre Verbündeten zügig bis zum Don vorstießen und im Süden bei Rostow das Tor zum Kaukasus erobert hatten, änderte Hitler den Operationsplan so ab, daß statt des vorhergesehenen Nacheinander nunmehr gleichzeitig ein deutscher Vorstoß gegen die Wolga-Linie bei Stalingrad und ins Kaukasusgebiet sowie die Eroberung Leningrads vorgesehen wurde. Somit wurden die Kräfte des deutschen Ostheeres hoffnungslos verzettelt!

Der eigentliche Vorstoß nach Stalingrad — wo Hitler die Wolga erreichen und diesen wichtigen Nachschubweg der Sowjets abschnüren wollte — begann am 14. Juli 1942. Getragen wurde die Offensive in erster Linie von der 6. deutschen Armee unter dem 52-jährigen Generaloberst Friedrich Paulus, einem hochbegabten Militär.

Die Sowjets wichen kämpfend aus- bis in das Weichbild von Stalingrad. Dort versteifte sich ihr Widerstand. Die Truppen der 6. Armee, bereits in vorangegangenen Kämpfen ermüdet, verloren gleichzeitig an Elan. Bis Ende August 1942 gelang es zwar Paulus, die Wolga nördlich und südlich von Stalingrad zu erreichen und somit die Stadt halbwegs einzuschließen, aber die Metropole selbst konnte er nicht in Besitz nehmen.

Trotzdem erwog Stalin allen Ernstes, Stalingrad aufzugeben <und die noch vorhandenen Truppen hinter die Wolga zurückzunehmen. Aber dann besann er sich anders.

Anfang September 1942 wurde Armeegeneral Konstantin Schu-kow nach Stalingrad entsandt. Er, der 1941 schon bei Leningrad und bei Moskau die Lage gemeistert hatte, sollte auch hier seinen Mann stellen. Zu diesem Zwecke erhielt Schukow Vollmachten, ja Stalin trat ihm aus den streng gehüteten Reserven frische Truppen ab.

Friedrich Paulus' Vorhaben, Stalingrad in kürzester Zeit zu nehmen, mißlang. In schweren und verlustreichen Straßenkämpfen konnten die Deutschen bis Mitte September lediglich den Nordteil der Stadt in Besitz nehmen. Die Wolga-Ufer blieben jedoch fest in sowjetischen Händen. Nachschub und Ersatz erhielten die Rotarmisten vom östlichen Ufer der Wolga.

Die Verlustzahlen in der Ruinenstadt machten Hitler stutzig. Das Gespenst eines Truppenverschleißes wie bei Verdun tauchte in'seiner Errinnerung auf. Er befahl Paulus Ende September, die sowjetischen Verteidiger vorerst mit Artillerie reif zu schießen und danach mit Stoßtruppen die Uberlebenden zu vernichten.

Da die deutschen Truppen zum Vormarsch im Kaukasus benötigt wurden, übernahmen rumänische Verbände als Flankendeckung links und rechts der 6. Armee die Frontabschnitte. Ihre Kampfkraft war gering.

Wochen vergingen, und Stalingrad war noch immer nicht gefallen! Hitler rechtfertigte diese Schlappe am 8. November in seiner Münchner Rede damit, daß er Blutvergießen vermeiden wolle.

Am 19. November kam die große Wende: Aus den Don-Brückenköpfen nordwestlich von Stalingrad begann eine sowjetische Groß-Offensive, die den Frontabschnitt der dort stehenden 3. rumänischen Armee ebenso zerriß, wie die am 20. November aus dem Raum südlich von Stalingrad erfolgte zweite sowjetische Groß-Offensive die dort befindliche 4. rumänische Armee aufrieb.

Zwei Tage später, am 22. November, schlössen sich die sowjetischen Angriffszangen bei Kaiatsch am Don. Damit war die 6. Armee mit Teilen der 4. Panzerarmee — insgesamt etwa 300.000 Mann, Deutsche, Rumänen und Kroaten — im Großraum zwischen Wolga und Don eingeschlossen!

Marschall Schukows Groß-Offensive, ausgeführt von elf Armeen, 900 Panzern und 13.500 Geschützen, brachte die Deutschen in eine heikle Situation, die von Hitler vorerst nicht erkannt wurde. Er veranlaßte Paulus, sich im Kessel für eine „kurze Verteidigung" einzurichten. Der sowjetische Ring sollte baldmöglichst durchbrochen und die frühere Lage hergestellt werden. Bis zur Entsatzoffensive versprach Hitler, die 6. Armee und die anderen Verbände mittels einer Luftbrük-ke zu versorgen.

Am 27. November wurde Generalfeldmarschall Manstein zum Oberbefehlshaber einer neugebildeten deutschen Heeresgruppe mit dem Namen „Don" ernannt. Sein Auftrag war die Entsetzung der 6. Armee.

Manstein benötigte jedoch zwei Wochen zu seiner Offensive. Als er sie am 12. Dezember mit unzureichenden Kräften nordöstlich von Rostow antrat, hatte er wenig Aussichten. Die Sowiajts verstärkten ihren Griff um die 6. Armee, die sich ihrerseits allmählich aus der offenen Steppe in die Ruinenstadt Stalingrad zurückzog.

Mit Mühe und Not kamen Man-steins Divisionen am 21. Dezember bis auf 48 Kilometer an Stalingrad heran. Dann mußten sie halten. Denn am mittleren Don begann am 16. Dezember eine neue sowjetische Offensive, welche die 8. italienische Armee traf und diese in kürzester Zeit zerschlug.

Die Sowjets zielten nun mit ihrem Vorstoß auf Rostow am Don. Ihr Ziel war es, die Hafenstadt zu erreichen und damit die gesamte Heeresgruppe A (das heißt zwei deutsche Armeen!) im Kaukasus abzuschneiden und zu vernichten.

Mansteins Truppen mußten zurück, um die Einnahme Rostows durch die Rote Armee zu verhindern. Damit aber war das Schicksal der 6. Armee besiegelt! Hitler verbot ihr auch jetzt einen Ausbruch aus dem Kessel.

Paulus mußte aber nach Hitlers Vorstellung sowjetische Kräfte binden und zwar fünf Armeen, was er auch tat. Damit sollten die Deutschen Zeit gewinnen, um ihre Heeresgruppe A aus dem Kaukasus zurückzuziehen.

Paulus blieb also in Stalingrad. Die Luftbrücke half ihm immer weniger. Anstelle der geforderten Verbrauchsgüter von 946 Tonnen Verpflegung, Munition und Betriebsstoff pro Tag vermochte die Luftflotte für den 70 Tage dauernden Einsatz nur einen Gesamtdurchschnitt von 94 Tonnen Gütern je Tag in den Kessel zu transportieren. Zum Elend von Krieg und Kälte kam jetzt für die Eingeschlossenen auch der Hunger ...

Die Lage der deutschen und rumänischen beziehungsweise kroatischen Truppen verschlechterte sich zunehmend. Generaloberst K. K. Rokossowski, der mit seinen Truppen gegen Paulus kämpfte, stellte am 8. Jänner 1943 ein Ultimatum. Er forderte die Deutschen zur Ubergabe auf, Paulus wies dieses brüsk zurück. So löste Rokossowski am 10. Jänner einen neuen Angriff auf. Sein Ziel war, den deutschen Kessel aufzuspalten und dann die Teile einzeln aufzureiben.

Aber die Verteidiger leisteten Widerstand. Erst zwölf Tage später, als die Versorgung aus der Luft völlig aufhörte und die Soldaten am Ende ihrer Kraft waren, kamen die Sowjets ihrem Ziel näher. Am 31. Jänner wurde der Kessel in Stalingrad geteilt. Gleichentags kapitulierte der inzwischen zum Generalfeldmarschall ernannte Friedrich Paulus in seinem Feldhauptquartier.

Am 2. Februar 1943 streckte auch der zweite Kessel in Stalingrad die Waffen. 91.000 Uberlebende (von 300.000) traten den Marsch in sowjetische Kriegsgefangenschaft an. Davon überlebten das Kriegsende nur 6.000.

Die Sowjets konnten Stolz auf ihren schwer errungenen Sieg von Stalingrad sein. In der neuesten Geschichte Deutschlands hatte es nie zuvor eine militärische Niederlage solchen Ausmaßes auf dem Schlachtfeld gegeben.

Hitlers Reaktion auf die Stalingrader Kapitulation war ein Wutausbruch. Er beschuldigte Paulus der Feigheit, weil er nicht die Kraft hatte, sich zu erschießen. Er schwor: „In diesem Krieg wird niemand mehr Feldmarschall!"

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung